Über kritische Bemerkungen zum Judentum

Vor zwei Tagen setzte Frank Rieger obigen Tweet ab und versah seine Äußerung mit einem Link zu diesem Artikel. Inhalt des Artikels ist folgender: Ein Mann singt vor Männern und Frauen und bekommt dafür als Strafe 39 Peitschenhiebe. Woran denken Sie, wenn sie das lesen? Sicher nicht sofort an das Judentum und bestimmt fällt Ihnen auch nicht gleich an, weshalb sich der Sänger inkorrekt verhalten hätte. Eine orthodoxe Auslegung des Judentums trennt in vielen gesellschaftlichen und privaten Bereichen nach Geschlecht. Zuwiderhandlungen stehen offenbar unter Strafe, wie uns dieser Artikel nahe legt. Soweit.

Wie der abgebildete Tweet zeigt, retweeteten 13 Twitterer diesen Tweet (mit Frank Rieger’s Äußerung) über die Retweet-Funktion von Twitter.com (OMG dieser Satz!). Weiterhin gab es noch andere Formen der Retweets mittels „RT @frank_rieger“ und „via @frank_rieger“. Der Artikel selbst wurde bereits über 2000 Mal auf Facebook gepostet und fast 300 Mal auf Twitter verbreitet. Wie oft er angeklickt und gelesen wurde, kann ich hier nicht nachvollziehen, aber das soll uns auch nicht weiter interessieren.

Während also deutschsprachige Twitterer Riegers Äußerung über „Wüstenreligionen“ kommentarlos übernahmen, setzte @doktordab ein paar eigene Worte ein: „Nicht nur Taliban peitschen Sünder. Auch in Israel kann man wegen Singens bestraft werden“ Fefe übernahm den Artikel in seinen Blog und schrieb folgende Worte dazu: „39 Peitschenhiebe für einen Sänger, weil er vor Männern und Frauen vorgetragen hat. Saudi Arabien? Iran? Nein, Israel!“ Warum ich das erwähne, erzähle ich gleich.

Doch zunächst soll es darum gehen, weshalb ich mich diesem Thema überhaupt zuwende bzw. warum es mir sogar negativ aufgestoßen ist. Der Artikel selbst erschien am 27. August in der israelischen Presse. Frank Rieger, die Twitterer und Fefe verlinkten ihn am 29. August – also nur einen Wimpernschlag von Sarrazins Äußerung entfernt, alle Juden würden ein bestimmtes Gen teilen. Dieser Hinweis ist deshalb von Bedeutung, hat Sarrazin damit bestimmte Diskurse wieder neu entflammt: Seit dieser Äußerung (und natürlich auch seit den Äußerungen über Muslime, Türk_innen und Araber_innen, sowie dumme Unterschichtler_innen) reden wir auf einmal wieder über Kultur, Religion, Biologie und die Vererbbarkeit von Intelligenz – alles wird im selben Atemzug erwähnt, aufgedröselt, zersetzt, kritisiert, in Teilen befürwortet usw.

Es ist also durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Konsument_innen und Teilnehmer_innen dieser Diskurse im Netz herumsurfen auf der Suche nach Informationen über die Teilaspekte dieser Diskurse, um sich Wissen anzueignen und damit später etwas zum Diskurs beitragen zu können. Die Fülle der abgesetzten Tweets und geschriebenen Blogeinträge, sowie etliche Zeitungsartikel, etc. zu Sarrazin legen dies nahe.

In diese Diskurse führt Frank Rieger nun den Artikel ein, dass im Judentum Geschlechterseparation gelebte Praxis ist, die bei Zuwiderhandlung bestraft wird. Was bringt uns diese Information? Erstmal nichts, weil sie keinen Neuigkeitswert darstellt. Weder ist Geschlechterseparation im Judentum neu, noch Geschlechterseparation als solche, die sich in unterschiedlichen (auch atheistischen) Gesellschaften vielfältig wiederfindet.

Wahrscheinlich wurde der Artikel daher aus dem Grund erwähnt, dass Peitschenhiebe zum Bestrafungs- und Züchtigungsregime vermeintlich rückschrittlicher, religiös geprägter Gesellschaften („Wüstenreligionen“, „fundamentalistische Spinner“) gehören. Rieger hält diese Praxis darüber hinaus für natürlich. Natürlich, weil Strafe in Form physischer Gewaltanwendung Religionen und fundamentalistischen Strömungen (für Rieger scheint das eine Suppe) inhärent seien. Sie lägen in der Natur der Sache. Zweifelsohne ist das eine unzulässige Naturalisierung religiöser Praxis und Religion selbst und daher völlig unsachlich. Der Ton, der dieser Äußerung beiwohnt, trägt zu meinem Eindruck bei. Riegers Fazit: Religionen sind scheiße.

Einen Schritt weiter gehen @doktordab und Fefe mit ihrer Kommentierung, weil sie sich mehr auf der Meta-Ebene abspielen und nicht sofort zu dechiffrieren sind. Hier wird nicht mehr dezidiert auf das Judentum abgestellt, sondern auf den Staat Israel. Judentum = Israel, wollen uns die beiden Herren mitteilen. Zwar fand dieses Ereignis in Israel statt, doch was hat das mit der Geschichte als solche zu tun? Ich sehe hier keinen Zusammenhang und daher auch keinen Grund, Israel ins Spiel zu bringen, es sei denn, es steckt ein anderes Motiv hinter der Äußerung statt die Kritik an der Bestrafungspraxis. Hier ließe sich aber lediglich spekulieren, deshalb lasse ich das.

