How to get over yourself. Über den Umgang mit Diskriminierung und Identität.

In den aktivistischen Umfeldern, in denen ich viel unterwegs bin oder denen ich mich zugehörig fühle, wird viel mit (verletzenden) Fremdzuschreibungen gearbeitet, um Menschen von außen auf bestimmte soziale Positionierungen in Diskriminierungsverhältnissen festzutackern. Ich finde es problematisch, Urteile über Lebensgeschichten und -realitäten von anderen zu treffen, die ich gar nicht kenne. Meistens geht es bei diesen Fremdzuschreibungen darum, von außen festzulegen, wer in Bezug auf ein bestimmtes Diskriminierungsverhältnis privilegiert oder diskriminiert positioniert ist. Ich verstehe das, weil es erleichtert, wie ich mich auf andere beziehe, wie ich ihnen gegenübertrete, welche Kritiken ich übe. Es schützt mich auch manchmal vor Verletzungen und Enttäuschungen. Und ich denke, dass Menschen, die Diskriminierung erleben, sehr gut darin sind, Privilegien, ihre Formen und Auswirkungen zu erkennen und zu benennen, auch in der Interaktion mit anderen, sozusagen Expert_innen sind in Bezug auf das Diskriminierungsverhältnis, das sie selbst als Betroffene erleben.

Dennoch: Mich nervt, dass das sozusagen einen gewissen Outing-Zwang hervorbringt, ich mich quasi „claimen“ muss (am besten mit Belegen aus meinem Leben), wenn ich nicht will, dass mich andere zu Unrecht und unwissend in die Schublade „privilegiert“ stecken. Nur weil ich Teile meines Lebens vor der breiteren Öffentlichkeit verstecke, heißt das nicht, dass es mich nicht in diskriminierender Weise betrifft. Klar gibt es Diskriminierungen, die sich schwer „verstecken“ lassen, die ich nicht verstecken kann, selbst wenn ich wollte und die ich nicht verstecken will, weil Empowerment. Aber es gibt eben auch Diskriminierung(serfahrungen), die für andere nicht so leicht zu erkennen sind und über die ich nicht offen spreche, weil ich nicht will (aus welchen Gründen auch immer) oder mein Erleben diesbezüglich (noch) nicht Teil meines persönlichen Auseinandersetzungsprozesses ist (aus welchen Gründen auch immer).

Zudem häufen sich in meinen aktivistischen Kontexten zum Teil recht eindimensionale Erzählungen, Analysen und Kritiken über bestimmte Diskriminierungen (z.B. Klassismus oder die Konstruktion und Diskriminierung von [vermeintlicher] Behinderung), die dann ungewollt zur Norm werden. Auch weil die Personen, die sich öffentlich als „Betroffene“ zu erkennen geben, von anderen zur einzige_n Expert_in auf dem Gebiet erklärt werden, obwohl sich das Erleben von Betroffenen z.T. fundamental unterscheiden kann. Die Folge ist, dass viele Aspekte von Diskriminierung nicht thematisiert werden, dementsprechend auch keine W_Orte für Austausch, Zusammenkunft und Empowerment da sind. Und da Privilegien immer schlecht sind und Privilegierte nur das sind (privilegiert), können sie dann lediglich zwischen „Kackscheiße“ und „Verbündet-Sein“ wählen. Das ist nebenbei bemerkt alles so weiß-deutsch, christlich und binär gedacht, dass ich mich frage, wie das mit vielen feministischen aktivistischen „Standards“ überhaupt in Einklang gebracht wird.

Ich will damit nicht sagen, dass wir ja alle ein bisschen diskriminiert sind (und deshalb alle gleich), dass wir uns alle ein Sternchen hinter unsere Identitätsmarker heften können oder dass Diskriminierung ja nur konstruiert ist. Ja, Diskriminierung passiert aufgrund von machtvollen Konstruktionen, deswegen sind es die Auswirkungen dessen aber nicht. Ich will damit sagen, dass die Auswirkungen von Diskriminierung komplex sind und nicht immer in eine einfache A oder B Logik passen. Und ich verstehe auch sehr gut die Angst vor jenen, die sich schnell einen Betroffenenstatus anheften, weil sie sich selbst nicht als machtvoll wahrnehmen (wollen) und glauben, diskriminiert zu sein würde sie von ihren Schuldgefühlen erlösen.

In meinen aktivistischen Zusammenhängen geht es oft darum, „Authentizität“ zu performen. Eindeutigkeit in Bezug auf Diskriminierung und Privilegierung herzustellen, „Wahrheit“ herauszufinden, festzustellen, zuzuordnen. Weil der Gedanke, privilegiert zu sein, unerträglich ist. Weil der Gedanke, andere könnten mir meinen Status als „Betroffene“ streitig machen, unerträglich ist. Wenn ich diskriminiert werde, möchte ich bitte auch so wahrgenommen werden, möchte ich anerkannt, ernstgenommen werden. Ich kann das super gut nachvollziehen, weil ich auch oft so unterwegs bin. In einer Gesellschaft, die mit Diskriminierung so umgeht, dass sie sie verleugnet und auch meine Erfahrungen verleugnet werden oder keine Bedeutung haben sollen, die mit Diskriminierung so umgeht, dass es nur Extreme gibt (z.B. Nazis vs alle anderen / der Staat vs alle anderen), in einer Gesellschaft, die Privilegien als Bürde verkauft und wo Menschen, die mit viel Macht ausgestattet sind, lieber Opfer spielen (siehe Schland), ist all das verständlich.

