Nachdem nun auch Spreeblick die Diskussion um den Lehmann-Film aufgegriffen hat und das Ganze in eine Metadebatte um Kommunikationsstil, Missverstehen und Argumentationsweisen ausfranst, gehe ich einen Schritt zurück und verweise auf Antje Schrupps Text zu Vermittlung, den sie neulich nach der Diskussion um die Frauenquoten in Blogrolls geschrieben hat.
Was mir in all den Debatten, nicht nur den aktuellen, auch sonst, wenn wir über Rassismus, Sexismus, Homophobie zu berichten wissen, auffällt, ist folgendes Schema: Jemensch beschwert sich über den Mist, der passiert, andere wiederum tun das als individualisiertes Problem ab, negieren Erfahrungen, negieren dieses Problem als Repräsentation für ein strukturelles Gefüge, das uns alle irgendwie einen Platz zuweist, von dem aus wir eingeschränkt werden, was die Schlagkräftigkeit der Argumente betrifft.
Wer gesellschaftliche Machtverhältnisse kritisiert, muss sich fragen lassen, warum er_sie unbequem ist oder nicht vielleicht überzogen reagiert oder es einfach nicht das versteht, worum es eigentlich geht (wobei letzteres selten ausgeführt wird). Wenn beide Seiten nicht aufeinander zugehen können, sich nicht klar machen können, worin ihre Intention, ihre Kritik besteht, liegt ein Vermittlungsproblem vor. Wir müssen uns dann fragen, so argumentiert auch Antje, wie wir das ändern können oder ob wir überhaupt vermitteln wollen. Wollen wir konfrontativ sein? Wollen wir die Diskussion „gewinnen“, dominieren, uns Gehör verschaffen, überzeugen oder verständlich ein Problem darstellen, das für alle Leser_innen nachvollziehbar ist, ohne dass sie mit uns übereinstimmen müssen. Das müssen wir uns zuerst beantworten, um danach auch genau das erfolgreich vermitteln zu können. Sonst franst alles aus, so wie es auch jetzt wieder in Teilen passiert ist.
Es fällt mir schwer, auf einer Metaebene abstrakt und universell zu argumentieren, ich will es trotzdem versuchen, weil ich glaube, dass ich einen Punkt in all den Diskussionen, die ich auf diesem Blog und anderswo in den letzten Jahren schon geführt habe, noch nicht vermitteln konnte, auf den mich aber Deef kürzlich gestoßen hat, danke hierfür.
Anders als Antje und vielleicht viele andere auch, gehe ich nicht davon aus (egal in welche Diskussion zu welchem Thema wir uns begeben), dass sich grundsätzlich immer formal gleiche Diskussionspartner_innen in formal gleichen Diskussionsbedingungen gegenüber stehen. Das habermas’sche Ideal von einem herrschaftsfreien Diskurs gibt es nicht.
Wir befinden uns je nach Kontext in unterschiedlichen sozialen Positionen, von denen wir aus argumentieren können. Je nach Kontext und Diskussionsteilnehmer_innen ist unsere Sprecher_innenposition eine andere. Wir gehen nicht als neutrale und wertfreie Personen in eine zunächst neutrale und wertfreie Diskussion hinein. Die Machtverhältnisse und Diskurse, die uns täglich umgeben und zurichten (in welcher Form auch immer), sind bestimmend dafür, was wir a) diskutieren und b) wie wir es diskutieren. Wie ich gerade beschrieb, ist das nicht immer determiniert, sondern ändert sich je nach Kontext. Doch eine vordiskursive Positionierung unserer selbst und unserer Argumente ist nicht möglich. Das ist mein eigener theoretischer Zugang zu Kommunikation, Diskussion und Vermittlung, den ich wohl so noch nicht offengelegt habe.
