Fünf verdammte Jahre schreibe ich jetzt ins Internet rein. Und ich bin mir noch immer für nichts zu schade geworden (siehe Foto.) 2006 war ich mitten in meinem Bachelorstudium in einem kleinen sächsischen Kaff. Das einzige, worauf ich im Nachhinein stolz bin: die trashy Partyflyer zu unserer Crossdress-WG-Party (siehe Foto) , dass ich mir Wirtschaftsmathematik (ohne Zahlen versteht sich) autodidaktisch beibringen (Algebra-Vorlesungen morgens um 7 sind nur für ganz Harte, zu denen gehöre ich nicht) und die Prüfung mit einer 2 abschließen konnte und unsere Studizeitung, die wir gemeinsam zu einer noch cooleren Lokalzeitung machten. 2007 fraß mich Berlin auf, ich ruinierte meinen Körper mit vielerlei Drogen (mit und ohne Anführungszeichen), zog von Friedrichshain nach Lichtenberg, lernte eine tolle Frau kennen, trennte mich von meiner ersten langjährigen lesbischen Beziehung. 2008 startete meine berufliche Karriere (mit Anführungszeichen) beim Holtzbrinck-Verlag, wo ich mich zur Onlinehure ausbilden ließ und die schönste Zeit erlebte, die mensch bei den ersten zaghaften Versuchen der Erwerbstätigkeit haben kann. 2009 war ein einziger großer Nebel, bis im Herbst mein Gender-Studium an der FU Berlin begann. 2010 würde ich rückblickend als Highlight-Jahr meines noch jungen Lebens bezeichnen. Ich wurde so erwachsen, wie ich mir das Erwachsensein vorstelle. Nämlich kein Stück.
Das Blog war in diesen fünf Jahren meine Projektionsfläche, meine Theoriewand, mein Tagebucheintrag. Ab und zu lese ich mir alte Texte durch und muss grinsen. Selbst für mich, die mit ihrer Persönlichkeit relativ offen im Netz hausieren geht, ist es ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass fünf Jahre meines Lebens hier fein säuberlich dokumentiert stehen. So lange ich will. Natürlich werden die Posts nie das abbilden können, was ich erlebt und gefühlt habe in den vergangenen fünf Jahren. Das wissen nur wenige Menschen und ich bin froh darüber, dass medienelite.de zwar ein relativ genaues Bild von mir zeichnen kann, aber eben doch kein vollständiges. Allerdings haben die Bruchstücke, die ihr hier vorfindet, euch seit fünf Jahren nicht davon abgehalten, meine Texte zu lesen und zu kommentieren.
In letzter Zeit häufen sich die Lobeshymnen, was mich jedes Mal aufs Neue erröten lässt. Ein Blog zu haben und über viele persönliche Dinge schreiben zu können oder Menschen zum Nachdenken anzuregen, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß das sehr zu schätzen. Vielen Dank. Mein Briefkasten, Mail-Postfach oder die Kommentarfunktion sind immer offen für euch.
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Ich habe ein bisschen gekramt und einige Texte herausgesucht, die mir eine Menge bedeuten. Einige von ihnen sind mittlerweile ziemlich alt, auch wenn das Datum etwas anderes sagt. Im Kopf existieren Wortfetzen zum Teil sehr lange, bis sie niedergeschrieben werden. Thematisch sortiert, kommentiert und neu aufgelegt. Viel Spaß beim Lesen.
Beobachtungen
It’s the bitches, idiot! – Die Rape-Culture lauert überall. In diesen Zeilen steckt viel Wut.
Einen deutschen Bogen spannen. Kleine Anekdoten aus öffentlichen Diskursen – Ich habe versucht, sachlich zu sein. Der Text hat eher dokumentarischen Charakter, kann sich aber dem Zynismus kaum entziehen. Es ist der bis heute meistgelesene Text auf diesem Blog. Spreeblick hatte ihn damals entdeckt und verlinkt.
