Heute morgen las ich diesen Artikel von Katrin Schuster, die sich berechtigterweise über die rassistischen wie klassistischen/sozial- und wohlstandschauvinistischen Biases im Artikel von Mariam Lau in der Zeit echauffiert.
Da es ja zur Zeit wieder in Mode ist, über Frauen und ihr Tun zu urteilen (statt sich mit Systemfragen zu beschäftigen) und das Wort Macht wieder ungünstige Konnotationen bekommt, passt auch der Artikel von Mariam Lau ganz gut rein. Mariam Lau findet sich selbst so emanzipiert, dass sie gleichzeitig über Germany’s Next Top Model Models lästern darf und ihrer Tochter großmännisch(!) das Gucken dieser Daily Soap erlaubt. Models in GNTM sind dumm, Unterschicht und/oder haben Migrationshintergrund. Ein bisschen Sarrazin darf neben Frauenbashing also nirgendwo fehlen.
Nun verwundert es wenig, dass die Mainstreampresse mit backlashigen Artikeln glänzt, die Rolle von Mariam Lau muss in dieser Debatte allerdings auch unterstrichen werden. Mariam Lau ist Tochter eines Iraners. Tochter einer sozial privilegierten Familie. Ich lernte Miriam Lau vergangenen Herbst beim Genderkongress der Bundeszentrale für politische Bildung kennen. Sie moderierte dort das Panel „Gender in der Migrationsgesellschaft“. Mit ihr auf dem Podium saß u.a. Lamya Kaddor, die kürzlich das Buch „Muslimisch, weiblich, deutsch. Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam“ herausbrachte. Auffällig ist hierbei für alle, die den letztjährigen Sarrazin-Rausch mitbekommen haben, wie sehr migrantische Stimmen im vergangenen Jahr gepusht wurden. Müsste mensch eigentlich gut heißen. So ein kritisches Gegending zum neuen Volksrassisten. Wir erinnern uns vielleicht auch an das „Manifest der Vielen“ unter Herausgeberinnenschaft von Hilal Sezgin. Ich empfehle, die Links wirklich zu klicken und auf sich wirken zu lassen.
Ich schrieb „Pushen“ absichtlich im Passiv, denn es dürfte nichts neues sein, dass Migrant_innen hierzulande von der Mehrheitsgesellschaft autorisiert werden müssen, bevor sie sich zu stimmgewaltig zu Wort melden dürfen. Hinzu kommt, dass es bestimmte Stimmen sind. Stimmen, die vermeintlich kritisch gegen Rassismus argumentieren, aber sich doch immer wieder so positionieren müssen, dass sie nicht weh tun. Ergo: „Rassismus ist voll doof, aber manches kommt halt nicht von ungefähr. Ich muss auch gleich dazu sagen, dass ich nicht eine_r von denen bin, die ihr rassistisch markiert und ausgrenzt“.
Die sogenannten VIP-Migrant_innen (der Begriff stammt nicht von mir, sondern aus dem rassismuskritischen und postkolonialen Diskurs) sind allesamt Gewinner_innen eines rassistischen Systems. Ausnahmen. Privilegiert durch ihre Schichtzugehörigkeit und weil ihre Herkunft zwar irgendwie bedrohlich für weiße Deutsche, aber eben durch höhere Stellungen in anderen sozialen Positionen doch auch okay ist. Leute, die es durch individuelle Leistung zu was gebracht haben. Vorzeigebeispiele der Rassist_innen, die meinen, so etwas wie Strukturen gäbe es nicht. Mensch müsste sich nur anstrengen. Wer unten bleibt, ist selbst schuld. Und eben Migrant_innen, die sich nicht grundsätzlich einem rassistischen Diskurs widersetzen, sondern in ihm agieren und sich einpassen, kritisch zu offensichtlichen Wichsvorlagen wie Sarrazin und halbkritisch zu Pseudoislamkritiker_inenn wie Ates, Hirsli Ali und Kelek, aber immerhin auch mehrheitsgesellschaftlich toleriert.
