Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis: Gender als Identität?

Obwohl Diversity mit seiner Prozessorientiertheit gegenüber älteren Gleichstellungsinstrumenten den Vorteil für sich beansprucht, Strukturen anzuvisieren und nicht einfach Personen an diese anzupassen (vgl. Krell 2004a: 372), nimmt auch dieses Konzept letztlich eine individualisierende Perspektive ein, insofern nämlich Strukturen auch hier primär als Werthaltungen verstanden werden. Die Fokussierung auf Ausschließungsmechanismen hegemonialer Gruppen geht letztlich doch wieder davon aus, dass es sich bei Prozessen der Hierarchisierung um ein Problem der Werthaltung Einzelner, hier nun der Mitglieder der hegemonialen Gruppe handelt. Ungleichheit wird so auf „mangelndes Problembewusstsein und Wissen der einzelnen Individuen“ zurückgeführt (Hofbauer/Ludwig 2005: 38), und die Überwindung von Ungleichheit mit Aufklärung, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für möglich gehalten. Obwohl also Managing Diversity Machtstrukturen zu ändern beansprucht, bleibt die Frage auch in diesem Konzept theoretisch unbelichtet, welches eigentlich die Strukturen sind, die Geschlechtersegregation hervorrufen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Geschlechternormen in Form von stereotypisierenden Zuschreibungen heute keine Rolle mehr spielen. Aber ich möchte doch die Frage stellen, ob die allzu selbstverständliche Annahme, dass Geschlechtersegregation primär mit geschlechterstereotypisierenden Zuschreibungen erklärt werden kann, heute so noch stimmt. Meines Erachtens folgt diese Annahme, an der sich zunehmend die gesamte Geschlechterpolitik orientiert, jener kulturalistischen Verkürzung des Gender-Begriffs, der sich im Zuge des cultural turns gegenwärtig in den Gender Studies des gesamten deutschsprachigen Raums etabliert. Mit Cornelia Klinger möchte ich hier von einer Verlagerung der Gesellschaftsanalyse auf das Gebiet der Identitätspolitik sprechen (2003: 25). Eine Verlagerung, die insofern problematisch ist, als sie in einer Art „politizistischen Missverständnisses“ (Atzmüller 2001: 87) die Konstruktion von Identitäten zunehmend losgelöst von den Produktionsverhältnissen denkt. Dabei stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es sich bei Geschlechterhierarchien überhaupt um ein Problem von Identitäten handelt. So weist beispielsweise Helga Krüger darauf hin, dass geschlechtersegmentierende Lebensverläufe mit entsprechend geschlechterhierarchischen Folgen nicht mehr mit bestimmten Rollenerwartungen der AkteurInnen erklärt werden können. Im Gegenteil stellt sie eine Gegenläufigkeit fest zwischen den Wertvorstellungen der beteiligten Personen einerseits, die sich einem sozialen Wandel verdanken, und der Persistenz oder sogar erneuten Zunahme von Ungleichheitsverhältnissen zwischen den Geschlechtern andererseits.

aus Soiland, Tove (2008): „Gender als Selbstmanagement. Zur Reprivatisierung des Geschlechts in der gegenwärtigen Gleichstellungspolitik“


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