Weiterhin teilen Fefe und @doktordab Riegers Ansicht, Religionen im allgemeinen und das orthodoxe Judentum im besonderen seien hauptsächlich fundamentalistischer Prägung, da sie zum Vergleich die Taliban, Saudi-Arabien und Iran heranziehen. Wieder findet eine Gleichsetzung von Religion und Staat statt sowie eine Pauschalisierung, in diesen Ländern seien hauptsächlich fanatische Fundamentalist_innen am Werk, die ihre Glaubensanhänger_innen mit drakonischen Strafen geißeln. Als wäre dies der einzige Gehalt von Islam und Judentum und als seien diese Religionen die einzigen Weltanschauungen in diesen Ländern.

Besonders perfide sind diese Kommentierungen allein deshalb, da sie den Eindruck erwecken: „Ihr regt euch immer über den Islam auf, der is aber gar nicht mehr böse als das Judentum“. Hier soll eine politische Botschaft vermittelt werden: Den Islam als westliches Feindbild aufzugeben und Religionen als solche in Frage zu stellen. Also ganz nebenbei noch eine unbewusst oder bewusst eingestreute Kritik am vermeintlich westlichen Vorgehen der Instrumentalisierung. Wie absurd.

Mir geht es nicht darum, Religionen nach ihren Dogmen zu werten und zu hierarchisieren, sondern zu veranschaulichen, dass Rieger, Fefe und @doktordab ein einseitiges Bild von Staaten und Religionen zeichnen, das so nicht zutreffend ist und sich unter die diskursive Gemengelage mischt, die Sarrazin mit seinen Äußerungen losgetreten hat. Unverantwortlich in meinen Augen.

Vielleicht sollte mensch sich vorher fragen, warum er/sie/es glaubt, diese Information sei jetzt wichtig genug, sie zu streuen und zu kommentieren. Die Antwort gibt mir beispielsweise dieser Artikel (mit dieser Überschrift!!! WTF!?!) auch nicht.

Dass solche Tweets, Artikel und Bemerkungen antisemitische Ressentiments befördern können und mal wieder „den“ Islam konstruieren, ist den Herren offenbar nicht bewusst. Noch weniger wird ihnen bewusst sein, dass sie damit ihre eigene Position überhaupt nicht reflektiert haben. Die Norm der westlichen Welt mit ihren angeblich ursprünglichen Werten von Freiheit und Demokratie und ihre Rolle im anti-westlich geprägten fundamentalistischen Spiel bleibt weiterhin unsichtbar. Sarrazin ist dies auch nicht bewusst. Aber das wäre jetzt wirklich ein unzulässiger Vergleich.


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12 Antworten zu „Über kritische Bemerkungen zum Judentum“

  1. L.W.K

    1. Ja!

    2. Was wirklich erschrickt ist, wie viel man mit gebetsmühlenartiger Wiederholung des falschen Sachverhalts bzw. seiner Reduzierung auf eine bewusst irreführende Schlagzeile erreichen kann (z.B.: Ground Zero Mosque).

    Daher sehe ich mich gezwungen umgekehrt dasselbe zu tun, zumal ich davon ausgehe, dass doch einige nicht den ganzen Text lesen werden: Die Peitschenhiebe sind keine Sanktion des israelischen Staates, sondern einer privaten Jurisdiktion, der sich der „Verurteilte“ freiwillig unterworfen hat (und die Ground Zero Mosque ist keine Moschee und nicht am Ground Zero).

    3. Aber, nebenbei: Warum „Muslime“? Passt der Begriff etwa auf Gläubige aller geschlechtlichen Ausrichtungen? Durch inflationäre Nutzung des Binnen-Underscore wird der typographische Stolpersteineffekt mittlerweile durch sein Fehlen ausgelöst…

  2. @L.W.K

    Danke für deine inhaltlichen Ergänzungen.

    Zum Gender-Sprech: da bin ich gerade etwas durcheinander.
    m: Der Muslim. Plural: Muslims oder Muslime. // w: die Muslimin oder Muslima. Plural – Musliminnen oder Muslimas.

    Korrekterweise hätte ich hier Muslim_innen schreiben müssen, denke ich. Danke auch hier für den Hinweis und noch als Ergänzung – das ist nicht inflationär, sondern inklusiver Sprachgebrauch ;-)

  3. zer0

    Nein!
    Ich kann absolut nicht nachvollziehen, was hier konstruiert werden soll. Fundamentalisten gibt es in jeder Religion. Und in den Religionen, mit denen ich hauptsächlich in Kontakt komme – das sind nunmal die „Wüstenreligionen“ Christentum, Islam und Judentum – habe ich nicht den Eindruck, dass Fundamentalismus auf die Welt einen positiven Einfluss ausübt.
    Das merkt man am beispielsweise Papst, den Taliban und eben auch an solchen Vorfällen in Israel.
    Wegen ein paar Wortschnipseln so ein Fass aufzumachen, halte ich für übertrieben. Vielleicht kann man sie wie im vorliegenden Text interpretieren, aber dafür braucht es imho eine Menge Gehässigkeit.

