Ich oute mich gleich zu Beginn: Ich hatte noch nie etwas mit einer lesbischen Frau. Oder einer Frau, die auf Frauen steht, sich zu ihnen hingezogen fühlt, sich etwas mit Frauen vorstellen könnte oder Frauen, deren sexuelle Neigungen (gewollt) indifferent sind. Vorausgesetzt natürlich, sie haben dies in einem Gespräch mit mir kundgetan oder ich wusste vor einem ersten Gespräch auf wundersame Weise davon. Im Ahnen oder Vorhersagen bin ich nämlich unterqualifiziert.
Ich habe in meinem Leben bisher vier Frauen geküsst. Mit der Hälfte führte/führe ich eine Beziehung. Alle vier lebten zuvor oder leben noch immer heterosexuell und/oder hatten sich bezüglich ihrer sexuellen Orientierung bis dato keine Gedanken gemacht. Klar, wir alle kennen Flaschendrehen, doch Flaschendrehen zählt in diesem Fall nicht.
Ich finde Frauen uninteressant, die oben genannten Kriterien entsprechen. Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist.
Neulich, als ich mit zwei meiner lesbischen Freundinnen in einem Café saß und wir, sexistisch, wie wir sind, der weiblichen, attraktiven Bedienung kollektiv auf den Hintern starrten und uns stille Bewunderung für ihr zauberhaftes Lächeln nicht verkneifen konnten, stellte ich mir diese Frage erneut. Nein, eigentlich stellte ich sie laut und wir begannen über unsere weiblichen Vorlieben zu diskutieren.
Auf Gay-Partys scanne ich stets das Publikum ab, Menschen zu studieren, bereitet mir großen Spaß. Wie gehen Frauen, Queers und Trans* mit ihrem Gender um? Ein Karneval der Rollenkuriositäten. Bewundernswert. Doch attraktiv finde ich keine_n von ihnen.
Mein Gaydar lässt mich selten im Stich. Meine Trefferquoten in hetero- und homosexuell lassen viele vor Neid erblassen. Nach welchen Kriterien ich messe, kann ich nicht beschreiben. Stereotypen spielen eine wesentliche Rolle, aber erst das Zusammenspiel verschiedenster Dinge macht einen validen Gaydar aus. Dabei ist natürlich keinesfalls ausgeschlossen, dass es zu Ver/W/Irrungen kommen kann. Ein Edelstein mehr in meinem Erfahrungsschatz.
Nehmen wir an, die sexuelle Orientierung eines Menschen sei fließend. Was nicht heißt, dass jede heterosexuell lebende Frau prinzipiell „umpolbar“ sei, weil Frauen wissen, was Frauen wollen. Das ist Quatsch. Ich kann das bestätigen, ich kenne viele Geschichten, die in die Hose gegangen sind. Buchstäblich. Doch dieser Fluss kann bedeuten, dass es hier und da zu Strandungen kommen kann. Ein kurzer oder längerer Besuch an den unzähligen Anlegestellen der Liebe. Ich weiß, dass so etwas existiert. Ich habe es am eigenen Leib erfahren und es fühlte sich ziemlich gut an. Mit diesem Wissen im Hinterkopf und dem Gaydar im Anschlag begegne ich Frauen.
Zurück ins Café zur schnuckeligen Bedienung, unseren herausgefallenen Augen und dem verschmitzten Grinsen. Wie die drei Engel für Lesboland sitzen wir also aufgereiht auf dem Sofa, beobachten sie, wie sie Gäste abkassiert und rühren dabei bedächtig mit dem Löffel in unseren Cappuccino-Tassen. „Warum stehe ich immer auf Heteros“, frage ich in die Runde während mein Blick von ihr zu meiner Freundin wandert. „Weil heterosexuelle Frauen anders mit ihrer Weiblichkeit…nein…ihrem Frausein umgehen“, antwortet sie, als hätte sie das in einem Buch für Sexualsoziologie nachgelesen. Diesen anderen Umgang finde ich offenbar anziehend.
Wir entwickelten im gemeinsamen Gespräch folgende Theorie, die ich hier gern vorschlagen und zur Diskussion stellen möchte – mit Verlaub – ohne Besitzstandswahrung: Mit dem Coming-Out (für sich oder das soziale Umfeld) ist eine lesbische Frau gezwungen, sich mit ihrem Körper, ihrem Sex, ihrem sex und ihrem Gender auseinander zu setzen. Ebenso mit ihrem Frausein, mit ihrer Attraktivität, Außenwirkung, mit allen Dingen, hinter in denen sie weibliche Nuancen vermutet. Und natürlich ist sie stets bemüht, sicher geglaubte Begriffe zu hinterfragen. Sie wird sich dieser inneren Diskussion stellen müssen, allein, weil sie sich zwangsweise Homophobie, (Hetero-)sexismus oder neugierigen Fragen ausgesetzt sieht. Dieser Prozess, der verspätet oder zeitnah zum Coming-Out einsetzen und unterschiedlich lang dauern kann, verändert eine lesbisch lebende Frau. Vielleicht nicht immer tiefgreifend und in allen Kriterien, die ich gerade benannt habe, welche zur Diskussion stehen, mindestens aber ist es ein Reifeprozess, eine Bewusstseinswerdung.
