Seit circa drei Jahren bin ich feministisch im Netz aktiv, schreibe Texte, beteilige mich an Aktionen, twittere, facebooke, vernetze mich mit anderen. Wenn ich anderen, die nicht vor allem im Netz feministisch unterwegs sind, davon erzähle, ernte ich häufig etwas ungläubige Blicke. Ungläubig, weil sich viele nicht vorstellen können, dass und wie das Internet als politischer Raum funktionieren kann. Ich würde es beschreiben als Raum, in dem Queer-/Feminist_innen zusammenkommen und politisch handeln. Ähnlich einer Politgruppe im Meatspace, die regelmäßig Plena hält, zusammen Aktionen plant, Flugblätter schreibt und verteilt oder einfach nur Menschen Platz gewährt, die diesen brauchen – für Flausch, zum Austausch, für Solidarität, für Gespräche, für Diskussionen, Streits, für das eigene (Dazu)Lernen. Das feministische Netz ist also meine Politgruppe. Mit eigenen Kommunikationscodes, eigenen Ideen oder auch der Kritik an gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Die Menschen, die ich in diesem Internet treffe, sind irgendwie immer da. Wir brauchen keine festen Treffpunkte, keine Zeit und keinen festgelegten Ort. Manchmal treffen wir uns auch außerhalb des Netzes, auf Veranstaltungen, Workshops, Vorträgen, Tagungen oder schlicht bei einem Wodka in einer Bar oder bei einer Person zu Hause. Zu einigen habe ich eine enge persönliche Beziehung aufgebaut, sie zählen zu meinen Freund_innen, ich kann in eine andere Stadt fahren und süße Zettelchen vorfinden, auf denen steht: „Fühlt euch wie Zuhause, die Betten sind frisch bezogen, bedient euch am Kühlschrank und habt eine gute Zeit <3“
Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz hat mittlerweile eine Reichweite aufgebaut, die auch außerhalb des Netzes spürbar ist, zum Beispiel wenn Veranstaltungseinladungen ins Postfach flattern („kannst du zu diesem und jenem Thema sprechen?“), Artikel über „uns“ in großen Tageszeitungen veröffentlicht werden oder „wir“ Debatten initiieren, die dann in den Feuilletons stattfinden. Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz nimmt an gesellschaftlichen Diskursen teil – das zwar sowieso, weil alles Teil des Diskurses ist – aber irgendwie ein bisschen selbstinitiiert. So zumindest mein Eindruck. Klar, weil der Backlash spürbar ist – auch im Netz – und Widerstand nach sich zieht. Repressionen, Gewalt und Unterdrückung führen auch immer dazu, dass sich emanzipatorische Gedanken, Ideen und Bewegungen breit machen können (in dem Rahmen, der ihnen gewährt wird).
Neben dem Raum zu Vernetzung, nutzen viele Aktivist_innen das Netz auch zur Bildung und Formung ihrer eigenen politischen Perspektive auf gesellschaftliche Machtverhältnisse. Wer genügend Ressourcen mitbringen kann, hat die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit viel zu lernen und auch direkt anzuwenden. Die im Internet zugänglichen Wissensarchive in Form von Wikis, Blogs, Webseiten, Papers und PDFs sind unglaublich reichhaltig und vielfältig. Queer-/Feministische Theorie im Schnelldurchlauf. Eine Alternative zur Akademie? I don’t know. Auf jeden Fall ist das „feministische Netz“ eine Alternative zu linken Politgruppen oder eine sehr hilfreiche Erweiterung/Ergänzung.
Ich habe selten so viele radikale Queer-/Feminist_innen kennengelernt, wie in diesem Internet. Mensch kann förmlich dabei zusehen, wie sich Menschen politisch entwickeln, welche Richtungen sie wann und in welchem Kontext einschlagen und eingeschlagen haben, wie sich ihr Blick auf die Dinge fortwährend verändert.
