feminismus als selbstinszenierung

ich habe genau zwei politgruppen: meine band und die mädchenmannschaft. ich mag politgruppen nicht, ich gehe eigentlich nie zu regelmäßigen treffen von gruppe sowieso und arbeitskreis dies und das, selbst wenn mich die themen interessieren. mit politgruppen ist es bei mir wie in liebesbeziehungen. ich habe keinen bestimmten typ, wie mythen um verlieben und anziehung uns immer erzählen wollen. ich verliebe mich, weil ich menschen kennenlerne. obwohl es dreist und falsch wäre zu behaupten, dass äußerlichkeiten keine rolle spielen würden (das tun sie immer! diskriminierende blickregime! und nein, niemand kann sich davon freisprechen), denke ich, dass menschen mich umso mehr anziehen, je vertrauter und näher wir uns sind. ich finde mich in gruppen zusammen, weil wir ähnliche herangehensweisen und perspektiven haben, mit dem, was wir wollen. mit der band ist das so, mit der mädchenmannschaft ist das so. verschiedene charaktere, die dynamiken passen, wir haben uns aufeinander eingegroovt. wir haben uns kennen- und lieben gelernt. wir lernen voneinander, wir bereichern uns, wir schenken uns aufmerksamkeit, wärme, zuneigung, wir reden nicht nur über dinge, die nicht viel mit unserem leben zu tun haben. deswegen mag ich politgruppen nicht. weil sich dort meistens zuerst über inhalte zusammengefunden wird, noch bevor ich die leute kenne, die über diese inhalte sprechen.

die feministische netzszeneria in schland ist so eine politgruppe. mensch folgt sich, weil irgendwas mit antira, queer-feminismus, radikal, bunt, glitzer, pink, riots not diets in der twitter bio steht und sich tag ein tag aus über die gleichen sachen empört wird. doofer artikel in leitmedium xy hier, voll der kackscheißefail von dude tralala dort, schnell noch ein RT der demofotos gemacht, #hashtagerfunden und zwischendrin wieder ganz viel personal mimimi. manche haben 10k-20k follower, schreiben bücher, reden auf veranstaltungen, kündigen ihren ausstieg an, kommen wieder,  posten selfies und haben die pille danach zum feministischen thema des jahres auserkoren. manche haben eigene blogs oder tumblrs. irgendwo zwischen all den dingen, die ich gerade aufgezählt habe, bin ich.

ich hab lange angenommen, das internet sei meine favorite politgruppe. ich habe in fünf, sechs jahren tolle menschen über das internet kennengelernt, mit denen ich heute befreundet bin und die ich regelmäßig von angesicht zu angesicht treffe. ein paar andere sind vielleicht (noch) nicht meine freund_innen, aber wir haben uns gern und schätzen uns. ich habe lange angenommen, das internet sei meine favorite politgruppe, weil ich der festen überzeugung war, dass die ganzen blasierten feuilletonisten und internetausdrucker unrecht haben mit ihrem kulturpessimismus, das internet würde soziale beziehungen kaputt machen und unser hirn zu brei und überhaupt seien wir doch zu wahrer, echter kommunikation überhaupt nicht mehr fähig in dieser fantasiewelt, in der wir uns ständig aufhalten, sobald wir den laptop aufklappen oder das smartphone zücken!!! heute denke ich, dass ich mir ganz schön viel von den blasierten feuilletonisten und internetausdruckern abgeschaut habe in sachen kulturpessimismus.

ich bin immer wieder aufs neue beeindruckt, was das internet alles schafft. aktionen, interventionen, kritikformen, netzwerke, es ging ab in den letzten jahren aktivismus, in einer rasanten geschwindigkeit, überbordenden informationsdichte, das ganze pipapo. ich preise das internet für all das, was ich in meiner zeit als (netz)aktivistin mit/erleben durfte. vieles wäre ohne internet gar nicht denkbar gewesen oder völlig anders verlaufen. das internet hat politischen aktivismus wahnsinnig verändert. manchmal bin ich naiv und kann mir gar nicht vorstellen, dass die zahl derer, die in schland gegen diskriminierung kämpfen, so dermaßen gering ist, dass das bundesamt für statistik für sie bisher keinen namen hat, der irgendwas mit hintergrund heißt.

vor einer weile hat mich das internet kaum noch interessiert. eine der gründe war, dass ich jedes mal, wenn ich bei twitter auch nur länger als 5 minuten eingeloggt war oder einmal durch meinen feedreader scrollte, angstattacken und depressive schübe bekam. oder mir platzte gefühlt der schädel. ich fand es extrem anstrengend, mich in dieser riesenpolitgruppe namens netzfeminismus zu bewegen. es war wohltuend sich eine auszeit zu gönnen. mein blick auf die welt verengt sich auch heute noch sehr schnell, wenn ich zu lange online bin. ich kann dann nicht mehr filtern, was ich wichtig finde und was nicht. was relevanz hat für mich und was nicht. wenn ich überfordert bin, werde ich wütend, traurig, nervös, kann nicht schlafen, nicht essen, kurz: mein leben kotzt mich an. einen großen anteil daran hat diese politgruppe namens netzfeminismus. ich fühl mich manchmal wie bore out.

