Der Begriff ‚weiß‘ (auch: Weißsein, whiteness) besitzt in den kritischen Wissenschaften, ähnlich dem Begriff ‚gender‘ mehrere Gegenstandsebenen: Zum einen markiert er die Zugehörigkeit zu einem privilegierten Kollektiv, welches sich auf rassistischen Herrschaftsverhältnissen gründet, zum anderen zeigt er ein gesellschaftliches Verhältnis und wird zur kritischen Analyse von Normen, Diskursen und Strukturen genutzt, die rassistische Herrschaftsverhältnisse begünstigen oder stützen. Der rassifizierende Blick auf das ‚Andere‘ wird umgekehrt, hin zum ‚Eigentlichen‘, dem Ursprung der Rassifizierung.
Weißsein kann nicht gedacht werden ohne eine geographische und historische Kontextualisierung, die eng mit dem imperialistischem Weltmachtstreben Europas und dem europäischem Kolonialismus verbunden ist. Europa wird dabei als politisches und soziales Konstrukt verstanden, das vor allem in seiner Abgrenzung nach außen erst hergestellt wurde. Weißsein funktionierte dabei als dominanter Diskurs und strukturierende Kategorie. Die Inszenierung Europas als weißes, also einzig legitimes, weil einzig existierendes, handelndes Subjekt der Geschichte hatte zur Folge, dass alles, was aus diesem Subjekt herausfiel, zwangsläufig definiert, beherrscht, kolonisiert, zivilisiert werden musste. Kolonisierende galten in der Fremde nicht als Fremde, sondern als Herrscher_innen und Erzieher_innen über die Fremden.
Im Kontext kolonialer Vergangenheit revitalisiert ‚weiß‘ als unsichtbare Normalität und dominante Kategorie Geschichte, wobei sie die rassifizierte Differenz und weiße Hegemonie enthistorisiert und entpolitisiert, sprich: dethematisiert. Das Schweigen über die koloniale Vergangenheit Europas und Deutschlands kann daher als spezifische, dominant ‚weiße‘ Machtartikulation verstanden werden: Die realgeschichtliche Kolonialisierung wird mit einem „weißen Schleier“ überzogen. Diese „Weißwaschung“ der Geschichte richtet für weiße Metropolenbewohner_innen eine komfortable Scheinwelt ein, in der die Bedeutungslosigkeit von Kolonialismus suggeriert wird.
Dass auch das deutsche Nationenverständnis weiß markiert ist, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass ein deutscher Pass nicht zwangsläufig vor rassistischer Diskriminierung schützt. Weißsein stellt also neben einer Strukturkategorie, einem dominanten Diskurs und einer privilegierten Kollektivzugehörigkeit, die unsichtbar bleibt, auch ein integrations-resistentes Konzept von Zugehörigkeit dar: Wer „Inländer“ und wer „Ausländer“ ist, wird nicht ausschließlich über Nationalität bestimmt, sondern zunächst über biologistische „Rasse“-Konzeptionen.
Dennoch müssen beide Kriterien im nationalen Kontext als interdependent verstanden werden: Im Zuge der Nationenbildung kam es zu einer Verknüpfung von rassifizierender Differenzierung und der Idee des exklusiven „Volkstums“. Daraus resultierte ein völkisches Denken, welches im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht des 19. Jahrhunderts institutionalisiert und durch das Prinzip ‚ius sangini‘ verkörpert wurde. Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr 2000 gilt in einigen Fällen das Geburtsortprinzip ‚ius soli‘.
Allerdings ist dessen Anwendung bei der Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft an aufenthaltsrechtliche Bestimmungen geknüpft, die wiederum bestimmte Migrant_innen von der Zugehörigkeit und damit dem Zugang zu Ressourcen ausschließen. Außerdem soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass ein institutionalisiertes und damit Norm setzendes völkisch-rassistisches Prinzip, wie das des ‚ius sanginis‘, eine nicht unbeträchtliche diskursive Wirkmächtigkeit besitzt.
Kommentare
2 Antworten zu „weiß.“
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[…] 2007, Jäger/Jäger 2007, Kilomba 2008, Sow 2009). Hier zeigt sich die Definitionsmacht einer weißen Dominanzkultur, die Rassismus und dessen Wirkmächtigkeit nach dem Ende des Nationalsozialismus tabuisiert […]