Über Sinn und Unsinn von Privilegiertenbashing.

Heute ist IDAHO (Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie). Ich habe dazu einen Text für die Mädchenmannschaft geschrieben, in dem ich die Perspektive umgedreht und über heterosexuell lebende Cisgender geschrieben habe. Und warum die mir manchmal richtig auf die Nerven gehen.

Es ist jetzt irgendwie kein Text, den ich theoretisch so vertreten würde. Ich habe meistens eine Herangehensweise an gesellschaftliche Themen, die den Blick eher auf Normen, Machtverhältnisse und Strukturen legt und nicht auf Identitäten. Ich wollte verdeutlichen, inwiefern sich Heteronormativität im Alltag von Menschen bemerkbar macht. In der Interaktion miteinander, im Denken übereinander. Um vielleicht auch das Konzept Heternormativität als strukturgebend etwas anschaulicher zu gestalten.

Was auch aus einer theoretischen Perspektive für mich mittlerweile gar nicht mehr geht, ist der Fokus auf lediglich eine Strukturkategorie, auf ein bestimmtes Herrschaftsverhältnis. Der Text unterschlägt Phänomene wie Rassismus, Weißsein, Sexismus, Bodismus, Ableism, etc. Ich ziehe die Grenze entlang der Linie sexuelle Orientierung/Identität und Geschlecht(szuschreibung). Demnach fallen andere Dinge hinten runter.

Das wurde in den Kommentaren allerdings bis auf wenige Ausnahmen nicht angemerkt. Neben einigen positiven Reaktionen von offenbar solchen Menschen, die zur Gruppe gehören, die ich im Text konstruiert habe (Tenor: Danke für’s Sichtbarmachen meiner eigenen Selbstverständlichkeit), gab es natürlich auch Reaktionen, die Empörung ausdrücken. Empörung darüber, dass ich sie in einen Topf mit vielen anderen schmeiße, zu denen sie nicht gehören wollen. Dass ich ihnen Dinge unterstelle, die sie nicht machen würden, dass ich sie in eine Rechtfertigungsposition rücke, die sie als unpassend, unangenehm und ungerecht empfinden. Was maße ich mir überhaupt an über eine bestimmte Gruppe zu urteilen? Dazu vielleicht so viel: Welcome to my world, Darling!

Mal davon abgesehen, dass ich im Text eigentlich niemanden persönlich anspreche, außer mich selbst und meine eigenen Wahrnehmungsverzerrungen, finde ich die empörten Reaktionen doch ziemlich bemerkenswert. Ich ärgere mich nicht darüber, ehrlich gesagt, habe ich mit solchen Reaktionen gerechnet.

Neben dem, dass es als anmaßend empfunden wurde, was ich da so vom Stapel ließ, mussten die Empörten auf ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen hinweisen. Auf die gefährliche Welt, in der sich heterosexuell lebende Cisgender so bewegen. Hooray! Da wurden gleich Rassismen ausgepackt und Oppression Olympics gespielt. Offenbar stellt es für viele eine Unverfrorenheit dar, nicht über die Erfahrungen zu sprechen, die heterosexuell lebende Cisgender machen. Oder mal nicht Diskriminierungen anzusprechen, von denen heterosexuell lebende Cisgender betroffen sind (Anmerkung: von den gleichen Diskriminierungserfahrungen sind auch solche betroffen, die nicht in diese Gruppe passen + noch ganz andere Dinge). Es muss also am liebsten immer mit ihnen und über ihre Probleme gesprochen werden, aber bloß nicht über sie als Gruppe. Und es sollte schon vorher mit ihnen geklärt werden, ob das Thema auch nach allen Seiten abgeklopft und von ihnen legitimiert wurde.

