Seit Jahren sitze ich in meinem Kopf an einem Text über Gewalt in Beziehungen. Solche Beziehungen, die in ihrer gelebten Praxis und/oder in der Selbstverortung und/oder in der Nicht_Inanspruchnahme von Privilegien von der heteronormativen Struktur dieser Gesellschaft abweichen. Warum so kompliziert? Ja ganz einfach: Weil hetero-Beziehung nicht gleich hetero-Beziehung ist und „queere“ Beziehungen ebenso heteronormativen Mustern folgen können. Weil Menschen, obwohl sie in Heterobeziehungen leben, Widersprüche in der Vorstellung, von dem was hetero zu sein und wie es abzulaufen hat, herstellen können.
Hetero ist für mich immer eng verknüpft mit einer sehr engstirnigen und einfältigen Vorstellung von Gender, Geschlechtlichkeit, Begehren und Sexualität. Hetero heißt für mich auch Privilegien in Bezug auf gesellschaftliche und soziale Anerkennung zu haben, z.B. in der Lebensplanung, in Jobs, etc. Hetero heißt für mich in Bezug auf Sexualität und Begehren und Gender unsichtbar sein zu können, in die Norm fallen, nicht auffallen, niemals deshalb Outing-Situationen erlebt zu haben und sich in Bezug auf das eigene Gender, die eigene Sexualität und das eigene Begehren niemals als anders empfunden zu haben. Natürlich greifen diese Dinge ineinander: Strukturelle Privilegien in Anspruch nehmen zu können und das Gefühl des „Hineinpassens“, ohne das es je konkret von der hetero lebenden Person benannt werden müsste. Oder vom sozialen und beruflichen Umfeld.
Wer Sensibilität für Mehrfachdiskriminierung mitbringt, wird an dieser Stelle ziemlich schnell merken, dass Heterosexualität nur dann widerspruchsfrei ausagiert und von anderen akzeptiert werden kann, wenn die hetero lebende Person weiß ist oder als nicht-behindert eingelesen wird. Heterosexualität ist weiß und ableisiert, normschön, schlank. Manchmal ist Heterosexualität auch in Bezug auf Klasse ein sehr wirkmächtiges Ordnungsinstrument, wenn wir uns klassistische Stereotypen über abwertend benannte „Unterschichts“-Familien vergegenwärtigen, die aufgrund von außen zugeschriebener vermeintlich verantwortungsloser Sexualität sehr jung sind oder viele Kinder betreuen. Das heißt natürlich nicht, dass wir alle ein bisschen nicht-hetero oder Hete*(Sternchen) sind, sobald wir Diskriminierungserfahrungen machen, die nicht zu einer ebenfalls sehr einfältigen und privilegierten Definition von Sexismus zählen.
Das heißt in erster Linie für Menschen, die sich nicht als hetero definieren, dass sie in Bezug auf ihr Nicht-Hetero-Sein sehr unterschiedliche Erfahrungen machen und unterschiedlich privilegiert/diskriminiert werden. Konkret mache ich als weiße, nicht immer zweigender konform (sein wollende/eingelesene) Lesbe keine Erfahrungen, die ich schlicht als die heterosexistischen/homophoben Erfahrungen bzw. Beziehungsgewalterfahrungen verallgemeinern könnte. Denn auch Queer/Gender/Begehren/Sexualität ist weiß, ableisiert, normschön und schlank (und klassenbezogen privilegiert). Und nicht immer führen wir mit Menschen Beziehungen, die die gleiche soziale Position teilen. Und nicht immer führen wir Beziehungen, die allein unter typen- oder hetenkritischen Gesichtspunkten allein zu analysieren wären. Gewaltbeziehungsanalysen sind für mich komplexer geworden mit der Zeit. Meine Sicht auf meine Beziehungen ist es und manchmal führt das dazu, dass ich kaum mehr eine klare Haltung zu dem entwickeln kann, was mir in Beziehungen wichtig ist und warum, was ich als Gewalt wahrnehme, wahrgenommen habe, wo eigentlich die Grenzen liegen zwischen verschiedenen Beziehungsformen, was ich möchte, mit wem. Wie eine Kritik aussehen kann, die verschiedene Lebensrealitäten mitdenkt und wie ich über eigene Gewaltbetroffenheit schreiben kann, ohne Aussagen zu treffen, die doch wieder ein eingeschränktes Bild über Beziehungen und darin stattfindende als gut und als schlecht bewertete Handlungen zeichnen. Weil eben auch das mit Diskriminierung verknüpft ist, was in Beziehungen als gutes und schlechtes Verhalten bewertet wird.
