Es ist beachtlich, welch hohe Wellen die rassistische Praxis am Schlosspark-Theater in Berlin in den Medien schlägt. Seit Bekanntwerden des keineswegs Einzelfalles am Theater häufen sich Beiträge zu Alltagsrassismus, Rassismuskritik und Rassismuserfahrungen von Schwarzen, Afrodeutschen, People of Color und den „Migrationsanderen“ in Deutschland, selbst das europäische Ausland berichtet.
Nach wie vor ist es wichtig, die Sprache genauer unter die Lupe zu nehmen, mit der das geschieht. Aufgefallen ist mir die Seite 3 in der ZEIT, in der der Fabian Dannenberg von seinen Erfahrungen berichtet. Die Gewalt, die ihm widerfahren ist und widerfährt, äußert sich auch in der Sprache, mit der er konfrontiert wird. Häufig ist im Artikel das N-Wort zu lesen.
Der Artikel von Fabian ist ein Gastbeitrag. Gastbeiträge folgen häufig auf Anfragen des entsprechenden Mediums. Gängige Praxis: Autor_innen liefern den Volltext ohne Überschrift und Schlagwörter. Redakteur_innen des Mediums, die den Artikel betreuen und/oder das Lektorat liefern den Rest. Es ist eher unüblich, die Überschrift noch einmal mit dem_der Autor_in abzuklären. Als Überschrift prangt „Was willst du hier, N.?“, Schlagwort der ZEIT ist „Rassenhass“ (siehe URL), ein_e wohl etwas hellerer Kolleg_in hat im Artikel für ZEIT Online in der Stichzeile „Rassismus“ geschrieben (über der Überschrift). Ich frage mich, was das soll…
Die Überschrift ist ein Zitat aus Fabians Text. Offenbar ist/sind sich die/_der zuständigen Redakteur_innen bewusst, dass N. ein rassistisches Schmähwort ist. Trotzdem schreiben sie es ausgeschrieben in die Überschrift. Auch wenn von Rassismus Betroffene dieses Wort in aller Deutlichkeit benutzen, steht es Weißen nicht zu, dieses Wort wieder und wieder zu annektieren. Auch wenn das N-Wort eine weiße Erfindung früherer Kolonialherren ist, steht es Weißen nicht zu, dieses Wort wieder und wieder zu annektieren. Für mich sagt diese Überschrift aus, dass die ZEIT sich vielleicht nicht darüber im Klaren zu sein scheint, welche triggernde und verletzende Wirkung dieses Wort auslösen kann bei Betroffenen oder sie stellen sich einfach keine_n nicht-weiße_n Leser_in vor. Vielleicht ist ihnen die aufmerksamkeitsheischende Wirkung des N-Wortes wichtiger als der sensible Umgang mit Sprache, ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten. Was soll diese Überschrift bei diesem Inhalt? Ist es nicht möglich, eine ebenfalls drastische Überschrift für den drastischen Inhalt zu finden, die ohne rassistisches Sprachvokabular auskommt?
Zum Label „Rassenhass“. Ich hatte kurz den Gedanken an Apartheidsregime. Rassismus ist kein Äquivalent für „Rassenhass“. Es gibt keine „Menschenrassen“. Das ist ein biologistisches Konstrukt, das in der Zeit der Aufklärung eingeführt wurde, um Hierarchien entlang einer biologistischen Achse zu rechtfertigen. Schwarz und Weiß sind politische Begriffe und keine „Beschreibungen“ phänotypischer Merkmale, keine Hautfarben-Farben und keine Einteilungskategorien von „Menschenrassen“.
Der Artikel von Fabian spricht für sich. Rassismus ist Normalzustand, Realität für viele, die in der BRD leben. Rassismus ist Gewalt. Die sich u.a. durch und mittels Sprache äußert. Weiße besitzen Definitionsmacht über Rassismus und rassistische Sprache. Es ist zynisch, Fabians Text mit solch einer Überschrift und solch einem Label zu versehen, die sinnbildhaft für das stehen, was nach wie vor existent ist. Sprache bildet Gesellschaft ab. In diesem Fall die rassistische, dekonstruierbar ist das allerdings nur für geschulte/sensibilisierte Menschen. Und selbst, wenn alle diese Konstruktionen als solche erkennen würden, obliegt es nicht den Weißen darüber zu entscheiden, ob das „trotzdem okay“ ist.
Ich würde mir wünschen, wenn in Zukunft solche wenigen, von der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft autorisierten subalternen Stimmen wie die von Fabian Dannenberg wenigstens konsequent beachtet werden würden und nicht erneut mit Rassismen belegt. Der Gebrauch von rassistischer Sprache trägt zur Normalisierung dessen bei und er gibt Weißen das Signal, dass es okay ist, Wörter wie N. zu benutzen, solange die „gute Absicht“(TM) dahinter steht.
Wenn über Herrschaft gesprochen wird, ist es wichtig zu beachten: Wer redet wie über wen in welchem Kontext? Zwangsläufig schreiben/sprechen nicht ausschließlich Betroffene über Herrschaft. Es wäre natürlich sinnvoll, allerdings ist das alles etwas komplexer als bloße Zugehörigkeit zu Kollektiven, als Identität. Herrschaft betrifft auch diejenigen, die keine Gewalt erfahren. Wenn Weiße ausschließlich über Weißsein und Verantwortung schreiben, Schwarze ausschließlich über Rassismus und Empowerment, dann haben wir wenig aufgebrochen von diesem aufteilenden und Entitäten schaffenden Prinzip, das Herrschaft innewohnt. Gerade weil dieses Prinzip so allgegenwärtig ist und ständig am Werk, sollte der sensible Umgang mit Sprache zu den ersten Schritten bei der Analyse von gesellschaftlichen Zuständen gehören. Herrschaftskritik ist nicht zuletzt eine Frage der Konsequenz. Zur Konsequenz zählt auch, sich als dominante Gruppe endlich von Herrschaftssprache zu befreien, auch wenn diese irgendwann mal von irgendeiner politischen/wissenschaftlichen Autorität zur „Abbildung“ und Analyse geschaffen wurde. Das bedeutet auch, Definitionsmacht darüber abzugeben, wie über Herrschaft gesprochen wird. Das heißt auch, Worte wie Fremd(enfeindlichkeit), „Rasse(nhass)“ und N. endlich aus dem Vokabular zu streichen, Ausländer(feindlichkeit) nur dann zu benutzen, wenn Ausländer_innen gemeint sind und sich auch da mal zu überlegen, für wen der Begriff „Ausländer“ eigentlich gilt und für wen nicht, wer in diesem Land Bürger_innenrechte erhält unter welchen Bedingungen. Nationalismus ist eine Komponente im rassistischen System, nicht die ausschließliche. Aber dazu vielleicht an anderer Stelle mehr.
UPDATE: Die ZEIT hat auf diesen Artikel geantwortet.
Kommentare
Eine Antwort zu „Rassismuskritik in den Medien: Die ZEIT und das N-Wort.“
[…] Redakteur_in der ZEIT schrieb mir gestern eine E-Mail auf meine Kritik am rassistischen Sprachgebrauch in einem ihrer Artikel über Rassismus mit der freundlichen Bitte, das zu ergänzen, was ich hiermit […]