  4. @zero

    bevor du hier lospolterst und mir dinge unterstellst, die ich nicht gesagt habe und die auch nicht mein anliegen waren („gehässigkeit“), würde ich dich bitten, mich nicht misszuverstehen. ich habe nicht gesagt, dass ich fundamentalismus in irgendeiner weise konstruktiv finde und ich habe auch nicht sein vorhandensein in religionen geleugnet

    Papst, Taliban und eine Selbstgeißelung stehen jedoch nun mal nicht sinnbildend für eine gesamte Religion und genau das wird hier versucht zu konstruieren, wenn Juden als fundamentalistische Spinner abgetan werden. Zumindest ist das mein Eindruck. Zumal nahezu zeitgleich, wenn schon wieder über Judengene, kulturalistische und biologistische Deutungen von Sarrazin-Phrasen diskutiert wird.

    Wegen ein paar Wortschnipseln so ein Fass aufzumachen, halte ich für übertrieben.

    Das könnte mensch bei jedem Satz und jedem Thema behaupten. Als Argument taugt es gar nichts.

  5. Liebe Lantzschi,

    ich hab mich schon am Wochenende gewundert, weshalb Du Dich über meinen Tweet so aufgeregt hast. Und eigentlich habe ich immer noch herzlich wenig Lust, mich wg nicht mal 140 Zeichen auf eine solche Diskussion einzulassen, in der Du alles und jeden miteinander vermischt und mich in einem Atemzug mit Sarrazin nennst. Aber scheinbar brennt Dir das Thema so unter den Nägeln, dass Du es öffentlich machen muss und mir merkwürdige Dinge unterstellt und das möchte ich hier nicht unkommentiert stehen lassen.

    Ich mach hier jetzt nicht das Riesenfaß auf, das würde zu lange dauern und doch niemanden interessieren. Den Großteil Deiner Thesen kann ich nicht teilen. Vor allem die Ansicht, dass KonsumentInnen, von Sarrazin aufgescheucht, sich im Netz informieren und dann den Dreisprung hinkriegen, auf meinen Tweet und den dazugehörigen Artikel zu stoßen, finde ich abenteuerlich. Gut, Sarrazin hat diesen Juden-Gen-Schwachsinn verbreitet, aber den Bogen zu dem Artikel schlagen, da muss man sich schon gründlich im Netz verrennen. Wenn ich zukünftig bei jedem getwitterten Artikel überlegen soll, welche Randdiskurse davon noch berührt werden könnten und welche uninformierten KonsumentInnen das vielleicht in den falschen Hals bekommen könnten – da kann ich das twittern gleich sein lassen.

    Ich werde Dir nun einfach mal erklären, was ich eigentlich gemeint habe und warum ich welche Worte wählte, als ich jenen unglücksseeligen und scheinbar zutiefst mißverständlichen Tweet absetzte.

    “Nicht nur Taliban peitschen Sünder. Auch in Israel kann man wegen Singens bestraft werden”

    Warum hab ich den Artikel überhaupt erwähnt? Das wolltest Du am Wochenende schon wissen.
    1.) Weil es mir unbekannt war, dass jüdische Fundamentalisten das Singen vor gemischtgeschlechtlichen Gruppen verbieten.
    2.) Auch war es mir neu, dass es (immer noch) jüdische Fundamentalisten gibt, die körperliche Strafen austeilen.
    3.) Zudem fand und finde ich es unglaublich, dass es Menschen gibt, die sich aus religiösen Gründen(freiwillig) körperlich züchtigen lassen, weil sie ein in meinen Augen unverständliches Gebot überschritten haben. Ich bin nicht-religiös, mir fehlt das Verständnis für so etwas.

    Das alles hatte für mich einen Neuigkeits-, Kuriositäts- und daher auch Nachrichtenwert. Solche Artikel twittere ich normalerweise, da ich davon ausgehe, dass dies auch anderen Leuten neu sein könnte. Nicht alle Menschen, Nadine, beschäftigen sich so intensiv mit Genderstudies, dass ihnen das alles geläufig ist.

    Warum also habe ich den Bogen von den Taliban geschlagen zu dem Artikel?
    Die Taliban sind für mich Sinnbild für etwas fremdartiges, teilweise unverständliches. Für etwas, das ich als halb-aufgeklärten Westeuropäer nicht nachvollziehen kann. Ihr ganzes Weltbild unterscheidet sich radikal von dem meinen. Die körperlichen Strafen, die für sie zu ihrer Kultur gehören, sind für mich ebenso unglaublich wie unangemessen. Dass es Menschen gibt, die eine körperliche Züchtigung sowohl für das angemessene Mittel der Krimininalitätsprovention und -bekämpfung halten, wie auch für die Einhaltung von gesellschaftlichen moralischen Konventionen, ist mir unbegreiflich.

    Weiter im Text: Warum spreche ich von „Israel“? Weil Isreal uns sowohl als Land wie auch als Kultur näher und vertrauter ist als Afghanistan. In diesem, in weiten Teilen modernen und westlich geprägtem Land, gibt es scheinbar Menschen, die in weiten Teilen dieselben moralischen Wertvorstellungen teilen und diese mit denselben Bestrafungen durchsetzen möchten wie die in meinen Augen noch im Mittelalter lebende Splittergruppe der Taliban. Diese Diskrepanz wollte ich deutlich machen, daher hab ich mich für „Israel“ in meiner Wortwahl entschieden und nicht „jüdische Fundamentalisten“.