Die eigene politische Korrektheit oder über den Umgang mit Differenz – Seit mehreren Jahren verfolgt mich ein Gedanke immer wieder: Was macht den Unterschied? Und wie werden wir uns in Zukunft voneinander unterscheiden? Sind Unterschiede überhaupt sinnvoll für unser tägliches Zusammenleben? Dieser Text ist der Versuch einer ersten Visualisierung.
Heterosexuelle und lesbische Frauen. Ein Annäherungsversuch – Diese Zeilen haben rein biografische Motivation. Mein Leben als Theorie. Auf einer meiner letzten Homepartys sorgte ein Versatzstück davon für viel Diskussionsstoff. Letztlich aber geht es einzig und allein um die Frage: Warum verlieben wir uns nur in bestimmte Menschen und nicht in alle?
Horizont – Zu lange sind viele von uns dem Rattenfänger von Hameln hinterhergelaufen. Eine klare Absage an das können wollen müssen sollen. Oder um es mit Rage Against The Machine zu sagen: „Fuck you! I won’t do, what you tell me!“
Mindfuck
Alkohol in den Köpfen – Vergangenen Sommer näherte ich mich meinem temporären Alkoholproblem. In der Diskussion merkten meine Kommentator_innen und ich schnell, dass sehr viele Menschen Alkohol nicht als das sehen, was es ist – ein Betäubungsmittel zur Verdrängung von so ziemlich allem.
Das große Schwarze – Ich lernte meinen Großvater als gesunden Menschen kennen. Als ich noch ein Kind war (aber schon zur Schule ging) erkrankte er an Diabetes. Ab diesem Zeitpunkt lernte ich ihn 15 Jahre lang neu kennen. Mit Arterienverengung, Herzverfettung, Taubheitsgefühlen, Wasseransammlungen, Alzheimer, Parkinson und ein paar Schlaganfällen. Bis heute habe ich nicht verstanden, wieso er sich dagegen entschieden hat, seiner ihm zugestandenen Lebenserwartung als Mann so nah wie möglich zu kommen. Ich habe einem wichtigen Teil meines Lebens beim langsamen und bewussten Sterben zugesehen. Mittlerweile bin ich nicht mehr wütend. In einigen Momenten sogar dankbar für die Erkenntnis, dass wir alle ein bisschen verrückt sind und Dinge tun, die andere nicht verstehen müssen.
Don’t feed the ignorance – Warum mir das Bloggen ein Gefühl von Macht gibt. Macht, die ich mir im Alltag zum Teil hart erarbeiten muss, obwohl sie selbstverständlich sein müsste.
Deutschland. Re/Visionen. – Die letzte Fußballweltmeisterschaft der Männer hat mich zum Nachdenken angeregt: Warum ich mir selbst schon mal die Nationalfarben auf die Wange gemalt habe, ich vor jeder Hitlerfotografie fasziniert stehen bleibe und wie mein Verhältnis zu meiner nationalen Zugehörigkeit ist – anhand von biografischen Fetzen.
Orion. – Ein Gesprächsprotokoll meines vorletzten Sexshop-Besuchs.
_innenansichten. Über die Wirkung von Diskriminierung. – Ich bin kein Opfer. Ich bin auch Täterin. Dieser beklemmende Fakt zeigt die Komplexität von Machtverhältnissen auf. Und gerade das ist es, was so schmerzhaft ist. Für mich zumindest.
Kleinstprosa
Traurige Menschen. – Ich bin ein sehr analytischer und aufmerksamer Mensch. Wenn ich melancholisch bin, noch mehr als sonst. Was andere übertrieben verkopft oder egozentrisch nennen, ist meine kreative Kraft. Vor vier Jahren saß ich auf meinem Weg von Friedrichshain (ich machte gerade ein Praktikum in der Stadt) nach Zehlendorf einem Mann in der S-Bahn gegenüber. Er war mein Spiegelbild und mein Bleistift.
Vollkommen. – Ich spinne seit Jahren an einer Metatheorie herum. Die besagt, dass Menschen, die ich nicht verpassen sollte (aus Gründen), mir absichtlich mehrmals vorgestellt werden. Schicksal? Vorsehung? You name it.
Macht. – Im Winter 2009 hatte ich in Berlin das erste Mal Angst. Als Frau.
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