Seit einiger Zeit gewinne ich den Eindruck, dass sich durch diese Entwicklungen des queer-/feministischen Aktivismus im Netz Dynamiken zeigen, die ich mit Entsolidarisierung und Spaltung beschreiben würde. Während letzteres durchaus nötig ist, um politisch handlungsfähig zu bleiben (warum sollte ich mich einer Gruppe zugehörig fühlen, die meine Perspektiven unsichtbar macht?), habe ich mit ersterem so meine Bauchschmerzen. Solidarität in queer-/feministischen Zusammenhängen verstehe ich so, dass ich Kritik übe (hey, du hast dies und jenes nicht mitbedacht), während ich dennoch viele Dinge unterstütze. Ein Beispiel: Die Sichtbarkeit von Frauen im Netz ist kein Thema mehr, was mich brennend interessiert, auch weil „Frauen“ als Zielgruppe irgendwie nicht weit genug gedacht ist (Kritik), ich unterstütze es aber dennoch – entweder durch Verlinkung, Retweets oder indem ich mich einfach nicht aktiv davon abgrenze. Ich kann zu einem Thema auch schweigen und damit meine Solidarität bekunden. Solange Queer-/Feminismus kein gesellschaftlicher Status Quo, keine Selbstverständlichkeit ist, nicht das Denken aller Menschen durchzieht, ist eine aktive Abgrenzung davon eher schädlich. Das heißt nicht, dass ich alles gutheißen muss, sondern ich sollte darauf schauen, wo und wie ich Kritik übe. Warum sollte ich dafür die FAZ als Plattform nutzen? Statt eines feministischen Blogs? Solidarität heißt auch, die Möglichkeit von Bündnissen offen zu lassen. Die Petition gegen Kristina Schröder habe ich unterstützt (die Mädchenmannschaft hat als Kollektiv mitgezeichnet), obwohl mich die darin aufgestellten Forderungen nicht wirklich betreffen. Die Politik Kristina Schröders tangiert mich aber sehr wohl und ich will, dass diese Frau ihren Posten räumt. Ich habe meine Position als Bündnispartnerin wahrgenommen, Kritik habe ich dennoch an dieser Aktion, zumindest an weiten Teilen der Inhalte. Ich muss diese aber nicht in Mainstreammedien äußern, die meine Perspektive sowieso verflacht und antifeministisch rezipieren und damit den Backlash- und Postfeminismusdiskurs weiter befeuern, sondern ich kann das auf meinem Blog tun, wo ich die Regeln bestimme oder das Gespräch mit den Initiator_innen suchen. Allerdings heißt auch hier das Gebot der Stunde Solidarität. Ich sollte mir nämlich Gewahr sein, dass ich zwar Teil einer queer-/feministischen Gruppe bin, ergo meine Kritik auch immer eine innerfeministische ist, mein Blog aber auch von Leuten gelesen wird, die Feminismus scheiße finden, ablehnen oder gar bekämpfen.
Dementsprechend muss ich entweder geschützte Räume dafür aufsuchen (eine E-Mail schreiben zum Beispiel) oder, wenn ich will, dass möglichst viele solidarische Menschen meine Kritik mitbekommen, mein Blogpost entsprechend verfassen. Ich muss immer das „Draußen“ mitbedenken in diesem Internet. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die alles durchziehen und aufpassen, in welchen Diskurs ich mich reinsetze mit meiner Kritik. Einfach nur zu sagen, Mely Kiyak sei voll ableistisch und gehe gar nicht, wenn sie Sarrazin als „behindert“ abwertet (zusammengefasst), befeuert den rassistischen und pro-sarrazin’schen Diskurs. Mely Kiyak ist anders positioniert als Sarrazin. Weil Antirassismus weniger Gewicht hat als die Festigung rassistischer Strukturen. Weil eine Migratisierte weniger Gewicht hat als ein weißer Deutscher, der den deutschen Volkskörper fanatisch beschwört.
Ich kann den Ableismus an Kiyaks Aussagen kritisieren und mich trotzdem solidarisch mit ihr zeigen. Einerseits, weil ich es nicht zulassen kann, dass ein Unterdrückungsverhältnis gegen das andere ausgespielt wird (und damit Bündnisse und Solidarität zu Recht verhindert werden) und andererseits ich marginalisierte Sprechpositionen nicht unsichtbar machen will. Warum? Weil ich durch die Unsichtbarmachung den rassistischen Diskurs unterstütze, der ja tagtäglich marginalisierte Sprechpositionen in die Peripherie drängt.