    Dass Du mir jetzt unterstellst ich hätte sagen wollen “Ihr regt euch immer über den Islam auf, der is aber gar nicht mehr böse als das Judentum” ist in meinen Augen eine mehr als unzulässige Mißinterpretation. Was ich sagen wollte, aber aufgrund der 140 Zeichen-Beschränkung nicht sagen konnte, war: „Seht her, ich kann es kaum glauben, aber in einem aufgeklärten demokratischen Land wie Israel gibt es Leute, die in manchen Teilen die moralischen Wert- und Bestrafungsvorstellungen der Taliban zu teilen scheinen.“ Das impliziert in meinen Augen ein sehr positives Israelbild, weil ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen wollte, dass es in diesem Land so etwas gibt.

    Ich soll mit solchen Kommentatren „antisemitische Ressentiments“ befördern können? Das ist ein Totschlagargument gegenüber sämtlicher kritische Berichterstattung aus Israel. Und wieso setzt Du eigentlich auf einmal Israel mit Judentum und radikalen Splittergruppen gleich? Das ist eine gedankliche Konstruktion von Dir, die ich leider nicht steuern und teilen kann.

    Ich soll damit „mal wieder ‚den‘ Islam konstruieren“? Ich habe weder die Worte „Muslim“ noch „Islam“ benutzt und zwar, aus genau dem Grund, dass ich nicht „den“ Islam konstruieren möchte. Dass Du mir jetzt genau das zum Vorwurf machst ist geradezu bizarr. Dass Du jetzt hingehst und unterstellst, ich sei der Ansicht, „Religionen im allgemeinen und das orthodoxe Judentum im besonderen seien hauptsächlich fundamentalistischer Prägung“ ist eine unzulässige Fehlinterpretation. Ich weiss echt nicht, wo Du diese Deutung her hast.

    Du wirfst mir schlussendlich vor, dass ich Religionen und Länder über einen Kamm schere. Das habe ich nicht getan, sondern dass ist Deine, sehr eigenwillige Interpretation. Wenn, dann tun das LeserInnen, die nicht differenziert denken und lesen können. Aber das liegt ausserhalb meines Machtbereichs. 140 Zeichen taugen nicht für differenzierte Kommentare.

    Schlussendlich ist mir wieder mal bewiesen worden: Was Israel angeht, sollte man einfach die Klappe halten, egal um welchen Konflikt oder welches Problem es geht. Die Sache ist einfach viel zu diffizil und allzu leicht wird man mißverstanden, tritt in Fettnäpfchen oder streitet sich. Wegen nichts.

    Dein Doktordab

    PS: Dass Du mich mit Sarrazin in einem Artikel erwähnst, darüber bin ich immer noch beleidigt.

  6. zer0

    @lantzschi:

    a. Ich habe durch Deine Texte den subjektiven Eindruck, dass Du kein besonders positives Menschenbild hast.

    b. Nach meiner Interpretation liegt der inhaltliche Schwerpunkt des Tweets beim Thema Fundamentalismus, der in jeder Religion existiert und an dessen Auswüchse mal wieder exemplarisch erinnert wird. Bei so wenig Worten ist die Bandbreite der Interpretationsmöglichkeiten natürlich ziemlich groß (jedenfalls größer als bei ganzen Büchern). Und wenn man will, kann man auch alles negativ auslegen und genau das hast Du nach meiner Meinung getan.

    P.S.: Im Grunde ist das ganze doch sowieso eine Tautologie. Fundamentalistische Spinner müssen ja irgendwo leben. Und der wesentliche Faktor ist entweder eine Religion oder eine Ideologie. Nach meiner Ansicht lassen sich in jeder Religion und in jeder Ideologie sogenannte fundamentalistische Spinner finden. Deshalb sind natürlich alle Religionen und alle Ideologien natürliche Lebensräume von fS. Der obige Tweet ist also eine wahre Aussage. Eine echte Neuigkeit dagegen wäre doch das Auffinden eines _unnatürlichen_ Lebensraums bzw. eines weiteren natürlichen Habitats.

  7. @zer0: ?

    @db: danke für deine Antwort und die Ergänzungen. Welche Dinge unterstelle ich dir denn? Dir unterstelle ich gar nichts, sondern deinen Worten. Ich habe aus analytischen Gesichtspunkten auf die Worte und ihren Inhalt geschaut. Nicht auf die Personen.

    Es mir nicht darum, dich zu an den Pranger zu stellen oder persönlich zu werden. Sondern um Hinterfragung und Dialog. Ich behaupte nicht, recht zu haben, ich mache mir Gedanken so wie du auch.

    Exemplarisch hast du ja dasselbe wie fefe gesagt und ich finde das in erster Linie spannend, wie du von deinen 3 Motivationen (die ich nachvollziehen kann) dazu kommst, bei dieser Form der „Selbstjustiz“ einen Bezug zu den Taliban oder Isreael zu stellen. Das erscheint mir nämlich arg konstruiert und auf Stereotypen basierend. Du antwortest hier selbst:

    Die Taliban sind für mich Sinnbild für etwas fremdartiges, teilweise unverständliches. Für etwas, das ich als halb-aufgeklärten Westeuropäer nicht nachvollziehen kann. Ihr ganzes Weltbild unterscheidet sich radikal von dem meinen. Die körperlichen Strafen, die für sie zu ihrer Kultur gehören, sind für mich ebenso unglaublich wie unangemessen. Dass es Menschen gibt, die eine körperliche Züchtigung sowohl für das angemessene Mittel der Krimininalitätsprovention und -bekämpfung halten, wie auch für die Einhaltung von gesellschaftlichen moralischen Konventionen, ist mir unbegreiflich.

