Rassismus gegen Grenzregime.

Alexander Lehmann, der vielen bekannt sein dürfte durch „Du bist Terrorist„, hat einen neuen Satire-Film produziert, der das europäische Flüchtlingsregime und dessen Handlanger Frontex kritisieren soll. Aktueller Aufhänger ist die europäische, von Rassismus und Abschottung gekennzeichnete, Flüchtlingsdebatte nach den Revolutionen in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten. Soweit, so gut.

Der Film bedient sich dabei allerdings eines (kolonial)rassistischen Narrativs, das weder originell ist (wie wir aus der medialen Inszenierung von „Afrika“ und Schwarzen wissen), noch an irgendeiner Stelle im Film aufgebrochen wird. Umso ärgerlicher ist deshalb der Fakt, dass das von mir geschätzte Satire-Magazin des NDR, Extra 3, diesen Film nun auch bei sich laufen lässt.

Was meine ich mit (kolonial)rassistischem Narrativ?

Die Ansprache: „Lieber Afrikaner“ – Das Wort ist heutzutage leider noch gängige Vokabel, wenn über Schwarze oder People of Color oder Afro(deutsche, engländer_innen, italiener_innen, amerikaner_innen, französ_innen, etc.) gesprochen wird. Weder wird deutlich, welche „Afrikaner“ gemeint sind (Nigerianer_innen? Kongoles_innen? Tunesier_innen? Marokkaner_innen?) noch wird die Selbstbezeichnung entsprechender Gruppen respektiert. Dass Schwarze und People of Color seit Jahrhunderten (auch vor der Kolonialzeit) in Europa (und auf anderen Kontinenten) lebten und leben, bleibt unsichtbar. Ständige Ansprache von Schwarzen mit „Lieber“ und paternalistischem Duktus. Auffällig ist auch, dass die, über die hier erzählt und berichtet wird, selbst nicht zu Wort kommen. (vom generischen Maskulinum mal ganz abgesehen)

Die Bildsprache: Schwarze werden simplifiziert und rassifiziert dargestellt. „Afrikaner“ haben also nichts an außer einem Lendenschurz, sehen alle gleich aus und verhalten sich alle gleich, haben alle große Ohrringe, große Lippen, große Augen, können nicht sprechen, haben alle viele Kinder, haben keine Wohnräume, Erinnerungen an sogenannte „Stämme“, „Naturvölker“ und Bilder aus kolonialen Erzählungen werden wach. „Afrika“ wird homogenisierend und pauschal als armer, „unzivilisierter“, unfreier, nicht-demokratisierter Kontinent inszeniert, (überall Wüste, Skelette von Tieren, keine Flora und Fauna, einfachste Industrie, Giftmüllabfälle, Bürgerkrieg, Kartografie – Europa hat innerkontinentale Grenzen, Afrika nicht.), Verharmlosung von kolonialer Gewalt, Sklavenhandel, Ausbeutung, Terror und Unterdrückung (der übrigens auch nach dem offiziellen Ende der Kolonialzeit andauert) durch die Darstellung dessen in einem mitgemeinten satirischen Zusammenhang.

Die Sprache: Gegenüberstellung von „Wir“, „uns“ (damit sind wohl alle Europäer_innen gemeint) und „lieber Afrikaner“ oder „dir“, kulturalistische Zuschreibungen wie „andere Länder, andere Sitten“, „europäische Zivilisation“ (kolonialrassistisches Erzählungsmuster von weißen, Dichotomieaufbau, imperialistische und neokoloniale Logik vom zu zivilisierenden Anderen -Natur- und zivilisierten Selbst -Kultur-), „auch mal nach Europa kommen möchtest“ unterstellt in diesem Kontext, dass der einzige Grund für Flüchtlingsströme und Migrationsbewegungen das „zivilisierte“ und „fortschrittliche“ Europa mit seinem Reichtum und Wohlstand (den ja in Europa alle haben. nicht.) und Europa „von Natur aus“ weiß ist. Intendiert zudem die Aussage, innerhalb europäischer Grenzen gebe es nur weiße (siehe Ansprache). Wir wissen, dass sich weiße Mehrheitsdeutsche wohl kaum mit Osteuropäer_innen vergleichen lassen würden bzw. Rassifizierungen und rassistische Ausgrenzungen auch innerhalb Europas stattfinden. „Schönes Wetter“ in „Afrika“ – die deutsche Kolonialmacht wollte sich ja bekanntlich auch einen „Platz an der Sonne“ sichern.