Eine heterosexuell lebende Frau kann genau das auch tun. Sie muss es allerdings nicht. Da die Gesellschaft heteronormativ geprägt ist, ist jede Frau automatisch hetero, die den gängigen Gender roles entspricht. Da diese immer fluktuierender und diffiziler werden, kommt frau kaum in sexuell identitäre Erklärungs- und Rechtfertigungsnöte. [Hier muss hinzugefügt werden, dass ich gerade von abled persons spreche und solchen, die ins BMI-Korsett passen oder passen wollen. Und weiß müssen sie sein. Sorry for othering you, but I don’t want to be assumptive and talk for all the ladies in general.]
Das Frausein einer heterosexuellen Frau ist demnach wesentlich subtiler und selbstverständlicher gelebt. Eine heterosexuelle Frau muss sich nicht um andere Frauen bemühen, sie sind lediglich Freundinnen, keine (potentiellen) Partnerinnen. Sie müssen nicht mit anderen Frauen flirten, sie greifen bei einem Flirt auf ihren Erfahrungsschatz und ihre Stereotype in Bezug auf Männer zurück, die gegebenenfalls Codes enthalten, die für andere Frauen nicht brauchbar/gewünscht sind oder erkannt werden.
Für eine heterosexuelle Frau bin ich als lesbische Frau quasi unsichtbar. Mir gefällt das, ich kann ungehemmter flirten oder Komplimente verteilen, ohne erkannt zu werden. Erkannt im Sinne einer möglichen Sexualpartnerin, einer möglichen Beziehung, eines möglichen Flirts, einer möglichen Versuchung. Erkannt im Sinne einer möglichen Zufälligkeit der Berührung. Ich missbrauche in diesem Fall das Frausein dieser Frau. Ich fühle mich nicht schlecht damit. Bei einer lesbischen Frau ist ein Kompliment eben nicht nur ein Kompliment, sondern eine Möglichkeit. Das Wissen um diese Möglichkeit, macht es mir unmöglich Gefallen daran zu finden. Es ist zu eindeutig, trotz der Vag- und manchmal Zaghaftigkeit eines Annäherungsversuchs.
„Wenn sich eine heterosexuelle Frau auf dich einlässt, weißt du, dass es wegen dir ist“, warf die andere Freundin ein. Wären wir bei der langweiligen These des „Ich liebe Menschen, nicht das Geschlecht“ angekommen. Ich gebe ihr zum Teil recht, erweitere aber ihre Aussage noch etwas: Wenn sich eine heterosexuelle Frau auf mich einlässt, dann wegen mir. Das mir bin ich, mein Frausein, meine (sexuelle) Identität, mein Körper. Entweder im Zusammenspiel oder einzeln auftretend. Personen, die meinen, sie liebten Menschen und nicht das Geschlecht, entscheiden sich leider für eine ziemlich regressive Auslegung des Begriffes Geschlecht. Personen, die meinen, sie liebten Menschen statt Geschlechter, können nicht verleugnen, dass wir Charaktere nicht ficken können. Sie klammern sich an einen Satz, der sie nur dazu zwingt, ihr gesamtes Ich auf Teile davon reduzieren und ihr reduziertes Ich zu rechtfertigen. Vor Menschen, die noch weniger von ihrem gesamten Ich in eine Möglichkeit hineingeben. Ich plädiere daher für den Satz: „Ich liebe Menschen und zwar alles an ihnen.“
Ich sehe in einer heterosexuellen Frau kein Abenteuer, kein Spiel, an dessen Ende das Ticket für den Zug nach Lezzytown wartet. Ich werfe keine Würfel und hoffe auf einen 6er-Pasch. Ich gehe jeden Schritt bewusst. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, wenn ihr Blick Schattierungen und ihre Reaktion Nuancen von Möglichkeiten sichtbar machen.
Das Schichtende der hinreißenden Bedienung naht, sie beglückt uns mit einem nächsten zauberhaften Lächeln, wirft ein Kompliment und ein paar Kekse in die Runde. Ich streue Teile der nachfolgenden Konversation ins Netz und begnüge mich zunächst mit dem Übungsplatz Internet. Danach verteile ich Herzen an meine Freundin.
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