    Hängen bleiben bei mir „fremdartig, unverständlich, radikaler Unterschied, Weltbild, Kultur, unbegreiflich, moral, Konvention“ als Beschreibungen für das Andere, das offenbar mit dir als „halbaufgeklärten Westeuropäer“ so wenig gemein hat.
    Du konstruierst hier Gegensätze, von denen du nicht einmal genau weißt, ob sie existieren. Deine Meinung über „das Andere“ dürftest du aus verschiedenen Medien haben, die ein ähnliches Bild zeichnen vom „wir“ und „die“. Genau das ist mein Kritikpunkt. Es gibt keine westliche, „gute“ Moralvorstellung, die diametral zu „der Kultur“ der Taliban bzw. des Judentums verläuft. Das sind Konstruktionen.

    Genau wie:

    Weil Isreal uns sowohl als Land wie auch als Kultur näher und vertrauter ist als Afghanistan. In diesem, in weiten Teilen modernen und westlich geprägtem Land, gibt es scheinbar Menschen, die in weiten Teilen dieselben moralischen Wertvorstellungen teilen und diese mit denselben Bestrafungen durchsetzen möchten wie die in meinen Augen noch im Mittelalter lebende Splittergruppe der Taliban.

    Wer ist uns? Was ist eine deutsche/westeuropäische/israelische Kultur? Wodurch zeichnet die sich aus? Welche Moralvorstellungen und Normen meinst du? Der Vergleich Mittelalter – Taliban hinkt auch gewaltig. Hast du eine andere Bezeichnung für dein Bild von den Taliban?
    Außerdem: Wenn du schon Vergleiche ziehst, wo bleibt deine Selbstreflexion, wo bleibt der Vergleich zu Anwendung physischer Gewalt als Bestrafung im westeuropäischen Kontext?

    Ich sage noch einmal: Judentum bedeutet nicht gleich Israel oder umgekehrt. Deswegen passt es offenbar nicht in dein „positives Israelbild“, dass dort u.a. Juden leben, die solche Bestrafungsregime nicht für „unmoralisch“ halten.

    Ich soll mit solchen Kommentaren “antisemitische Ressentiments” befördern können? Das ist ein Totschlagargument gegenüber sämtlicher kritische Berichterstattung aus Israel.

    Schon wieder. Außerdem: Was ist an dem verlinkten Artikel kritisch? Er ist sehr wertneutral gehalten, wie ich finde. Eher dokumentarisch. Kritisch findest du es, weil es mit deinen Wertvorstellungen kollidiert. Warum solche Äußerungen zu antisemitischen Ressentiments führen können, erklärt Adrian Lang in dem dazu verlinkten Blogeintrag. Vielleicht nur so viel kurz von meiner Seite: Deine Kritik an dieser Strafe ist nicht das Problem, deine Pauschalisierungen und Vergleiche sind es. Und der Kontext, in dem so etwas geäußert wird.

    Und wieso setzt Du eigentlich auf einmal Israel mit Judentum und radikalen Splittergruppen gleich?

    Wo genau?

    Ich soll damit “mal wieder ‘den‘ Islam konstruieren”? Ich habe weder die Worte “Muslim” noch “Islam” benutzt und zwar, aus genau dem Grund, dass ich nicht “den” Islam konstruieren möchte

    Worte und Bezeichnungen stehen nie für sich und werden nie in luftleeren Räumen geäußert. Sie sind je nach Kontext unterschiedlich konnotiert. Das Taliban-Regime ist u.a. mit fundamentalistischer Deutung des Koran, antiwestlicher Haltung, Terror, Osama Bin Laden, Unterdrückung und Gewalt assoziiert. Islam wird häufig mit Fundamentalismus, antiwestlicher Haltung, Unterdrückung, Gewalt gleichgesetzt. Ich persönlich würde mich davor hüten zu behaupten, die Begriffe „Islam“ und „Taliban“ würden in keiner Weise zusammenhängen. Diskursiv hängen sie zusammen, allein weil sich Journalisten oft das tolle „Synonym“ für fundamentalistisch aussuchen: islamistisch.
    Ich widerspreche dir hier nicht, sondern wollte das lediglich ergänzen.

    Du wirfst mir schlussendlich vor, dass ich Religionen und Länder über einen Kamm schere. Das habe ich nicht getan, sondern dass ist Deine, sehr eigenwillige Interpretation.

    1. Ich werfe hier niemandem etwas vor. Das ist doch kein persönlicher Fight.
    2. s.o. Du konstruierst Gegensätze, die du nicht mal nachweisen kannst, weil du sie nicht kennst. Aus einem Fremdheitsgefühl muss keine Negativwertung, wie du sie implizierst, folgen. Ich gehe auch nicht mit diesen Strafen d’accord, generell würde ich aber erstmal vor der eigenen westlichen Haustür kehren, solche Dinge werden in meinen Augen viel zu selten benannt, um so diese Westen-Antiwesten-Dichotomie aufrecht zu erhalten. Der aufgeklärte Westen hat nämlichen offenbar auch kein Problem damit seine Kinder, seine Partner_innen oder andere Menschen zu züchtigen und zu schlagen. Und das sind alles keine Ausnahmen, die man an den Rand drängen könnte, so wie dieses jüdische Strafregime jeglicher Verallgemeinerung und Ineinssetzung mit Taliban oder Islam standhalten könnte.