Das ist jetzt nur das, was mir auf den ersten Blick ins Auge gefallen ist. Grundsätzlich arbeitet der Film mit einer sehr problematischen Erzählung von wir und die anderen, ist nicht differenziert, die Sprache bettet sich prima in bereits vorhandene ausgrenzende und rassistische (Sprach)Diskurse ein, verharmlost (Neo)kolonialismus (wie Waffenlieferungen, Geldströme, Ausbeutung lokaler und nationaler wirtschaftlicher Infrastruktur, Gewalt, etc.) durch sehr einfache und paternalistische (Bild)Sprache. Wer spricht hier eigentlich über wen und wie? Was wird erzählt?

Ich denke, es geht um eine Kritik an europäischen Grenzregime(diskursen) und Frontex? Wo bleibt die? Die wird im gesamten Film nur mitgemeint bzw. nur implizit ersichtlich für die, die sich mit beidem schon beschäftigt haben. Stattdessen werden wir mit rassistischen Bildern zugemüllt, die nur von denen dekodiert werden können, die sich mit Alltagsrassismen, (neo)kolonialer Gewalt, postkolonialen und rassismuskritischen Diskursen und der Verweigerung weißer gegenüber kolonialrassistischem Wissen in Ansätzen auseinandergesetzt haben. Das sind in erster Linie die Menschen, die mit Rassismus konfrontiert sind und ein paar wenige weiße. Denn in das Alltagswissen ist all das noch nicht eingegangen, in der Schule und im Studium wird die Problematik solcher Bilder nicht vermittelt. Nur, dass „wir“ doch alle so reflektiert sind, dass „wir“ uns bequem über all das hinwegsetzen können, um politische Satire auf Kosten rassifizierter Anderer zu machen oder wie Antje Schrupp treffend formuliert: „das ist so wie Titten zeigen, um Titten zeigen zu kritisieren.“

Dass Rassismus noch nicht ins Alltagswissen übergegangen ist, heißt darüber hinaus nicht, dass Menschen dumm sind und nicht auch mit komplexeren Sachverhalten umgehen könnten oder Frontex und die „Festung Europa“ nicht kritisieren könnten ohne die Reproduktion von Rassismus. Oder dass Satire nicht auch dann witzig, knallig und eingängig ist, wenn auf politische Korrektheit geachtet wird. Denn die bedeutet in erster Linie, Respekt zu haben vor Ausgrenzungserfahrungen und Unterdrückung, auch die, die Produzent_innen solcher Filme nicht machen (können).

Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn im Zusammenhang von europäischen Grenzregimen und Frontex die expliziert karikiert werden, die beides zu verursachen haben oder sich an deren Fortbestehen beteiligen.

Mehr Informationen finden sich auf dem Schwarzen Media Watch Portal „Der Braune Mob“ und im Buch von Hornscheidt/Arndt – „Afrika und die deutsche Sprache


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Kommentare

53 Antworten zu „Rassismus gegen Grenzregime.“

  1. dennis

    Ich finds einfach nur flach… entschuldige Alexander.

    Dabei ist auch egal, obs architektonisch nun Rassismus oder Zynismus oder Sarkasmus ist … ausschliesslich mit Klichees zu arbeiten gibt eben auch keine inhaltliche Substanz und das ist genau das was ich hier vermisse.

    Ich finde das Thema „Frontex“ und „neues Europa“ sehr wichtig und hätte mir lieber andere Parallelen als ausgerechnet den Kolonialismus gewünscht. Vielleicht deswegen auch die Bilder in Deinem Kopf.

    Man hätte zum Beispiel auch sehr gut den Waren, Geld und Menschentransfer vergleichen können und somit auf ein viel moderneres Afrika hinweisen können das konsequent „ausgeschlossen“ wird.

    Dann versteht man auch die tatsächlichen Hintergründe der sogenannten „Armutsmiggration“ besser, denn allzu oft ist es eher eine Migration für bessere Möglichkeiten insgesamt, weniger um hier ausgerechnet Hartz-IV zu schnorren.

  2. […] etwa bei der Diskussion des umstrittenen Frontex-Aufklärungsvideos von Alexander Lehmann (siehe hier), dem Amina-Hoax (dazu schrieb ich hier) oder auch der aktuell andauernden Debatte um Blackface […]

  3. Danke, ich habe den Film gestern bei Facebook reingereicht gekriegt und ich finde ihn auch fürchterlich, und da habe ich mich per google umgeschaut ob das anderen auch so geht und deinen Artikel gefunden. Ich finde die Reproduktion dieser rassistischen Klischees in dem Film unerträglich, da kann die Intention noch so gut sein und die Satire noch so gegen die Wirtschaftsmacht Europa gerichtet sein. Geht echt gar nicht – würg!

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