Obwohl sogenannte political correctness als Begriff keineswegs nur positiv konnotiert ist, und ich deswegen lieber „politische Korrektheit“ benutze, finde ich es wichtig, das eigene Handeln so pc wie möglich zu gestalten. Wer darauf achtet, pc zu sein, zeigt seinem sozialen Umfeld, dass er/sie in erster Linie Respekt hat. Respekt vor jahrhundertelanger und immernoch währender Ungleichbehandlung und Diskriminierung. pc ist keineswegs zu verwechseln mit: „Es ist mir egal, was andere tun, ich akzeptiere alles, weil ich tolerant bin“. pc sein, pc zu handeln heißt: Der Wille zur Entwicklung von interkultureller Kompetenz, zur Anerkennung und Wertschätzung von Unterschieden. Wer pc handelt, verurteilt Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art, egal wo und in welchem Kontext sie passieren.
Dennoch, wir sind „auch nur Menschen“. Mensch-Sein heißt nämlich u.a.: Wir gestalten unser Mensch-Sein in Beziehung zu unserem Umfeld. Mensch-Sein und Identitäten als soziale Praxis. Und genauso wie ich glaube, dass „man“ Geschlecht nicht NICHT machen kann (doing gender), glaube ich, dass das auch mit Differenzen so ist (doing difference). Die Ansätze von individual-konstruktivistischen Theorien. Doch soweit will ich gar nicht gehen. Will nur sagen, wir konstruieren Differenzen, wo wir sie mit unserem Auge erfassen können, wir konstruieren Differenzen zu Dingen, denen wir uns aus bestimmten Gründen nicht zugehörig fühlen und wir konstruieren Differenzen aus eigenen Stereotypen, mit denen wir sozialisiert wurden. Doing difference ist also in erster Linie nicht mehr als eine soziale Praxis zur eigenen Identitätsbildung. Das bin ich. Und das bin ich nicht. Das bist du, weil du nicht ich bist. Natürlich ist Differenzbildung und die Kategorien, die wir benutzen um eine Differenz herzustellen, auch Ausschluss. Mit dem, was wir glauben zu sein und was wir in anderen sehen, wie sie sein könnten, ziehen wir eine Linie. Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Draußen und drinnen.
Diesen Ausschlussprozess können wir sehen als das, was er ist – Die Konstitution eigener Identität – oder wir können mehr daraus machen: nämlich unsere Identität vergleichen und werten zu anderen. Erst mit dieser Wertung und der damit einhergehenden Hierarchisierung wird die Differenz zu einem negativ wirkenden Ausschluss. Dann akzeptieren wir im besten Fall zwar die Differenz (die nicht einmal real existieren muss), aber sehen sie nicht als Teil von uns. Ich bin NICHT so gehört schließlich auch zu Ich BIN so. Alles, was wir demnach meinen, nicht zu sein, gehört zu den anderen. Alles, was wir demnach meinen, dass es zu den anderen gehört, steht hierarchisch unter dem, was wir sind (oder meinen, dass wir es sind).
Dieses Othering macht aus einer Differenz ein Vorurteil, wir erlauben uns Urteile über das, was andere ausmacht oder von dem wir glauben, dass sie es ausmacht, obwohl wir es von unserem Sein extrahiert haben. Wir erlauben uns ein Urteil über andere. Wir erlauben uns ein Urteil über das, von dem wir glauben, dass wir es nicht (mehr) kennen. Anmaßend, nicht?
Doch bis es zur Diskriminierung bzw. Ungleichbehandlung kommt, fehlt ein entscheidender Schritt. Vom Gedanke zur Tat. Wir setzen also dieses Vorurteil um in eine Handlung, die andere ausschließt, aber nicht, weil sie vermeintlich anders sind, sondern weil wir denken, dass dieses Andere, nicht nur nicht zu uns gehören kann (!), sondern weil es dieses Andere weniger Wert hat. Ihr ahnt vielleicht, worauf ich hinaus will. Ganz recht: Eine Diskriminierung einer Person oder Gruppe, von der wir glauben sie sei homogen zusammengesetzt, ist letztlich nicht mehr als eine Abwertung und Einschränkung der eigenen Individualität.
Wir ermöglichen dem, was wir uns nicht zu eigen machen, keine gleichwertige Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. Im schlimmsten Fall führt diese Praxis zu ungleichen Verteilungen von Ressourcen, Privilegien und Chancen sowie Unterdrückung und Gewalt. Eine Situation, wie sie in jedem Land dieser Welt Wirklichkeit ist.
Was letztlich zu diesem Übersprung führt, also zur Diskriminierung führt, dafür habe ich noch keine befriedigenden Antworten gefunden, glaube aber, dass die Motivation zur Tat in einem selbst liegt. In nicht geäußerten Bedürfnissen und Wünschen, in Emotionen wie Wut, Neid, Hass, Trauer, Verzweiflung, Freude, Selbstsucht; diese Emotionen zu haben, ist letztlich nichts Verwerfliches, doch wir schließen die negativen von ihnen ebenfalls aus. Und wenn wir sie doch haben, sind wir so erschrocken darüber, dass wir auch SO sind, dass wir die Ursache dafür bei den anderen suchen. Dass die anderen sie ausgelöst haben, dass diese negativen Emotionen eigentlich zu ihnen gehören und wir als temporärer Wirt dafür herhalten müssen.
…
In meinem Studium lerne ich u.a. so etwas zu erkennen, in Selbstreflektion, in kritischer Auseinandersetzung mit meiner Umwelt, mit Politiken, Praxen und Strukturen. Ich lerne, was LOS ist, was GEHT und was es BRAUCHT. In nur einem Semester lernte ich jedoch hauptsächlich mich selbst besser kennen. Am Ende des Studiums könnte dabei herausspringen, dass ich reflektierter bin. Am Ende des Studiums kann nicht dabei herausspringen, dass ich ein besserer Mensch bin. Ich lerne aber, wie es ist zu sagen und zu erkennen „dein Schön ist mein Schön, dein Schlimm ist mein Schlimm“ (frei nach Tocotronic), bei all diesen Differenzen. Ich lerne vielleicht, wie es ist, diese Differenzen wieder zu dekonstruieren, zu mir zurückzuführen und mich selbst damit zu bereichern.
Und weil ich „auch nur ein Mensch“ bin, möchte ich nicht ausschließlich daran gemessen werden, inwiefern wir uns im Umgang mit Differenz und doing difference unterscheiden.
Ich habe in den vergangenen Tagen über Rentner geschimpft und dafür Kritik geerntet. Ich habe über eine alte Wessi-Katholikin geschimpft und dafür Kritik geerntet. In beiden Fällen habe ich also nicht auf meine eigene politische Korrektheit geachtet. In beiden Fällen hatten die Kritiker vielleicht nicht ganz unrecht. In beiden Fällen aber wurde ich kritisiert, weil ich doch dieses Dings da studiere und es besser wissen müsste. Ich bin nicht dieses Dings. Ich bin anders.
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