obwohl ich mittlerweile meine timelines und feedreader sehr gut sortiert habe und eigentlich nur noch personen und blogs folge, die mir wichtig sind und die ich immer lehrreich, lustig und informativ fand, schwappt dann doch mal durch RTs oder verlinkungen zeug in meine timeline, das mich instant runterzieht oder auf die palme bringt. und ich gebe zu, dass der langweilige privileged quark (neue männer, boyfriends, gleichstellung, frauen!!!, heten!!!) mich nur noch müde lächeln lässt. was mich ärgert ist eine bestimmte attitüde, die von Alphafeministin bis queer underground reicht. Eine inszenierung einer politisch korrekten identität, die getrieben ist von ständiger selbstoptimierung bei permanenter larmoyanz. eigentlich steht das eigene leid 90% der zeit im vordergrund, aber um diese selbstzentrierung zu kaschieren, werden zwischendrin random links und texte umhergeschickt und reflektierte gedanken formuliert, die von anderen beflissentlich gefavt und RT werden. diskriminierend sind immer nur die anderen und eigene privilegien finden tarnung hinter einer rhetorik, die kritik abprallen lässt. vieles davon finde ich extrem emotionslos und irgendwie mechanisch, so als sei aus den leuten das leben herausgesaugt, als würde die welt nur noch darin bestehen, von ihnen benannt, einsortiert, bewertet und politisiert zu werden. als sei welt eine einzige rationalisierte, intellektualisierte analyse. auch dann, wenn behauptet wird, intellektualismus sei nur was für’s bürgertum (und bürgertum: das sind auch immer nur die anderen).

ich bewege mich auch hierbei zwischen all dem und kann mich selbst nicht davon frei sprechen, merke aber, dass mir das überhaupt nicht gut tut, so zu agieren oder anderen dabei zuzusehen. vieles davon erinnert mich stark an christliche traditionen, an deutschland und sein unendliches streber_innentum mitsamt seiner nervigen nörgelei und seinem bürokratischen, emotionslosen, funktionalistischen verständnis von nahezu allem, perfektionismus mit stock im arsch und jammern auf höchstem niveau. und wenn ich mir anschaue, wer sich und wie wir uns da so gegenseitig behuddeln und beflauschen und strichlisten führen für fails, wie wir uns wie die geier auf leute stürzen, die undifferenziertes gedöns labern, aber selbst nicht besser sind, ständig auf der suche nach neuen marginalisierten identitäten, weil privilegiert das neue unsichtbar ist (und wir wollen sichtbar sein, sichtbar sichtbar! nicht mehr und nicht weniger als das), ja dann komme ich zu dem schluss, dass das wohl wieder nur ein um sich selbst kreisender privilegierter, studierter, weiß(und machmal auch west)deutscher zirkel ist, der sich nicht fragt, wo all die anderen sind, aber ständig von ausschlüssen redet, der sich leider viel zu wenig gedanken darum macht, was wir gemeinsam verändern und wie wir uns gegenseitig stärken können und zusammen an projekten arbeiten können. und der nicht ehrlich zugeben kann: nein, ich arbeite nicht mit dir zusammen. nicht, weil du privilegiert bist / problematische politiken fährst, sondern weil ich dich einfach nicht leiden kann.

wenn andere auf die eigene verantwortung hinweisen, die immer nur ins außen verlagert wird, sind sie die rücksichtlosen mistkühe (<3), die vermeintlich längst nicht so diskriminiert sind wie eine_r selbst. und wenn es das nicht ist: irgendeine politisch korrekte ausrede findet sich immer. wer keine verantwortung übernimmt, hat eben mit diskriminierungsbelastung zu tun. lieber meinen nachmittag am see mit meiner zweierbeziehung zubringen, mich besaufen, meinen guilty pleasures nachgehen, fernsehen, ausmalen sind dann keine dinge mehr, die ich tue, weil ich sie möchte (ganz egal, wer das privilegiert findet), sondern das ist dann self-care. und das wird ja wohl erlaubt sein! weil politisch und so!!! feminist burn out!!! mal sehen, wer von uns diesen aktivismus als erste_r durchgespielt hat. und wie viele social justice tumblr ich dafür noch abonnieren muss.

das internet ist prädestiniert für selbstinszenierung. deswegen mag ich das internet. weil ich mich verstecken kann, weil ich mich ausprobieren kann. dass ich mich gar nicht so ausprobieren kann, wie ich möchte, weil ich im internet nur 2 identitäten habe [hysterische, irre, faschistoide lesbe/klima der angst und die silencende privilegierte feministin], egal was ich tue, habe ich erst später bemerkt. deswegen bin ich aus der großen politgruppe netzfeminismus ausgeschieden (aber es gibt ja gar nicht DEN! netzfeminismus)  und verlasse seitdem lieber öfter mal das haus, mache fehler und scheitere (an meinen eigenen ansprüchen), konzentriere mich (mehr) auf meine politgruppen und freund_innen. sehr empfehlenswert.

ich hab ewig keine rants mehr geschrieben (bis auf diesen hier), weil ich zwischendurch zu der erkenntnis gelangt bin, dass das unproduktiv, unkonstruktiv, undifferenziert und keine coole form von politik ist, womöglich fallen da noch worte, die undurchdacht sind oder sowas. rants sind überhaupt nicht selbstkritisch. die 2,3 selbstkritischen sätze im text habe ich auch nur so pseudo reingeschrieben. weil eigentlich habe ich gerade gar keine lust mich selbst zu kritisieren. voll edgy.


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2 Antworten zu „feminismus als selbstinszenierung“

  1. […] Medienelite und  Distelfliege schreiben Bedenkenswertes über Netzfeminismus. Creezy schreibt über das Netz und das wahre Leben, und warum beides nicht so weit voneinander entfernt ist, wie manche Leute glauben. […]