Ein anderer Grund ist, warum ich seit Jahren lediglich in meinem Kopf Texte überlege ist, dass ich dieses Anderssein nicht schon wieder in einem öffentlichen Raum (in diesem Fall Internet) erleben will. Outing-Situationen werden mich mein ganzes Leben lang begleiten, mindestens immer dann, wenn ich einen Raum betrete, in dem sich Personen aufhalten, die ich nicht kenne, auf der Straße oder genereller gesagt: In allen Kontexten, in denen Heterosexualität Selbstverständlichkeit ist. Ich spüre solche Situationen mittlerweile intuitiv und merke, wie ich Entscheidungen treffen muss. Immer wieder: Wie kann ich in dieser ganz konkreten Situation sein als Mensch? Was muss ich von mir zurückhalten? Wie ich muss ich verhalten, damit ich mich noch halbwegs wohl fühle? Ich weiß, dass auch das ein Privileg ist in vielen Situationen, noch halbwegs die Entscheidungsmacht darüber zu haben, was von meiner Identität in ein diffuses (hetiges) Draußen gelangt. Eigentlich könnte ich mich bestärkt fühlen, diese Entscheidungsmacht in vielen Situationen zu haben. Selbst zu bestimmen, welche Aspekte von mir jetzt gerade eine Rolle spielen sollen und welche nicht. Ich fühle diese Selbstbestimmung allerdings nicht. Ich fühle mich im Gegenteil eher fremdbestimmt, weil ich nicht einfach sein kann. Ohne mir Gedanken über all diese Dinge machen zu müssen. Ganz zu schweigen, von den für mich als Zumutung und Zurichtung empfundenen heterosexualisierten Anrufungen und Selbstverständlichkeiten, die Heten ständig ins Außen kommunizieren und praktizieren müssen.
Zur Outing-Situation kommt hinzu, dass ich eigentlich nicht will, dass Heten so etwas von mir lesen. In Bezug auf Gewalt in Beziehungen haben mich Heten manchmal öfter ernst genommen als viele meiner queeren Peers, jedoch nicht, weil sie sensibilisierter wären. Häufig musste ich mir schon sagen lassen, wie gut ich es doch hätte, ohne Typen in meinem Leben und Lieben, teilweise sogar mit der Bemerkung, dann würde ich ja keine Gewalt erleben. Beschränktes hetiges Denken. Wenn ich dann von Gewalt berichte, die ich nicht nur von Typen erfahren habe, sind sie ganz schockiert, weil sie bis zu diesem Moment hofften, irgendwann auch den Weg ans „sichere Ufer“ finden zu können, wenn ihnen die Typen in ihrem Leben zu sehr auf den Geist gehen. Dann gibt es ja noch diese Sorte Heten, die sich ob all der um sie herum ausufernden Hetero-Kritik endlich bestätigt sehen, dass es anderswo auch nicht besser aussieht. Und die Nicht-Heten lieber erstmal vor der eigenen Haustür kehren sollten, bevor sie anfangen meine hetige pathologische Typen-Bezogenheit zu kritisieren. Oder es sind die voyeuristischen Heten, die es ein bisschen geil finden, von Gewalterfahrungen anderer mitzubekommen, weil sie ihre eigenen Gewalt-Beziehungen dann nicht reflektieren müssen oder so besser das eigene Erleben ins Außen verfrachten können. Instrumentalisierungsängste waren und sind sehr groß bei mir, auch dann, wenn ich Texte von anderen über Gewalt in Beziehungen lese, in denen hetero keine Rolle spielt.
