Ich mache ja selten Fotos von mir in eigene Artikel, aber dieses – geschossen auf dem Gendercamp dieses Jahr – bringt sehr gut zum Ausdruck, wie ich mich in den drei Tagen gefühlt habe: allein mit etwas Sonne.
Bereits zum zweiten Mal fand das Gendercamp in Hüll statt, ein queerfeministisches Barcamp, das themen- und ergebnisoffen durchgeführt wird und offen ist für alle Interessierten. Gab es im vergangenen Jahr schon ein paar Probleme und Bauchschmerzen mit einigen Vorfällen (die meines Wissens nach nicht öffentlich besprochen wurden), war das auch dieses Jahr der Fall. Da ich 2010 noch auf einem anderen Stand war als jetzt, sind mir interne Differenzen nicht aufgefallen, ich hab mich mindestens 2x selbst in die Nesseln gesetzt mit meiner Unbedarftheit. Vielleicht öfter. Während der zwei Situationen, die mir noch im Gedächtnis geblieben sind, wurde ich augenblicklich darauf hingewiesen. Was in mir keine Schuldgefühle oder Hilflosigkeit auslöste, sondern eher mit „Aha-Effekten“ gleichzusetzen war. Im letzten Jahr nahm ich extrem viel mit, lernte unglaublich viel von den anderen, fühlte mich sicher und geborgen. (Ob das alle damals Anwesenden von sich behaupten konnten, weiß ich nicht.) Dieses Jahr war das leider nicht der Fall.
Das Gendercamp hatte 2011 wesentlich mehr Teilnehmer_innen als zuvor. Obwohl die Gruppe, die sich drei Tage im niedersächsischen Nirgendwo versammelte, sehr homogen ist (mehrheitlich akademisch/gebildet, weiß, gesund, deutsch, jung, cis), ist sie doch in sich sehr verschieden. Verschiedener als im vergangenen Jahr. Unterschiedliche Perspektiven, Herkünfte, Wissensstände, Hintergründe und Menschen, für die oben genannte „Gruppenmerkmale“ nicht (komplett) zutreffen. Diese Diversität führte zu Spannungen, die die Gruppe nicht abfedern konnte.
Das liegt wahrscheinlich zum einen an der Gruppengröße, am Barcamp-Charakter, an der grundsätzlichen Offenheit. Das liegt zum anderen aber auch an bestimmten anderen Dingen, auf die ich im folgenden kurz eingehen möchte, um verständlich zu machen, warum ich mich die meiste Zeit sehr unwohl gefühlt habe:
Das Gendercamp ist kein geschützter Raum. Konzepte, die in queerfeministischen und linksradikalen Zusammenhängen zum Teil gelebt und beachtet werden (geschlossene Räume, Beachtung von Sprecher_innen- und Machtpositionen, Definitionsmacht, Verhaltens- und Sprechregeln), wurden nicht installiert. So kam es mehrfach vor, dass Diskussionen zerfaserten, einige Leute Diskussionen dominierten oder distanzlose Fragen stellten (auch in persönlichen Gesprächen). Ich musste mich zum Teil für Dinge rechtfertigen oder erklären, die für mich seit geraumer Zeit selbstverständlich sind oder deren Gesichertheit ich mir hart erkämpft habe. Argumente blieben häufig auf individualisierter Ebene, Befindlichkeiten standen oft im Vordergrund (allerdings nicht die Befindlichkeiten der Betroffenen), dass Gesellschaft durch Machtverhältnisse strukturiert wird und Diskriminierung alltäglich Brot vieler Menschen ist, schien nicht für alle common sense.
Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, solche Vorfälle passierten nicht in queerfeministischen und/oder linksradikalen Zusammenhängen, doch, wenn dort oben genannte Mechanismen installiert sind, federn sie bestimmte Dinge ab. Alle können sich sicherer fühlen, Grenzüberschreitungen und Dominanz werden sanktioniert, es gibt Vertrauenspersonen, an die sich Betroffene wenden können. Kurz: Bestimmte Machtverhältnisse, die immer offenbar werden, wenn Menschen aufeinandertreffen, können ein bisschen ausgehebelt werden oder greifen nicht so stark.
