Heute ist der Tag.

Heute ist der Tag, an dem ich trauere,
dass ich vor zehn Jahren meine Eltern verloren habe (obwohl sie noch da sind). Weil ich ich bin.
Heute ist der Tag, an dem ich trauere,
dass ich nicht lange darüber glücklich sein durfte, dass es erwachsene Personen in der Rolle von „Eltern“ gibt, die mich lieben für das, was und wer ich bin.
Heute ist der Tag, an dem ich trauere,
weil ich Situationen und Phasen in meinem Leben einfach nur ertragen konnte, um weiter zu machen.
Heute ist der Tag, an dem ich trauere,
weil ich Übergriffe, Demütigungen, Herabsetzungen, Ausgrenzungen, Gewalt, Bloßstellungen, Calling-Outs und das Gefühl von „Anderssein“ und „Nicht vorhanden sein“ erleben muss/te.

Heute ist der Tag, an dem ich wütend bin,
dass ich mit all dem, was ich erlebt habe, weil ich ich bin, einen Umgang finden muss.
Heute ist der Tag, an dem ich wütend auf mich bin,
dass ich nicht immer einen Umgang damit finde, der Menschen, die ich liebe und schätze, nicht verletzt.
Heute ist der Tag, an dem ich wütend bin,
dass Menschen mich verletzt haben, weil sie keinen anderen Umgang mit ihren Erlebnissen finden konnten.
Heute ist der Tag, an dem ich wütend bin,
auf diejenigen, die anderen keinen Raum lassen für das, was sie sind.
Heute ist der Tag, an dem ich wütend bin,
auf diejenigen, die das Leben von anderen erschweren oder unmöglich machen, weil sie sie sind.
Heute ist der Tag, an dem ich wütend bin,
auf diejenigen, die verantwortlich dafür sind, dass Menschen ihr Leben als Über_Leben begreifen müssen. Weil sie sie sind.

Heute ist der Tag, an dem ich feiere,
dass ich ich bin. Dass andere sie sind.
Heute ist der Tag, am dem ich feiere,
dass unsere Wege sich manchmal kreuzen.
Heute ist der Tag, an dem ich meine Herzensmenschen, meine Freund_innenschaften, meine sozialen und politischen Beziehungen feiere.
Heute ist der Tag, an dem ich feiere,
dass es Wahlfamilien gibt.
Heute ist der Tag, an dem ich feiere,
dass meine Liebe für andere bedingungslos ist. Und dass mir das nichts und niemand nehmen konnte.
Heute ist der Tag, an dem ich feiere,
dass ich ich bin und andere sie sind. Trotz und mit und wegen.

Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
weil sie Kämpfe austragen (müssen/mussten), die ich niemals kämpfen musste und muss.
Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
weil sie noch da sind.
Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
die nicht mehr da sind.
Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
weil sie ihre Erfahrungen (mit mir) teilen.
Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
für ihren Mut, ihre Kraft, ihre Trauer, ihre Wut, ihr Sein.
Heute ist der Tag, an dem ich andere bewundere,
weil sie auf der Suche sind nach gemeinsamen Wegen für ein besseres Leben. Weil sie daran glauben, dass es möglich ist. Trotz und mit und wegen.

Heute ist der Tag, an dem ich dankbar bin,
dass es Menschen gibt, die die heterosexuelle Ideologie nicht einfach als gegeben hinnehmen.
Heute ist der Tag, an dem ich dankbar bin,
dass es Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen und ihr Handeln ändern (wollen).
Heute ist der Tag, an dem ich dankbar bin,
dass es Menschen gibt, die mich nicht alleine fühlen lassen.
Heute ist der Tag, an dem ich dankbar bin,
dass ich Chancen zur Veränderung bekomme. Trotz und mit und wegen.

Heute ist der Tag, an dem ich dankbar bin,
dass es diesen Tag gibt.

Heute ist Internationaler Tag gegen Homo- und Trans*diskriminierung.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Heute ist der Tag.“

  1. […] einer Woche schrieb ich einen sehr persönlichen Text zum Internationalen Tag gegen Homo- und Trans*diskriminierung (IDAHOT) auf meinem privaten […]