Trotzdem ist die Frage für mich, wem dieses Denken eigentlich in die Hände spielt, welche Logiken hier bedient werden und wie wir uns gemeinsam um Verantwortungsübernahme bemühen und diese praktizieren können, wenn wir ständig Einzelpersonen universalen Expert_innenstatus zuschreiben und jede_n „Neuzugang“ akribisch auf Positionierung abchecken, Verteidigungshaltung und Abgrenzung immer im Stand By Modus haben. Wenn Positionen, die wir nicht sofort mit „Ja, das stimmt/sehe ich genauso/geht mir genauso“ quittieren können, erst einmal solche sind, die kritisch zu beäugen und ggf. als „privilegiert“ abzulehnen sind. Es geht hierbei auch um den Umgang mit (Angst vor) Kontrollverlust. I totally get it.

Ich rolle mit den Augen und stöhne, wenn Menschen aufgrund ihrer Lebensentscheidungen denken, ihre (strukturellen) Privilegien seien dadurch nicht mehr vorhanden. Das fällt mir bei weißen Heten auf, die sich ab einem bestimmten Alter nicht ausschließlich sexuell auf ihre weißen Typen beziehen wollen und dann anfangen queere Räume und Personen zu sexualisieren / fetischisieren, sich aufregen, wenn sie nicht sofort gedatet werden (die sind ja auch voll diskriminierend!!!einself) aber dennoch gesellschaftlich als Hete eingelesen und entsprechend behandelt werden, die trotzdem mit Typen-Bezogenheit aufgewachsen sind, das als normal erlebt haben und sich bis heute vornehmlich auf Typen beziehen, Sorgearbeit für Typen leisten usw, also insgesamt in einer heterosexuellen Logik weiterleben (können, wenn es ihnen bequem erscheint). Andere haben diese Wahl einfach nicht. Diskriminierung hat für mich viel mit Optionen haben im aktuellen System, in dem ich lebe, zu tun. Und dass verschiedene Wahlmöglichkeiten, die ich habe, eher mit sozialer Anerkennung und Aufwertung einher gehen. Hete(Sternchen) ist dann eben kinky, modern, tolerant, individuell, aufgeschlossen und nicht Kampflesbe, scheiß Mannweib, „Es“, Gewalt, Vereinzelung/Isolation, Psycho_Pathologisierung, rassistische Polizeigewalt, Arbeitslosigkeit, das staatliche Verbieten von Reproduktion und Familiengründung, Armut und das Verletzen von (körperlicher) Selbstbestimmung.

Dennoch bleibt es problematisch aus diesem Kack-Hetenverhalten auf Lebensrealitäten anderer zu schließen, die für mich nicht „eindeutig genug“ betroffen sind. Ich kann nicht immer wissen oder nachvollziehen oder verstehen. Ich kann nicht verhindern, dass Menschen sich Lebensrealitäten aneignen, die nicht ihre sind. Ich kann schlicht keine Kontrolle darüber ausüben, wie verantwortungsvoll Menschen mit ihren komplexen Geschichten, mit ihren Diskriminierungen und Privilegien umgehen.

Mir hilft es in solchen Momenten, mich weniger auf mich selbst und meine Ängste und meine Ohnmacht zu konzentrieren, mich anzuerkennen (ja ich habe all das erlebt/erlebe all das, ja das ist meine Realität, mit der ich Umgänge finden muss) und mich öfter als Person zu begreifen, die dennoch sehr viele Wahlmöglichkeiten in ihrem Leben hat und mit vielem gar nicht und niemals umgehen muss. Daraus Verantwortung und solidarische Handlungen abzuleiten. Die Perspektive auf mich als „Betroffene, die jederzeit achtsam sein muss“ hin zu anderen, ihren Geschichten, ihren Politiken zu lenken. Ich erlebe das als sehr befreiend, empowernd und liebevoll. Es bereichert mich, es öffnet mich und stärkt mich in meinem Sein. Ich kann meine Identität in der Komplexität wahrnehmen, die sie nun einmal hat und finde Verbindungen mit anderen ohne dieses politische Abchecken, Einordnen und Performen. Mich selbst auch ein bisschen von diesen Kategorien zu befreien, im Sinne von: ihnen nicht mehr so viel Macht über mich, meine Entscheidungen und Handlungen zu geben (bzw die Möglichkeiten herauszufinden und auszureizen). Ob es jetzt nun Schuld oder Scham ist, weil ich Privilegien habe oder Angst vor Kontrollverlust, Ohnmacht, weil ich Diskriminierung erlebe… Sometimes I’m able to get over myself.

Das macht mich aktiv, gestaltend und lebendig. Es unterstützt mich in meiner politischen Arbeit. Es eröffnet andere Perspektiven und ermöglicht (andere Wege von) „gemeinsam“. Es gibt mir Hoffnung. In solchen Momenten erlebe ich, dass Utopie doch etwas sein kann, dass im Hier und Jetzt stattfindet.


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Eine Antwort zu „How to get over yourself. Über den Umgang mit Diskriminierung und Identität.“

  1. […] Medienelite schreibt Nadine über den Umgang mit Diskriminierung und Identität: „Mir hilft es in solchen Momenten […] mich öfter als Person zu begreifen, die dennoch […]