Meine Alkoholkarriere startete ich mit 15. Zu dieser Zeit besuchte ich Großraumdiskotheken, die mit Flatrates und Doubledeckers (2 for 1) lockten, oder Dorffeste. Auf dem Land, vielleicht ist das einigen bekannt, trinkt mensch vor allen Dingen die Hälfte des Jahres outdoor. Fast jedes Wochenende findet eine andere dörfliche Veranstaltung statt, wo Alkohol in Massen ausgeschenkt wird. Am Anfang war das alles noch ganz harmlos, kindliche Freude in kleinem Schwips. Wenig später dann mein erster Vollrausch – gefühlte zehn Schnäpse zu viel und ich kam zu Hause an: ohne Fahrrad, ohne Rucksack, einen kaputten Gürtel in der Hand und die Kotze auf meiner Kleidung. Danach ein Gerichtsverfahren am Hals wegen Diebstahls und um 400 € leichter. Von übermäßigem Alkoholkonsum hielt mich das allerdings nicht ab. Ein paar Jahre verbrachte ich fast jedes Wochenende über dem Klo, schlief ein, ließ mich bemalen und hatte diverse Spitznamen im Freundeskreis. Stroh80, Barcardi Rigo, Smirnoff Ice, Diesel, Goldkrone, Whiskey, Rum, Ethanol, Pfeffi, Martini, Sekt und Perlwein. Der Zorn meiner besorgten Eltern war mir gewiss. Es hagelte schon mal Ausgehverbote.
Später dann im Studium ging das so weiter. Mensch kennt das ja. Partys unter der Woche, Partys am Wochenende, diverse Festivals. Ich hatte meine Suffgrenzen mittlerweile gut im Griff, konnte trinken ohne mich zu übergeben oder an Blackouts zu leiden. Super!
Seitdem ist Genosse Alkohol mein bester Begleiter in schweren Stunden gewesen oder einfach: um mich anzuheitern. Alkohol ist eine tolle Droge. Gesellschaftlich führt er ein unkritisches Schattendasein: vom sozialen Umfeld toleriert, werden lediglich Alkoholkranke geächtet und in die Pennerecke gestellt. Dass Haus, Frau, Job und Kind zu verlieren nichts mit Pennerdasein zu tun hat, ignorieren die meisten. In meinem familiären Umfeld hatte Alkohol des öfteren verheerende Wirkung. Alkohol und ich sind deshalb eng verbunden, ich neige zum trinken.
Ich kann mich nicht erinnern, in gemeinsamer Runde mit Freunden jemals nicht getrunken zu haben, ein Gläschen Wein ist mir zu wider. Ich muss was merken. Nüchtern bleiben ist rausgeschmissenes Geld. Auch am Wochenende ist klar: Alkohol. Die einzigen Abende, an denen ich nüchtern blieb, waren Clubbesuche technoider Art. Einfach, weil ich länger durchhielt und gerne zur Musik tanzte. Später verflüchtigte sich diese Praxis in Tequila und Bier.
Alkohol erweitert mein Bewusstsein. Ich rede ganz anders über Dinge, ich bin offener und lustiger. Und betäubter. Alles, was schlecht läuft, wird ausgeblendet. Alkohol als Verdrängung. In meiner Berlinzeit (seit 2007) kombinierte ich Alkohol auch schon mal mit anderen Sachen, was den Abend nicht unbedingt besser machte, ihn jedoch umso folgenreicher werden ließ. Nicht gut. So beschränkte ich mich letztlich doch auf meinen besten Begleiter in Partyzeiten.
In den vergangenen Monaten merkte ich allerdings, dass ich vermehrt Gelegenheiten suchte um zu trinken. Was in meiner Jugend als geplanter Zufall auftrat, wurde nun zur selbstbewussten und suchtbejahenden Tätigkeit. Ich suchte Ablenkung: vom Alltag und vom Alltagsstress. Alkohol war die einzige Möglichkeit, der einzige Zeitpunkt, mich befreit zu fühlen. Lasten abzulegen oder sie wenigstens für einen kurzen Moment in die Ecke zu stellen. Unvorstellbar einen Abend in Gesellschaft nüchtern zu verbringen, quälende Gedanken an die nächsten Tage, die ich nüchtern beenden sollte. Hilfe!
Sich das alles einzugestehen, ist vielleicht die eine Sache. Das alles verändern zu wollen, die andere. Ich wägte Gründe ab: Geld, Gesundheit, Befreiung, Selbstermächtigung über den Willen. Zum Glück entschied ich mich für einen Potpourri aus all dem.
Seit einem Monat lebe ich nun ohne Alkohol, halbwegs ohne Probleme. Mein Portemonnaie dankt mir jeden Tag, ich fühle mich fit, mein Gewicht ist gesunken, das sieht jetzt alles wohlgeformt aus – ohne Sport. Noch mehr berauschend ist allerdings die Erkenntnis, Nein zu sagen – weil ich es kann. Es macht mir nichts aus. Ich sehne mich nicht nach einem kühlen Bier, mein Ausgehverhalten ist unverändert, mein soziales (trinkendes) Umfeld ist super tolerant, alle ringen der alkoholfreien Geschichte Respekt ab. Passiert ja schon mal des öfteren, dass man blöd angeschaut wird, weil in der Bitter Lemon kein Vodka drin ist. Nicht hier, nicht bei mir. Danke dafür.
Trotzdem muss ich zugeben, in diesem ersten Monat bin ich nicht ganz unterstützungsfrei ausgekommen. Ich besorgte mir etwas Gras, dass ich ab und an in Begleitung konsumierte. Grüne Blüten als „Nikotinpflaster“. Wirkt super. Aber irgendwie auch nicht. Mein vor einem Monat gekaufter Mini-Vorrat geht langsam zur Neige, ich habe nicht vor, mich neu einzudecken. Beide Drogen erzielen bei mir unterschiedliche Wirkung. Zum Partymachen, zum Aufputschen, zum stundenlang Fröhlichsein, wie Alkohol das schafft, ist Gras gänzlich ungeeignet. Gras ist gut, wenn man nach einem erschöpfenden Tag bei Sonnenuntergang mit einem guten Freund oder einer guten Freundin ein bisschen Abschalten will. Mehr nicht. Nett, aber irgendwie nicht auf Dauer angelegt. Als Partyersatz greife ich lieber zu Cola oder Club Mate. Grandioses Zeug. Ließ mich im Berghain von halb 5 bis 9 Uhr fast unentwegt und gut gelaunt tanzen, ohne Erschöpfungsgefühle zu generieren. Neuartige Rauschzustände, die ich bis dato nicht kannte und auf die ich mich immer wieder zurückbesinne, wenn ich anderen ein Bier mitbringe und mir einen Eistee.
Ich weiß nicht, wie lange ich jetzt noch so weitermache. Mit jeder verstrichenen Woche steigt die Hemmschwelle, Alkohol anzufassen. Unweigerlich schießen Erinnerungen in den Kopf, wie es sich anfühlt, betrunken zu sein. Momentan fühlt sich das mehr bäh als supi an. Ich warte auf den Moment, an dem ich wieder trinken kann, ohne als Grund Verdrängung angeben zu müssen. Vielleicht wäre eine gute Gelegenheit an meinem Geburtstag die Überwindung meines Burn-Outs zu feiern, an dem ich seit März herumkrebse. Mit einem Gläschen Wein.
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