Kritische Randbemerkungen zum Einbürgerungstest. Von Nadine Lantzsch
„Es ist Deutschland hier!“ – Mit diesem im besten Fall nett gemeinten Verortungshinweis hat Außenminister Guido Westerwelle zum Ende des vergangenen Jahres nicht nur einem fragenden BBC-Reporter gezeigt, wo auch 2010 hierzulande der multikulturelle Hammer hängt.
Seit der gesetzlichen Einführung des Staatsbürgerschafts- bzw. Einbürgerungstests ist die Zahl der Einbürgerungen gesunken – und mit rund 90.000 Einbürgerungen im Jahr 2008auf dem niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren. Für 2009 werden weiterhin sinkende Zahlen erwartet.[1] Nur knapp über 50 Prozent der rund 75.000 Integrationskurs-Teilnehmer konnten 2008 den Kurs erfolgreich abschließen[2]. Offenbar sind die Hürde des Sprachlevel B1 sowie die für viele verpflichtende Teilnahme an den Integrationskursen, die einen Umfang von fast 650 Stunden haben, die Gründe für die zurückgehenden Einbürgerungen. Darüber jedoch eine mangelnde Einbürgerungswilligkeit der Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit zu konstatieren, würde das Ausmaß des restriktiven Einbürgerungsverfahrens auf die deutsche Integrationspolitik verschleiern.
Denn das Einbürgerungsverfahren und die bevorzugte Behandlung von EU-BürgerInnen beim Verfahren selbst lassen offenkundig werden, dass Staatsbürgerrechte eben nicht mittelbare Menschenrechte[3] sind, sondern eher einer kolonialen Praxis[4] gleichen. Integration ist in Deutschland eine verpflichtende Leistung derer, die nicht der weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft angehören und deren gesellschaftliche Verortung als „Andere“ oder „Ausländer“ immer wieder durch hegemoniale Begründungen, Stichwort: deutsche Leitkultur, und Herrschaftsmechanismen wie (strukturellem) Rassismus abgesichert und reproduziert werden. Die Anderen müssen ihre Integrationswilligkeit und Integrationsfähigkeit unter Beweis stellen. Integrationsleistung der Mehrheitsgesellschaft: keine.
Außerdem erwartet die Mehrheitsgesellschaft von den Anderen verfassungspolitische Loyalität. Dabei ufert deren zunächst berechtigter Nachweis oft in stigmatisierende Gesinnungsfragen aus, die trotz massiver Proteste zum Teil ihren Weg von den hessischen und baden-württembergischen Erstentwürfen zum Einbürgerungsverfahren in den aktuellen bundesweiten Test oder in den Integrationskurs gefunden haben. Die Abfrage der Gesinnung stellt den traurigen Höhepunkt einer zutiefst diskriminierenden deutschen Integrationspolitik dar, da sie das Recht auf kulturelle Freiheit der Subjekte beschneidet und rechtsstaatliche Prinzipien negiert. Worüber Einbürgerungswillige Zeugnis ablegen müssen, hält der Staat also nicht einmal selbst ein.
Dabei sollte die Verleihung der Staatsangehörigkeit gerade nicht aus Willkür heraus erfolgen oder eine Belohnung für eine „nach freiem Ermessen besondere Integrationsleistung“[5] sein. Vielmehr sollte der Integrationsprozess beiderseitig erfolgen und Integrations- bzw. Einbürgerungswillige nicht vor die Wahl der Assimilierung oder Marginalisierung stellen. Homogenitätsdruck auf diese Personengruppen auszuüben, läuft den fundamentalen Werten eines pluralistischen Staates, der sich in seiner Verfassung zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten bekennt, zuwider. Stattdessen sollte eine freiheitliche Integrationspolitik bemüht sein, den bisher polemisch aufgeladenen und negativ konnotierten Begriff des Multikulturalismus seiner ursprünglichen Bedeutung zurückzuführen und als gesellschaftliches Paradigma einer Zuwanderungsnation, so wie Deutschland faktisch eine ist, festzuschreiben, anstatt die konstruierte Dichotomie von Multikulturalismus und Pluralismus zu perpetuieren. Nur so kann der Stigmatisierung sich im Integrationsprozess befindlicher Personengruppen entgegengewirkt, der schrittweise Abbau von machterhaltenden Differenzierungsmustern und der damit verbundenen Diskriminierungspraxis durch Staat und Gesellschaft vorangetrieben werden.
Disclosure: Seit dem 1. September 2008 müssen Einbürgerungswillige nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz einen bundesweit einheitlichen Staatsbürgerschaftstest bestehen, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Zusätzlich werden Integrationskurse angeboten, die für sogegannte Integrationsbedürftige verpflichtend sind. Die Integrationsbedürftigkeit der jeweiligen Personen ermittelt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach strikten Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes. Hauptbestandteil dieser Integrationskurse ist die Vermittlung umfangreicher Kenntnisse der deutschen Sprache, die am Ende mit einem Test auf das Sprachlevel B1 hin überprüft werden. Der Nachweis des Sprachlevels B1 ist für den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit obligatorisch. Zusätzlich erhalten die TeilnehmerInnen des Kurses in fast 50 Stunden „Alltagswissen sowie Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit“ – dieser Bestandteil kann als Vorbereitung auf den Staatsbürgerschaftstest angesehen werden.
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[1] Sevim Dagdelen (Die Linke)
[2] Integrationskursbilanz 2008
[3] & [5] vgl. Bielefeldt 2006
[4] vgl. Ha 2008
Literatur
Bielefeldt, Heiner (2006): Einbürgerungspolitik in Deutschland. Zur Diskussion über Leitkultur und Staatsbürgerschaftstests. Deutsches Institut für Menschenrechte.
Ha, Kien Nghi (2008): Zertifikat Deutsch. Integrationskurse als koloniale Praxis, in: Hinterland Magazin (8): 26-31
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