Liebe Leser_innen,
wahrscheinlich langweile ich Sie, wenn ich dieses leidige Thema wieder aufgreife, zu dem es sogar schon Studien und Diplomarbeiten gibt. Warum ‚Frauen‘ so wenig repräsentiert sind in der deutschsprachigen Blogosphäre. Vielleicht, weil sie einfach über andere Sachen schreiben, diese ‚Frauen‘. Vielleicht, weil sie neben Erwerbsarbeit auch noch Reproduktionsarbeit leisten und einfach nicht so häufig im Netz unterwegs sind wie die ‚Männer‘. Vielleicht, weil ‚Männer‘ zu lautstark sind. Der männliche Habitus, hegemoniale Männlichkeit, Sexismus im Netz, Troll-Gedöns, Morddrohungen, blablabla. Sie kennen das schon. Wenn nicht, googlen Sie es.
Dass sich Herrschaftsverhältnisse der „Offline-Welt“ im Netz reproduzieren und genau dieser Fakt nicht mit „Ist doch nur das Internet, alles halb so wild“ wegzuschieben ist, sollte für uns alle keine Neuigkeit sein. Wenn doch, dann empfehle ich, mit offenen Augen und einer Portion (Selbst)Kritik mal durch die Blogs zu surfen (und überhaupt: Welche Blogs lesen Sie und warum keine anderen?), gern auch ein paar Kommentare unter Postings zu lesen. Vieles wird Ihnen bekannt vorkommen. Bekannt aus diesem Reallife.
Auch Sascha Lobo weiß das alles und dachte sich zum 100. Jubiläum des Frauenkampf- und Feminist_innentages, dass er dieser Ungerechtigkeit Abhilfe verschaffen will. Indem er in seiner Blogroll eine Frauenquote einführt. Vorschläge dafür sollten von den Leser_innen selbst kommen. Frauen sichtbar machen. Eine feine Sache. Fanden auch viele Leser_innen, verlinkten eifrig und freuten sich riesig.
Nun ja. Ich redete dagegen, gewohnt nicht immer sehr freundlich. Sascha kommentierte seinerseits etwas fragwürdig (für meine Begriffe). Dennoch macht es Sinn, sich mal mit dem Sichtbarkeitsargument auseinander zu setzen.
Für mich stellt sich zunächst die Frage: ‚Frauen‘. Wer oder was ist das und wer_welche gehören dazu? Oder möchten dazu gehören? Ich bin ja eher gegen die Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit oder der Festschreibung vermeintlich homogener Gruppen als Kategorien, aber das finden andere mit anderen theoretischen Perspektiven sicher okay. Andererseits: als gäbe es nicht genügend ‚Männer‘, die über Themen bloggen, die im Netz eher Randdasein fristen, weil sie zu kritisch sind oder Privilegien, Ungleichheiten und Herrschaftsverhältnisse thematisieren.
Neben antifeministischen Klischees, die Sascha wälzt („Dass unter der Flagge des Feminismus auch viel Quatsch passiert ist, ist vollkommen klar, die meisten -ismen hatten und haben problematische Fans, die die Sache veralbern bis pervertieren. Dass ich mit den durchaus vorhandenen antimännlichen Tendenzen wenig anfangen kann, sollte auch nachvollziehbar sein“), finde ich es bemerkenswert, dass ihm ‚Frauen‘ zuarbeiten sollen, ein Blog zu empfehlen. Sascha, der selbst bekennender Feminist ist, müsste freilich wissen, wo die bloggenden ‚Frauen‘ und/oder Feminist_innen im Netz zu finden sind.
Die Sache mit den ‚männlichen‘ Privilegien ist ja meistens die, also im Netz vornehmlich, dass dieses ganze Wissen, all diese ‚Frauen‘, frei für jede_n zugänglich im Netz herumschwirren. Man(n), mensch, you name it, müsste sich nur die Mühe machen, das zu googlen. Und selbst, dass hier Menschen mit ‚männlichen‘ Privilegien in der Lage sind, auf dieses Wissen und diese Menschen zurückzugreifen, stellt ein Privileg dar. Es stellt noch mehr ein Privileg dar, Fragen stellen zu können und diese auch beantwortet zu bekommen, weil Sascha ein Blogger mit genügend Leser_innenschaft und Credibility ist. Ich hätte das gern öfter reflektiert, wenn solche gut gemeinten Aktionen an den Start gebracht werden, aber vielleicht erwarte ich auch zu viel. Vielleicht ist das auch anmaßend und belehrend von mir, sehe ich ein unter Umständen, aber es ist aufgrund der Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen das, was mir in den Kopf schießt bzw. das worüber ich nachdenke, wenn Akteur_innen Emanzipatorisches versuchen. Wer spricht in welchem Kontext über was mit wem? In welchen (herrschenden) Diskurs bettet sich das ein?