Diese eher multikultifreundlichen und reformerischen Perspektiven sind in ihrer (positiven) Wirkmächtigkeit nicht zu unterschätzen, aber es ist nun mal leider so, dass Stimmen, die sich außerhalb dessen bewegen, gar nicht gehört oder diskreditiert werden. Stimmen, die darauf hinweisen, dass auch ein systemischer Rassismus das Prinzip „Teile und Herrsche“ installiert hat, das Rassifizierte aufspaltet in Menschen, die „passen“ (von engl. to pass, was in etwa bestehen und durchkommen heißt) und Menschen die weniger oder gar nicht passen, sondern marginalisiert bleiben. Eine Hierarchisierung der Anderen sozusagen.
Beim Panel „Gender in der Migrationsgesellschaft“ war Lau, obwohl sie eigentlich moderierend tätig sein sollte, immer dabei, kritischere Standpunkte als ihre abzuwerten und Frauen wie Kaddor beizupflichten. Während Kaddor liberal und individualistisch argumentierte, war Laus Position offensichtlich eine konservativere, die die „kritische Mehrheitsgesellschaft“ repräsentierte. Immer sticheln, immer piesacken, durchzogen von rassistischen und sozialchauvinistischen Biases. Das nervte sogar das mehrheitlich weiße Publikum (allerdings waren die meisten hier dem akademischen, rassismussensiblen und/oder kritisch linken bis linksradikalen Spektrum zuzuordnen), das sie irgendwann für ihr dominantes Auftreten sanktionierte.
Was Menschen wie Sezgin, Lau, Kaddor, etc. tun ist nichts weiter als der Mehrheitsgesellschaft nach dem Mund zu reden. Nicht, weil sie Rassismus beipflichten, sondern weil sie mit ihren Argumenten einen rassistischen Diskurs stützen, über den sie niemals werden selbstständig bestimmen können. Einen Diskurs, der die Menschen in Gruppe 1 und Gruppe 2 aufteilt, in Wir und die Anderen. Die Anderen sind in der Rechtfertigungsposition, die Mitglieder des „Wir“ bilden die Normalität ab, die unhinterfragt und meist unsichtbar vor sich hin rassifizieren kann. Zugehörigkeiten zu Gruppe 1 und Gruppe 2 müssen immer wieder bestätigt, (re)aktualisiert, abgelehnt und mit Leben gefüllt werden. Wer_welche woanders in privilegierter Stellung ist, kann sich glücklich schätzen, dass von ihm_ihr weniger Positionierungsarbeit abverlangt wird als anderen. Deswegen hat mensch dann auch Zeit und Ressourcen Bücher über Multikulti und Islam zu pinseln, auf Podien zu sitzen und für die Zeit zu schreiben, während andere ihr Dasein in der Residenzpflicht fristen. Das macht den rassistischen Diskurs auch so tricky: Er scheint so unhinterfragbar, unauflösbar und subtil, durchdringt jeden kleinen Winkel unseres Alltags.
Auch den Alltag von Mariam Lau, die in der Zeit gegen „dumme Unterschichtsmigrant_innen“ bashen kann, als sei das irgendwie originell und kritisch. Interessant an der Kritik an Laus Artikel, die ich ganz oben verlinkt habe, waren auch die Kommentare. Dort äußerten sich gleich mehrere, dass sie es überhaupt nicht nachvollziehen können, wie eine Migrant_in wie Lau über ihre eigene Sippe lästert. Zu einem Rassismus gehört es auch, dass White Supremacy noch nicht mal die Rassifizierten entscheiden lässt, wen oder was sie diskriminieren dürfen. Unerhört! Migrant_innen sind auch rassistisch. Das darf eigentlich nur ich! Hier wird deutlich, wer_welche rassistische Diskurse bestimmen: Weiße. Wenn Weiße über Weiße abranten, spielt Hautfarbe/Herkunft natürlich nie eine Rolle. Nicht-Weiße fragen dann auch nicht brüskiert, wieso wir Weißen über unsere Sippe ablästern.
Dem White Gaze kann sich auch Mariam Lau nicht entziehen. Sie wird sofort mit denen in einen Topf geschmissen, von denen sie sich doch eigentlich abgrenzen wollte. Schade, der Punkt im Spiel „Rassismus vs. Rassismus“ ging dann wohl nicht an Sie!
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