Was mich außerdem nicht hat schreiben lassen: für wen wollte ich so einen Text eigentlich schreiben? Für die Heten, damit die auch mal kapieren, dass sie nicht die einzigen sind, die Gewalt in (romantischen Zweier-)Beziehungen erleben? Für Aktivistinnen, damit die auch mal kapieren, dass sexualisierte und Beziehungs-Gewalt kein reines Typen-Phänomen ist und ich die Schnauze voll habe von Texten über abusive und toxic relationships, in denen alles aus einer nicht benannten heterosexistischen Perspektive heraus analysiert wird, wo es nur Frauen und nur Frauen als von der Gesellschaft mindgefuckte Opfer gibt, die nichts weiter können als immer wieder Gewalt von Typen zu erleben? In denen das einzige kritisierende Framework für Gewalt in Beziehungen das Machtgefälle zwischen Mann und Frau ist? Ich könnte jedes Mal im Strahl kotzen, wenn solche eindimensionalen Texte durch’s queer_feministische Internet gereicht werden, als sei das Rad neu erfunden worden und bei jeder Verlinkunge auf Broschüren für Betroffene von Gewalt in lesbischen Beziehungen die abfällige Bemerkung fällt, dass darin Bisexualität und Trans* keine Erwähnung finden.
Oder soll mein antizipiertes Publikum eines sein, die nach Perspektiven von Menschen suchen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben? Soll ich darin dann konkrete Dinge schildern? Ist es aber dann nicht sinnvoll, wenn möglichst viele (egal ob Hete oder nicht), lesen können, wie genau diese Gewalt aussah? Wann ist Konfrontation sinnvoll? Und mit wem? Will ich überhaupt eine Auseinandersetzung, die meinen Kopf verlässt?
Eine andere Frage: Was macht die gesellschaftliche Tabuisierung von Beziehungsgewalt in nicht-hetero-Beziehungen mit mir und meinem Gewalt-Erleben? Insgesamt habe ich etwa 7 Jahre als Betroffene in gewaltvollen Beziehungen verbracht (wenn wir die Herkunftsfamilie mal weit außen vor lassen – obwohl zwischen beidem auch immer Zusammenhänge besteht). Bis vor drei Jahren konnte ich das nicht mal benennen. Ich hatte mangels Zugang zu Wissensarchiven keine Idee davon, wie diese Gewalt aussehen könnte, wenn sie nicht zwischen Heten oder von Typen ausgehend stattfindet. Ich hatte immer nur meine Gefühls- und Körperarchive, die namenlos in mir wohnten und mich ständig daran erinnerten, ähnlichen Situationen in Zukunft aus dem Weg zu gehen. Ich habe bis heute kaum Austausch über meine Erfahrungen mit Menschen, die ähnliche gemacht haben. Ich merke häufig, wie unsensibel Leute sein können, die keine Idee davon haben, was häusliche Gewalt eigentlich für den Alltag von Betroffenen bedeutet und wie das spätere Wohn- und Lebensverhältnisse prägen kann oder den eigenen Bezug zu (ständiger) Nähe mit anderen Personen.
Ich investiere neben der Aufarbeitung meiner Erlebnisse auch jede Menge Energie in die Analyse und Veränderung meines Verhaltens in Beziehungen und Freund_innenschaften. Es hat mich viel Überwindung und Anstrengung gekostet und tut es noch heute, meinen Status als Betroffene weiter zu denken als nur in der konkreten Gewaltsituation. Welche Rolle_n nehme ich ein in Beziehungen, die ich als liebevoll, sensibel und fürsorglich empfinde? Wo/Wann verspüre ich „ein Anrecht auf etwas haben“? Welche Erwartungen stelle ich an meine meine Freund_innen, Partner_innen? Was haben meine Beziehungsbedürfnisse und Handlungen mit meinen Gewalterfahrungen zu tun? Woher kommen bei mir Eifersucht, Enttäuschung, Scham, Verletzung, Schuld in Beziehungen? Wann entschuldige ich all das mit (Gedanken zu) meinen Gewalterfahrungen? Irgendwann musste ich einsehen, dass der Status „Betroffene“ auch bei mir nicht widerspruchsfrei ist.