Legitim wären demnach folgende Dinge gewesen: Ich hätte einen Text über die Diskriminierung von LGBT*I geschrieben. Oder ich hätte einen wissenschaftlich wasserdichten Text über Marginalisierung, Machtverhältnisse und Sprecher_innenpositionen geschrieben. Reaktion auf beide Texte: Entweder „Ja Homophobie ist voll doof. Sehe ich genauso“ oder „Ich versteh nicht alles, aber ich stimme zu.“ Beide Texte wären inhaltlich weniger angreifbar oder polarisierend gewesen. Doch warum?

Logisch, weil sich heterosexuell lebende Cisgender von beidem nicht angesprochen fühlen. Sie sehen die Ungerechtigkeit, aber sie sehen nicht, inwiefern sie davon profitieren oder ein Teil davon sind. „Ich finde es voll okay, wenn die Homos deswegen auf die Straße gehen.“ Ach wirklich? Danke schön. Ausgrenzend sind schließlich immer die anderen, die sagen: „Scheiß Homo, ich hau‘ dir auf’s Maul.“ Homo- und Trans*phobie anzuprangern ist kein Akt, der Lob nach sich ziehen muss. Es sollte selbstverständlich sein. Doch woraus speisen sich diese zwei Dinge? Aus einem Klima, einer Kultur, die Normalitäten konstruiert und alles, was da nicht reinpasst, ausschließt. Daran sind wir alle beteiligt. Auch solche, für die es selbstverständlich ist, niemanden zu diskriminieren. Doch Diskriminierung ist kein rein interaktioneller Akt. Es passiert meistens auf institutioneller und struktureller Ebene. Als Mensch repräsentiere ich Strukturen und Machtverhältnisse mit meiner (zugeschriebenen) sozialen Position, egal wie sehr ich mich selbst damit kritisch auseinandersetze. Ich muss herhalten für ein System, das ich mir nicht ausgesucht habe. Was ich versuchen kann, ist, mich immer wieder selbst zu befragen, meine Urteile, mein Leben, meine Selbstverständlichkeiten. Und anzuerkennen, dass andere Menschen andere Erfahrungen machen, die nicht gleichwertig geäußert werden dürfen.

Wenn ich mich also als Marginalisierte, als Andere äußere, die ich im Kontext von Heteronormativität oft bin als lesbisch lebende Cisgender, und mit dem Finger auf diejenigen zeige, die drin sind, für die vieles „normal“ ist, was für mich nicht ist… ja dann, dann kommen sie und regen sich auf. Wenn ich mich den Diskursen widersetze, die ich nicht bestimmen kann, in denen ich vielleicht ab und an autorisiert werde zu sprechen (als Vertreterin der armen diskriminierten Homos), dann kommen sie und regen sich auf. Weil ich Diskurse bediene, die nicht machtvoll sind. Marginalisierte Diskurse eben. Wenn ich nicht diese internalisierte Homorhetorik fahre à la „ich bin anders und möchte gern toleriert werden von euch“, wenn ich mich meiner eigenen mir aufgedrückten Rolle als Andere widersetze, dann kommen sie und regen sich auf.

Privilegiertenbashing macht vielleicht auf einer theoretischen Ebene keinen Sinn (zumindest nicht auf der, auf der ich mich bewege). Privilegiertenbashing macht aber auch deshalb manchmal Sinn, weil es machtvolles Sprechen und Handeln über Andere sichtbar werden lässt. Und Positionen, die meistens unsichtbar bleiben: die der Privilegierten nämlich. Es verunsichert, im Scheinwerferlicht zu stehen? Kritisch beäugt und hinterfragt zu werden? Richtig so. Denn nichts ist „normal“ und selbstverständlich. Nicht mal deine eigene Selbstverständlichkeit, mit der du durch’s Leben gehst.


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Kommentare

14 Antworten zu „Über Sinn und Unsinn von Privilegiertenbashing.“

  1. Es ist jetzt irgendwie kein Text, den ich theoretisch so vertreten würde.

    War also auch ein Test und Provokation?
    Danke für diese Ergänzung. Ohne war es mir doch etwas zu schlicht.