Gleich zur nächsten Frage: Frauenquote. Ich gehöre zu den Quotenschlampen schlechthin, ich liebe Quotierungen, weil sie äußerst wirksam sind – wenn sie die ‚richtigen‘ Gruppen bevorzugen und eine geeignete Quote (es gibt da so mehrere Arten) im ‚richtigen‘ Kontext eingesetzt wird. Deswegen halte ich von Quoten für Aufsichtsräte nicht viel, weil sie nur bestimmte Frauen betreffen und nicht an den Strukturen rüttelt. Deswegen finde ich eine Blogroll-Quote, meinetwegen auch eine Verlinkungsquote, nicht so sinnvoll, weil sie nicht an den Strukturen rüttelt. Es sind Einzelaktionen, die verpuffen. Es sind bestimmte Frauen, die hier bevorzugt werden, weil mensch untereinander kennt und gern verlinkt.
Wir wissen aus der Offline-Welt, dass wir gern Menschen bevorzugen, die wir kennen. Ich würde auch lieber meine Partnerin bei mir einziehen lassen als eine_n Fremde_n. Dasselbe im Netz. Wir verlinken auf Menschen, die wir kennen. Nicht auf Themen, die wir spannend oder gehaltvoll finden oder weil sie neue Perspektiven eröffnen. Wir verlinken auf Menschen, die uns ähnlich sind, nicht auf solche, die wir kontrovers finden. Zumindest in der Tendenz ist das so. Und wer_welche ehrlich ist, wird sich das auch eingestehen können. Schlimm ist das nicht, aber es ändert eben auch nichts an der Sichtbarkeit oder an ausschließenden Strukturen, die wir im Netz so vorfinden.
Wenn schon Quote im Netz, dann bitte eine Themenquote mit Hinblick auf den soziostrukturellen Background des_der Schreibers_in. Eine ‚Frau‘ macht schließlich noch keinen Antisexismus. Schwer umzusetzen? Viel Arbeit notwendig? Sicherlich. Aber wenn wir schon von der politischen Kraft des Netzes reden, sollten auch alle daran teilhaben können, oder? Sollte Herrschaftskritik zum Grundinventar gehören. Ich würde mir wünschen, dass Menschen mit Diskursmacht, wie Sascha Lobo einer ist, der, wenn er schon freudigerweise an Gleichberechtigung interessiert ist und sich feministisch verortet, solche Themen, die bisher gewaltvoll marginalisiert werden, an die Oberfläche holt und zur Diskussion stellt. Leser_innen und Blogger_innen damit bewusst macht, in welchen Blasen wir uns permanent bewegen und wie wir an ihrem Fortbestehen mitwirken.
Es geht nicht darum, ob ‚Frauen‘ sichtbar sind, sondern ob ihre Themen sichtbar sind. Themen, über die auch ‚Männer‘ schreiben. Themen über die auch jene schreiben, die sich außerhalb der Heteromatrix verorten (können/müssen/wollen). Themen über die auch jene schreiben, deren Ausschlüsse sich vielleicht gar nicht an Geschlecht festmachen, sondern an Hautfarbe, sozialer Zugehörigkeit, Migrationserfahrung, Alter, Dis/Ability, etc. Themen, die andere anders betreffen. Themen, die auch Offline nicht rezipiert werden, obwohl sie zum Alltagswissen gehören sollten. Themen, die ermöglichen könnten, ein Leben ohne gewaltvolle Ausschlüsse und Dominanz zu führen.
Dazu gehört für mich zunächst die Einsicht, nicht selbst frei von Privilegien oder dominantem Verhalten zu sein, mich selbst kritisch zu hinterfragen, mit wem ich wie umgehe, wen und was ich außen vor lasse in meinen Betrachtungen und warum. Dass es beispielsweise nicht an den ‚Männern‘ liegt, dass ‚Frauen‘ unsichtbar sind, sondern an sexistischen Strukturen. Dass auch „Nicht-Männer“ daran beteiligt sind. Dass Sexismus, Rassismus, Bodismus, etc. immer in ihrer Überschneidung, Verschränkung und Überlagerung zu betrachten sind.
Mit dieser Erkenntnis könnten wir uns auf die Suche machen nach Themen, Menschen und Dingen, die wir ansprechen, problematisieren und skandalisieren müssen/wollen/können. Die wir hervorheben wollen, ob positiv, ob negativ, die wir in unsere Politiken einbeziehen. Weg mit den Kategorien. Weg mit dem Sichtbarkeitsproblem, das bisher nur ‚Frauen‘ adressiert und die Ermöglichungsbedingungen dieses Problems unreflektiert links liegen lässt. Weg mit der Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen. Weg mit Privilegienpenissen und Privilegienmuschis.
Ein Feminist, der sich ‚Frauen‘ vorschlagen lässt für seine Blogroll, geht mir nicht weit genug. Trotzdem danke für diese Aktion. Weil es mir selbst bewusst gemacht hat, wo meine Grenzen des bisher Ermöglichten liegen. Und dass es sie aufzubrechen und zu überschreiten gilt.
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