    Schlussendlich ist mir wieder mal bewiesen worden: Was Israel angeht, sollte man einfach die Klappe halten, egal um welchen Konflikt oder welches Problem es geht. Die Sache ist einfach viel zu diffizil und allzu leicht wird man mißverstanden…

    Jede_r kann sich zu allem irgendwie äußern. _ich_ kritisiere diese spezielle Äußerung aber, weil sie pauschal ist und Vergleiche zieht, die ein wenig haarsträubend sind, um eine bestimmte westliche Moralvorstellung als Norm zu bestärken. Nö, danke. Und ja, vielleicht hast du recht und dieser ganze Kultur- und Religionenscheiß ist wirklich zu diffizil, um mal eben unbedacht einen Tweet rauszuhauen, um sich selbst bestätigt zu wissen. Das sind sensible und vielfältige Themen, die sollten, wenn du scheinbar eine wirklich differenzierte Meinung dazu hast (hast ja viel geschrieben), dementsprechend auch respektvoll mit mehr Platz bedacht werden, statt in diesem 140-Zeichen-Blödsinn. Aber das ist nur meine persönliche Meinung dazu. Kann jede_r handhaben wie selbst gewünscht.

    Dass Du mich mit Sarrazin in einem Artikel erwähnst, darüber bin ich immer noch beleidigt.

    Ich hätte dich auch gleich einen Nazi nennen können, stimmt’s? ;-)
    Sarrazin hat keine ansteckende Krankheit, diese fortschreitende Dämonisierung seiner Person kackt mich gewaltig an. Wer ist der denn? In erster Linie jemand, der eine politische Meinung vertritt. So wie die meisten in Deutschland lebenden Menschen. Wow. So ein Hitler das.

    Ich will ja gar nicht, dass sich wer inhaltlich mit ihm auseinandersetzt, sondern mit dem was dahintersteckt – der Aufwertung des Eigenen und der Abwertung des vermeintlich Anderen. Die Aufteilung der Welt in wir und die. Deswegen reden wir auch wieder über diesen Bullshit, damit wir uns selbst besser fühlen und in der moralisch richtigen Ecke wissen. Nichts anderes macht der Heinz auch.

  8. Achso, was ich noch vergessen hatte, zwei Empfehlungen zu den angesprochenen Themen hier im Thread:

    Eine ganz tolle Arbeitshilfe zu Interkulturalität, Fremdheit, Stereotype, Kommunikation usw – hab an so manchen Stellen gestaunt und mich ertappt gefühlt: http://www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/interkulturellekompetenz.pdf

    und auch super, wenn an manchen Stellen etwas banal: Armatya Sen – „Die Identitätsfalle – Warum es keinen Kampf der Kulturen gibt“. Eine hinreichende Widerlegung der Clash-of-Cultures-These von Samuel Huntington. http://www.bpb.de/publikationen/JC6IWB,0,0,Die_Identitätsfalle.html

  9. Hab leider nicht die Zeit, Dir zu antworten, wie ich es gerne tun würde. Nach Lektüre dieses Artikels (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8694147.html) verstehe ich ein bißchen mehr, was Du eigentlich kritisierst. Hier ein Auszug:

    „Erst die „Integrationspläne“, die regelmäßig zu jeder Wirtschaftskrise auftauchen und damit immer wieder neu den „Gästestatus“ aufkochen (…), haben aus den ungebundenen, traditionellen Türken die nationalen, religiösen Türken gemacht. Weil keiner ihre Sprache hören wollte, niemand ihre Musik, weil nur ganz wenige Nachbarn sich für ihren Alltag interessiert haben und kaum jemand nach ihren Träumen und Gebeten gefragt hat – sie ernst genommen hat. (…) Wer das Anderssein des Nachbarn als eine unüberbrückbare kulturelle Fremdheit apostrophiert, weil er seine Religion nicht versteht, weil ihm die Lebensweise oder die politische Überzeugung mißfällt, der verläßt den moralischen Konsens der Menschenrechte. Das verletzt, schürt die Wut und führt schließlich in die Barbarei.“

    Trotzdem bin ich der Meinung, dass Du in Deinem Eifer einige Sachen durcheinander bringst und über Dein Ziel hinausschießt, wenn Du Kritik oder Verwunderung an und über radikale religiöse Minderheiten in anderen Ländern mit der unseeligen Ausländerdebatte in unserem Land vermischt. Auf einer höheren Ebene hat alles miteinander zu tun, schon klar. Aber manchmal sollte man die Kirche im Dorf lassen. Oh, eine religiöse Metapher. Und das von mir, dem nicht-religiösen. :-)

    Mir ist alles, was Du anführst, wohl bekannt und total bewusst. Ich bin auch kein Clash-of-the-cultures-Freund, im Gegenteil. Dafür hab ich zu lange Kulturwissenschaften studiert. Aber die Vision, die Dir vorzuschweben scheint – ein friedliches Miteinander, ohne sich auszuschließen, ohne Vorurteile und Ressintements – ist leider eine Utopie. Für die es sich zu kämpfen lohnt, aber die trotzdem immer Utopie bleiben wird. Es gibt einfach Diskurse (im Bourdieuschen Sinne verstanden), die sich gegenseitig ausschließen. Die sich so radikal gegenseitig ausschließen, dass Menschen bereit sind, die Verfechter der jeweils anderen Ansicht bis zum Tod zu bekämpfen. Und auch Du bist diskursiv verortet, wie es so schön heisst. Du kannst gar nicht anders. Du kannst es Dir nur immer wieder bewusst machen und das reflektieren.