Dass unschöne Dinge und Situationen auf dem Gendercamp passiert sind, okay. Ich glaube, sowas lässt sich kaum komplett vermeiden, fassen wir uns alle selbst an die eigene Nase. Doch, dass es dafür keine installierten Gegenmaßnahmen gab, verunsicherte mich sehr. Ich fühlte mich ausgesetzt, ohmächtig, hilflos, klein und traurig. Ich hatte auf ein tolles Wochenende mit viel Inspiration gehofft und musste mich stattdessen über soviel Grundsätzliches unterhalten oder wurde damit konfrontiert, dass ich am Ende gar keine Sessions mehr besuchte und nur noch Kontakt mit mir vertrauten Personen suchte.
Natürlich blieb das alles nicht unthematisiert im großen Rahmen. Aber auch das war sehr frustrierend. Hilflosigkeit bei allen, Negierung bestimmter Vorkommnisse und eine Grundstimmung, die mir sagte: „Wir wollen hier unsere coolen Themen besprechen, statt Unangenehmes konstruktiv anzugehen und wenn möglich zu vermeiden“. Nicht alle fühlten sich von der Thematik angesprochen und ich hörte sogar Sätze wie: „Es wird ja niemand absichtlich diskriminiert“. Nun ja, mal davon abgesehen, dass es für Diskriminierung keine Betroffenen braucht und Motivation bei Diskriminierung völlig nebensächlich ist, wurde der Tatsache weitestgehend aus dem Weg gegangen, dass auch das GenderCamp kein machtfreier Raum ist. Diskriminierung ist nicht das Problem der Betroffenen oder derjenigen, die das kritisch anmerken. Unwissenheit sollte nicht vor Sanktionierung schützen. Es geht dabei nicht darum, Menschen an den Pranger zu stellen, sondern sich vor Augen zu führen, dass Macht und Dominanz überall und jederzeit stattfindet und sich niemand davon lossagen kann, egal wie reflektiert er_sie ist. Ich hatte gehofft, das wäre die Basis eines solchen queerfeministischen BarCamps, doch die Basis war eine andere.
Ich bin dagegen, das Gendercamp als einen Raum zu konzipieren, an dem nur Menschen teilnehmen können, die Gender Studies studiert haben oder ausreichend Vorwissen mitbringen (zumal: Wer_welche entscheidet, was „ausreichend Vorwissen“ sein soll?). Es muss möglich sein, Räume zu schaffen, die Interessierten offen stehen und gleichzeitig Schutz bieten für die, die tagtäglich mit Ausschlüssen und Dominanz konfrontiert sind oder sich damit auseinandersetzen. Doch was oder wer_welche bilden dafür den Bezugsrahmen? Diese Frage ist mit Verunsicherungen, Verletzungen und Hilflosigkeit verbunden, aber sie sollte konstruktiv und verständnisvoll angegangen werden. Gut ist, dass das bereits auf dem Gendercamp passiert ist. Danke an alle, die das thematisierten und besprochen haben. Ich konnte es teilweise nicht.
Ich würde mir für das kommende Jahr wünschen, dass die Frage im Vornherein geklärt wird, um niemensch den gleichen Situationen erneut auszusetzen, wie sie in diesem und im letzten Jahr passiert sind. Oder für solche Fälle gleich Hilfestellungen parat zu haben. Der Spagat zwischen Macht und Vermittlung ist unglaublich schwer, das Orgateam muss viel leisten, was mir extrem viel Respekt und Anerkennung abringt. Danke. Ich würde mich anbieten, zu unterstützen, damit wir 2012 ein Gendercamp durchführen können, auf dem sich alle gleichermaßen wohl fühlen können.
Was auf jeden Fall sehr positiv anzumerken ist und nicht unter den Tisch fallen darf bei aller Kritik: Das Gendercamp ist eine Ausnahme-Veranstaltung in Deutschland. Nicht nur, was die inhaltliche Ausrichtung betrifft, sondern auch die dortigen Strukturen (Logistik, Preispolitik, Klima) und die Teilnehmer_innen. Ich bin unglaublich froh, dass es das Gendercamp gibt. <3
Für alle, die wissen wollen, was wir auf dem Gendercamp besprochen haben: http://gendercamp.posterous.com/ (wird in den kommenden Tagen noch weiter ergänzt)
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