Da mein Eindruck ist (wie oben beschrieben), dass queer-/feministischer Aktivismus im Netz nun stärker im Mainstream rezipiert wird oder Einfluss auf den Mainstream ausübt, ist es wichtig darauf zu achten, an wem und woran ich als Queer_Feminist_in Kritik übe und wie ich diese Kritik formuliere. Ich habe weiterhin den Eindruck, dass hier zwei Entwicklungen parallel verlaufen: Einerseits bietet das geöffnete Türchen in den Mainstream die Möglichkeit, dort radikale Positionen unterzubringen, wovon ja viele rege Gebrauch machen. Andererseits sehen einige durch radikale Positionen das geöffnete Türchen in Gefahr und fangen an, sich aktiv von diesen Positionen abzugrenzen, sich mit diesen Positionen (die ja weiterhin prekäre und marginalisierte (Sprech-)Positionen sind) zu entsolidarisieren. Zweitere Entwicklung halte ich für gefährlich. Es ist ein Buckeln nach oben und Treten nach unten. Ein verinnerlichtes Teile-und-Herrsche-Prinzip, das bedient wird und wahrscheinlich auf eigenen Abwehrmechanismen gründet und letztlich nur reaktionäre, sexistische, rassistische, homophobe, transphobe und andere Unterdrückungsverhältnisse stützt.
Ich verstehe das nicht so ganz, weil hier marginalisierten und radikalen Positionen ein immens großes Wirkungsfeld zugesprochen wird, das sie nicht haben. Weder im queer-/feministischen Umfeld des Internets noch draußen im Meatspace. Nicht haben, weil die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und eigene Privilegierungen und damit zusammenhängende Abwehrmechanismen es verhindern (es müsste ja das eigene Weltbild umgekrempelt werden und das geht ja gar nicht, einself!). Es finden Kämpfe um Definitionshoheit statt, queer-/feministischer Aktivismus im Netz entwickelt Historizität und da wollen möglichst viele mitarbeiten und ihre Positionen vertreten sehen. Was ich verstehen kann, aber nicht mitbedacht wird, dass Positionen, die sich am gesellschaftlichen Mainstream zumindest teilweise orientieren, sowieso gehört und berücksichtigt werden.
Keine radikalen Positionen zu vertreten, heißt immer auch, sich ein bisschen anzubiedern, Kompromisse einzugehen und Gefahr zu laufen, sich mit beispielsweise sexistischen Positionen gemein zu machen und damit beispielsweise Heteronormativität weiter zu stützen. Was im Endeffekt auch heißt, marginalisierte Sprechpositionen unsichtbar zu machen, wenn nicht gar weiter zu gefährden.
Ich habe Verständnis dafür, wenn nicht alle radikale Perspektiven aktiv unterstützen und beklatschen, weil sie andere Strategien politischen Handelns für sinnvoller bzw. gewinnbringender erachten, nur: für wen? Das kann gerne transparent gemacht werden, statt Objektivität zu postulieren oder den einen richtigen Weg für alle zu wollen. Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, wenn hier auf Kosten vieler Politik für wenige gemacht wird. Zumal sich teilweise in Zeiten des Streits und Widerspruchs auch mit Leuten zusammengeschlossen wird, die ganz offen antifeministische, rassistische oder sexistische Einstellungen pflegen und hofieren. Das ist unsolidarisch und schadet letztlich allen queer-/feministischen Aktivist_innen im Netz.
Ich möchte daher zum Schluss nochmal daran erinnern, dass Solidarität auch ohne aktiven Zuspruch bekundet werden kann, Spaltungen notwendig und gut sind und eigene Abwehrreflexe nicht immer in geifernden Texten enden müssen, die eigentlich nur aussagen, dass marginalisierte Positionen doch bitte leise sein sollen. Wenn ich schon nicht an meinen eigenen Lücken arbeiten will, dann kann ich mich immerhin darauf ausruhen, dass es angesichts der Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Machtverhältnisse keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen wird. Eher im Gegenteil. Oder einfach mal gar nichts sagen und mich auf das konzentrieren, was mir politisch wichtig ist. Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz muss keine in sich geschlossene und inhaltlich homogene Bewegung sein, um zu wirken, ich wünsche mir Vielfältigkeit ohne die ständig angekurbelten Schließungsprozesse, Beißreflexe und das „Nach-unten-treten“.
Kommentare
Eine Antwort zu „Radikalität und Solidarität im feministischen Netz“
[…] “beste Art”, gegen Sexismus zu diskutieren all meine schönen, durch Nadine Lantzschs Blogpost gewonnen Überzeugungen von “Solidarität bei Differenz” innerhalb der Bewegung […]