    Du kritisierst immer wieder das „Konstruierte“. Kultur aber IST ein menschliches Konstrukt. Diskurse sind menschliche Konstrukte. So, ich würde deine Antwort gern noch einmal genauer auseinander nehmen und darauf eingehen, aber da hab ich gerade keine Zeit für. Vielleicht später.

    PS: Studierst Du eigentlich auch Kulturwissenschaften? Wenn nicht, dann sollest Du das tun ;-)

  10. wenn Du Kritik oder Verwunderung an und über radikale religiöse Minderheiten in anderen Ländern mit der unseeligen Ausländerdebatte in unserem Land vermischt. Auf einer höheren Ebene hat alles miteinander zu tun, schon klar. Aber manchmal sollte man die Kirche im Dorf lassen.

    Das hat nicht nur auf einer höheren Ebene miteinander zu tun, sondern auf einer realen, da auch Deutschland nicht nur autochthon weiß und westlich ist, sondern hier Menschen leben, Deutsche, die Anhänger_innen der verteufelten „Wüstenreligionen“ leben, die du mit den Äußerungen gleich mit einen Topf schmeißt. Es gibt keine für sich stehenden Kulturen, das Konzept der Multikulturalität, der Koexistenz von angeblich sich widersprechenden Kulturen, die sich gegenseitig respektieren, aber keinen Austausch pflegen, wurde mittlerweile auch aufgrund der Diffamierung durch Konservative verworfen. Alles bedingt sich, alles reagiert irgendwie aufeinander, Kulturen sind nicht homogen. Die Kirche im Dorf lassen würde bedeuten, diese Zustände nicht wahrzunehmen und zu negieren und damit reaktionären Kulturkritiker_innen in die Hände zu spielen.

    Für mich ist das alles keine Utopie, weil schon in einigen Teilen real gelebter Zustand. Außerdem ist es ein leichtes, diskriminierungsfreien Umgang mit Menschen sowie Wertneutralität ggü. vermeintlich Fremdem als Utopie abzukanzeln, um sich nicht weiter damit auseinander zu setzen. Entweder ich möchte etwas dafür tun oder nicht, es ist mir wichtig niemanden zu exkludieren oder eben nicht. Wenn nicht, dann wird es weiterhin auch real erlebbar Fremdes geben für mich.

    Ich kenne den Diskursbegriff von Bourdieu leider nicht (vielleicht magst du ergänzen?), versteh aber Diskurs auch hier eher im foucault’schen Sinne, dass Diskurse nie getrennt von Macht und Herrschaft gesehen werden können, da erstere wiederum zweitere bedingen und konstituieren können sowie Diskurse sich auch dadurch auszeichnen, festzulegen, was gesagt werden kann und was nicht. In diesem Sinne sehe ich die kritisierten Äußerungen als unverantwortlich an, weil sie viel darüber aussagen, was unmarkiert, unbenannt bleibt, die Normsetzung, die mit diesen Aussagen erfolgt, die Exklusion von Menschen, die damit einhergeht. Und das in einem Diskursfeld bzw. in einer Diskursarena, welche/s sich momentan hauptsächlich mit Diskriminierung von religiösen Gruppen und Ethnien auseinandersetzt.

    Ich weiß, dass ich unabhängig davon, wo ich mich verortet sehen will, markiert und zugeordnet werde, von außen. Das wird immer so sein, ich werde immer zur Fürsprecherin oder Teilnehmerin bestimmter Diskurse gemacht, nämlich in einem Wir und Die. Bestes, weil aktuellstes Beispiel: Schirrmacher. Schon vor x Jahren machte er mich zur schweigenden Mehrheit, als er sich lange vor Sarrazin darüber ergoss, dass Deutschland degeneriert und ausstirbt. Jetzt macht er es wieder, indem er mich zur Fürsprecherin der Sarrazinthesen deklariert. Als Individuum werde ich ständig kategorisiert, diskursiv verortet und instrumentalisiert. Dessen bin ich mir bewusst und daher versuche ich nicht, herrschende Diskurse selbst noch zu bedienen, wenn ich im Denken nicht mit ihnen übereinstimme. Das ist mein Ansatz. Wie andere das handhaben, sollen sie selbst entscheiden. Kritisieren kann ich das trotzdem.

    Du kritisierst immer wieder das “Konstruierte”. Kultur aber IST ein menschliches Konstrukt. Diskurse sind menschliche Konstrukte.

    Ganz recht. Was willst du mir jetzt genau damit sagen bzw. wo liegt die Kritik an meinen Äußerungen? Aber ich sehe schon, wir diskutieren von unterschiedlichen Standpunkten aus. Ich mag mich lieber mit Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus beschäftigen. Es ist plausibler in meinen Augen, es macht mir mehr Spaß, die Konstruktionsvorgänge selbst zu hinterfragen, Kategorien und Konstruktionen aufzulösen, zu verstehen, wo und wie Begriffe unterschiedlich verstanden werden und warum das so ist. Strukturen sind nichts Feststehendes in meinen Augen, Stand- und Blickpunkte sind veränderbar bzw. warum ist es notwendig, von diesem oder diesem Standpunkt aus zu diskutieren?