  2. Es waren Test, Provokation (die Kommentare haben vieles aufgezeigt, was sich in einem theoretischen Text über das gleiche Thema sehr gut erklären ließe) und Ausschnitte aus meinem Alltag. Ich wollte mal zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob ich mich als Lesbe über Heteros aufrege oder Heteros über Homos. Und woher mein oft vorhandenes Unbehagen kommt, wenn ein Heteropärchen neben mir knutscht.

  3. Danke, Danke, Danke für die beiden Texte! Du spricht mir so aus der Seele.

  4. Eigentlich fast traurig, dass du dich für deinen Text bei der Mädchenmannschaft derart erklären musst.
    Andersrum hätte es wie du so schön sagst eben einen geringeren Erklärungsbedarf gegeben. „Ja, ist doof“ und „Ja, seh ich auch so“.

    Ich geb ja zu, dass sich auch in mir zuerst Widerstand regte aber rein emotional. Faktisch hat dein Text (unabhängig von deiner persönlichen Haltung) ja nicht ganz unrecht. Aber das gehört rüber und nicht hierher.

  5. ach ich muss mich gar nicht erklären. es war mir ein bedürfnis, bestimmte sachen über den tag noch einmal zu reflektieren und zum ausdruck zu bringen

  6. Du musst dich nicht erklären?
    Dann versteh ich die Hälfte der Kommentare bei der Mädchenmannschaft nicht. Zu dem „erklären müssen“ zähle ich ja nicht nur den Text hier. Mittlerweile.

  7. Poldy

    „Und woher mein oft vorhandenes Unbehagen kommt, wenn ein Heteropärchen neben mir knutscht.“

    kannst du das näher ausführen oder ist das mehr ein generelles nicht definierbare unbehagen?

    gruß poldy

  8. „Ich muss herhalten für ein System, das ich mir nicht ausgesucht habe. Was ich versuchen kann, ist, mich immer wieder selbst zu befragen, meine Urteile, mein Leben, meine Selbstverständlichkeiten. Und anzuerkennen, dass andere Menschen andere Erfahrungen machen, die nicht gleichwertig geäußert werden dürfen.“

    Vielleicht einfach nochmal diesen Absatz allein und in Großschrift posten. Vielleicht kapiert dann auch der letzte Spacken, was Du eigentlich sagen willst.

  9. @poldy

    das steht in dem ausgangstext, den ich verlinkt habe.

    @provinzkind

    :D

  10. Poldy

    ah, ich dachte es war eine unabhängige zusatzinfo und hab mich nur gewundert.

    danke fürs erleuchten

  11. […] einen scheinbar solidarisch gemeinten Support schnell zur Scheinheiligkeit werden lässt. Darüber reflektiert lantzschi dann auch nochmal ausführlich in ihrem eigenen Blog Medienelite: Welcome to my world, […]

  12. L

    @provinzkind

    ableistische kacksch*!

    http://www.wisegeek.com/what-is-ableism.htm

  13. @L

    oh, vielen dank für den Hinweis, dass entsprechendes Wort darauf rekurriert. Wieder was gelernt.

  14. Ich vermute mal, das es um das Wort „Spacken“ geht, aber ich kann gerade nicht ganz nachvollziehen, wo dieses Wort ableistisch sein soll.
    Ich hab jetzt auch nach etwas googlen nicht viel dazu finden können, hab auch nur wiedersprüchliche Angaben zu ursprünglicher Bedeutung/Wortherkunft finden können.
    Was ich gefunden hab, ist dass es das früher deutlich verbreitetere und auch für mich offensichtlich ableistische „Sp***is“ verdrängt/abgelöst hat, aber dass es auf den selben Wortursprung verweisen würde, hab ich zumindest nicht herausfinden können. Da hab ich nur alles mögliche eher absurde gefunden (z.B. dass es eine Kurform von „Stiernacken“ sei)

    Bitte ergänzt und korrigiert mich :D

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