Dementsprechend formuliere ich meine Texte und steige in die Diskussionen ein. Meine Positionierung hinterfrage ich, bevor ich meine Texte schreibe. Zunächst ist klar, dass das hier ein sehr offener, privat geführter Blog ist, ich bin öffentlich überall im Netz zu finden, mensch kann sich von mir ein ziemlich umfangreiches Bild machen, bevor er_sie mich anspricht. Meine Themen sind mal mehr, mal weniger klar umrissen, meistens beschäftige ich mich mit Gesellschaft, Strukturen und Machtverhältnissen. Das sind unbequeme, polarisierende und hart umkämpfte Themen. Vielleicht die konfliktreichsten Themen überhaupt, weil sie alle in irgendeiner Art und Weise betreffen. Diese Dinge kritisch zu beleuchten, auch in einem Umfeld, in dem ich als Autorin meistens offen bin, während Kommentator_innen anonym sein können und dürfen, verlagert unsere Diskussionspositionen schon das erste Mal. Dann kommt je nach Kontext hinzu, welchen sozialen Differenzkategorien ich mich zugehörig fühle (oder zugeordnet werde) und mein_e Diskussionspartner_innen. Das ist nicht ausblendbar, wie ich weiter oben bereits schrieb. Das verschiebt unsere Sprecher_innenpositionen erneut. Nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Machtverhältnisse spiegeln sich auch in einer Diskussion wieder.
Eine Vermittlung wird umso schwieriger, je unterschiedlicher diese Positionen gelagert sind. Deswegen komme ich mit sexismuskritischen Menschen wohl eher auf einen Nenner als mit Leuten, die dazu noch kein Wissen mitbringen. Letzteres kann jedoch möglich werden. Wovon ich mich in den letzten Jahren allerdings weitestgehend verabschiedet habe, ist folgendes: ich diskutiere nicht mehr (oder ungern) mit Menschen, die der Meinung sind, sie müssten nicht zuhören, bevor sie in eine Diskussion einsteigen. Sie müssten nicht lesen oder erstmal aufnehmen, was ich zu sagen habe. (Und ich beginne eine Diskussion ja meist mit einem Ausgangstext). Ich diskutiere auch nicht mehr mit jenen, die der Meinung sind, ihre persönliche Erfahrung und ihr persönlicher Blickwinkel würde über all dem stehen und von einer Wahrhaftigkeit sprudeln, was vor ihnen Hunderttausende anders erlebt, anders gedacht, anders theoretisiert und praktiziert haben.
Ich könnte mir nun die Mühe machen, noch einmal anders aufzuschreiben, was ich zuvor bereits geschrieben habe. Was ich aber erlebe ist, dass auch das wiederum negiert und abgekanzelt wird. Wofür gebe ich dann also meine Kraft aus? Bin ich in der Pflicht gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verändern, weil ich dazu kritisch stehe oder jene, die daran lieber nicht rütteln wollen, geschweige denn diese sehen? Ich möchte ungern die Vermittlerin spielen in Diskursen, in denen sowieso von vornherein festgelegt ist, wer sein Wissen hegemonial absichern kann und wer nicht, wer dominant und wer marginalisiert sein wird mit ihrer_seiner Position und seinen_ihren Argumenten. Weil ich wie gesagt davon ausgehe, dass es keine vordiskursive, wertneutrale, herrschaftsfreie Diskussion geben kann. Alles bettet sich ein in ein sehr komplexes Machtgefüge.
Ich habe, seitdem ich in dieser bestimmten Art und Weise meine Texte verfasse und in Diskussionen einsteige, für mich mehr Kraft gezogen, mehr Inspiration gefunden, mehr gewinnbringende Debatten geführt als in den Jahren zuvor, als ich mir noch die Mühe gemacht habe für Privilegiennegierer_innen die Erklärbärin zu mimen, um danach wieder mit ekelhaftem Verweigerungszeug beschmissen zu werden, statt zu anzuerkennen, dass die Person hier mal kurz nicht das Wissen und die Sensibilität mitgebracht hat, die es für eine gleichberechtigte Diskussion gebraucht hätte. Sich in eine Diskussion hineinzustellen und zu sagen: „ich kapier das alles nicht. bitte serviere es mir noch einmal auf einem Silbertablett“ ist eine Form von Machtausübung und nur möglich, weil diese Person es eigentlich nicht wissen muss, weil es nicht zum Alltagswissen dazu gehört zu wissen, wie wir gesellschaftlich positioniert sind und warum das so ist.
Wir können uns über jede_n und jedes Wissen hinwegsetzen, was sich mit gesellschaftlichen Lagen kritisch auseinandersetzt, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Ob wir das unbewusst oder bewusst tun, macht dabei eigentlich keinen Unterschied. Wir können aber auch beginnen, uns hinzusetzen, wenn wir einen (ungewohnten) Raum betreten und erstmal zuhören. Damit wir überhaupt bereit für Vermittlung sind.
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