  11. „die du mit den Äußerungen gleich mit einen Topf schmeißt“

    nein, das tue ich nicht. wer nicht im stande ist zwischen “taliban” und “muslim” zu unterscheiden, wer aus “in Israel passieren solche Dinge” zu “alle Israelis tun das” macht ist, dem kann ich auch nicht helfen. Diese Verallgemeinerungen liegen nicht in meiner Hand und ich lehne die Verantwortung ab, sämtliche Konsequenzen bedenken zu können, die mit einer Äußerung ausgelöst werden könnten. Das ist schlichtweg unmöglich. Jeder Mensch denkt und interpretiert anders.

    „Es gibt keine für sich stehenden Kulturen“
    Das weiss ich und das habe ich auch nirgendwo behauptet. Natürlich hängt sämtliches Handeln miteinander zusammen, aber…

    „Die Kirche im Dorf lassen würde bedeuten, diese Zustände nicht wahrzunehmen und zu negieren“
    Nein. Es bedeutet, das eigene Handeln für nicht so wirkmächtig zu halten, dass es tatsächlich “reaktionären Kulturkritiker_innen in die Hände” spielen würde. Oder andersherum: ich nehmen meine Tweets nicht so ernst, wie Du vielleicht denkst, dass ich es tun sollte. Aber weder bin ich eine Person des öffentlichen Lebens, noch habe ich irgendwelche Diskursmacht. Was ich sage, ist schlichtweg nicht von größerer Bedeutung.

    „Wenn nicht, dann wird es weiterhin auch real erlebbar Fremdes geben für mich.“
    Ich halte es für gänzlich ausgeschlossen, dass es Dir in Deinem Leben jemals gelingen wird, nichts Fremden oder Fremdartigem mehr zu begegnen. Die Frage ist doch vielmehr: Wie gehst Du mit dem Fremden um? Bist Du ihm grundsätzlich negativ und ablehnend gegenüber eingestellt oder bist Du bereit Dich damit auseinander zu setzen, um danach zu entscheiden? Ich tue letzteres, aber ich nehme mir dann auch die Freiheit zu sagen: Das lehne ich ab. Mit dieser Haltung, mit diesem Diskurs kann ich nichts anfangen oder ich halte ihn für menschenverachtend, überholt etc.. Und ja: ich lehne dogmatische religiöse Gruppen ab, die ihre Anhänger zu körperlichen Strafen verurteilen, weil sie sexistische Moralvorstellungen durchsetzen wollen.

    So wie Du gerade argumentierst, hat jeder Diskurs seine Daseinberechtigung. Und objektiv ist das auch so. Aber Du agierst paradox, weil Du nämlich im gleichen Atemzug rassistischen, exkludierenden Diskursen den Kampf ansagst. Wir befinden uns doch hier gerade mitten in einer diskursiven Auseinandersetzung, weil Du sagst “Das und das darf man aber nicht sagen, weil es unverantwortlich ist.” Wie kannst Du dann im Gegenzug fordern, dass es nichts geben soll, dass mir fremdartig ist und dass ich ablehne?

    „In diesem Sinne sehe ich die kritisierten Äußerungen als unverantwortlich an, weil sie viel darüber aussagen, was unmarkiert, unbenannt bleibt, die Normsetzung“
    Na dann mal los mit der Diskursanalyse. :-) (Meinte übrigens auch Foucault, hab mich leider vertan. Studium ist halt doch schon ein paar Jahre her.) Und natürlich sind alle meine Aussagen auch normativ. Ich bin doch ein Mensch. ;-)

    „daher versuche ich nicht, herrschende Diskurse selbst noch zu bedienen, wenn ich im Denken nicht mit ihnen übereinstimme.“
    Gibt es denn überhaupt einen herrschenden Diskurs, mit dem Du übereinstimmst? In allen Facetten, Haltungen und Sprechverboten? Denn diese sind in allen Diskursen vorhanden.

    „Was willst du mir jetzt genau damit sagen bzw. wo liegt die Kritik an meinen Äußerungen?“
    Ich hatte den Eindruck, dass Du Konstruktionen für etwas verwerfliches hälst. Aber unser ganzes soziales Leben ist eine Konstruktion. Du kannst Dich gern damit beschäftigen, diese Konstruktionsvorgänge zu hinterfragen. Das ist ein hehres Ziel. Aber wir werden niemals ohne Konstruktionen leben können. Und ich hatte den Eindruck, dass Dich das stört oder dass Du gern in einer Welt leben würdest, in der das nicht so ist. Und ich wollte schlichtweg sagen: Das ist eine Utopie.

    „warum ist es notwendig, von diesem oder diesem Standpunkt aus zu diskutieren?“
    Es ist nicht notwendig, aber unausweichlich, es sei denn, es gelänge Dir, dich von allen Diskursen und sozialen Konstrukten, die Du Dir im Laufe Deines Lebens angeeignet hast, frei zu machen. Dann müsstest Du auch in der Lage sein in rassistischen, sexistischen, exkludierenden Diskursen zu denken und zu argumentieren. Und dann wiederum frage ich mich, warum Du mich dafür kritisierst, dass ich vermeintlich solche Diskurse unterstütze… ;-)

  12. Pavel

    Na, gründen wir doch gleich eine neue Disziplin – Vorhang auf für Twitter-Diskursanalyse. Was man nicht alles aus max. 160 Zeichen herauslesen kann. Und vor allem – welche Wirkung will man diesen max. 160 Zeichen zusprechen! „Antisemitische Ressentiments“ könnten „befördert“ werden, alle in Deckung.

    Mein Vorschlag: den deutschen Mediendiskurs über Israel und Juden in Deutschland in 160-Zeichen-Häppchen zerlegen und kommentieren. Macht ganz schön was her.

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