Obwohl ich der These widerspreche, dass Gewaltdynamiken „immer zwei Seiten“ haben oder „von beiden“ ausgelöst_verstärkt werden, so ist doch meine innere Haltung zu der Thematik mittlerweile, dass Gewalterfahrungen das eigene Verhalten derart prägen können, dass mensch selbst nicht davor gefeit sein kann, selbst Gewalt auszuüben oder sich grenzüberschreitend zu verhalten. Eigentlich nichts neues, aber es braucht nach wie vor Energie, sich das a) einzugestehen, b) mit dem Wissen anders zu handeln als vielleicht gewohnt und c) nicht in solchen Situationen anzuwenden, die ich als mir gegenüber gewaltvoll einordne. Den dritten Punkt finde ich besonders schwierig. Nicht Gewalt zu entschuldigen oder zu verharmlosen, weil ich ja auch nicht immer cool mit allem umgehe, weil mein_e Gegenüber doch nur so reagiert, weil (bitte hier nachvollziehbaren Grund einsetzen, der irgendwas mit früher(tm) zu tun hat), weil ich nicht alles (Beziehungen, mich, die Gesellschaft) hinreichend kritisch reflektiert habe, weil ich Angst habe, weil mich Erinnerungen an Vergangenes nicht loslassen oder weil ich einfach nicht will und keine Begründung dafür brauche. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Wenn ich Handlungen als gewaltvoll wahrnehme, dann ist das so. Dann denk ich mir das auch nicht aus, weil ich mich aus der Verantwortung ziehen will. Dann gibt es dafür Gründe, die im Verhalten der anderen Person liegen und nicht in meinem Gedanken-Gefühls-Projektionen-Wirr-Warr, das ich nicht geordnet kriege (auch eine Folge von Beziehungsgewalt). Überhaupt diese Perspektive anzunehmen (Ich erlebe Gewalt) ist schon re_traumatisierend, verletzend, schlimm und ängstigend und traurig und wütend machend und verzweifelnd genug.
Beziehungen jeglicher Art sind für mich eine Form der Wahlfamilie oder ein dem öffentlichen Raum halbwegs entzogener Kontext. Zumindest wollen wir das so gestalten (in meiner Wahrnehmung). In Beziehungen habe ich immer Schutz vor Homophobie/Heterosexismus gesucht, Peers, Menschen, die sind wie ich. Menschen, die mir nicht das Gefühl geben, ich sei „anders“. Meine Mitmenschen und ich sind daran interessiert Beziehungen zu haben, die uns stärken, die Sinn erzeugen. Für mich persönlich ist das Gefühl einer starken Zuwendung zu anderen, was auch Verliebtsein, Körperlichkeit, Sexualität und Ängste, Personen nicht mehr in dem Maße im eigenen Leben zu wissen beinhalten kann, sehr vorantreibend. Manchmal sogar der Hauptgrund, mich gegen ein selbstbestimmtes Lebensende zu entscheiden.
Ich merke an mir, wie meine eigenen ersten Beziehungserfahrungen und Diskriminierungen was mit meinem Beziehungsverhalten machen. Ich merke, wie ich Begehrlichkeiten und Ansprüche entwickele, auch im Umgang miteinander. Ich merke, wie ich manchmal in emotionale Abhängigkeiten zu anderen gerate und enttäuscht darüber bin oder gar verletzt, wenn es meinen Gegenüber nicht so geht. Ich merke wie ich bestimmte Formen des Commitments und der Loyalität einfordere, so wie ich es für andere zu geben bereit bin. Ich merke, wie destruktiv Beziehungen sein können, wie sie manchmal eine Form der Selbstverletzung ohne Gegenstände sind. Wie meine eigenen Befindlichkeiten in diesen Momenten andere verletzen, unter Druck setzen können, wenn ich erwarte, dass andere jedes meiner Bedürfnisse mitdenken, vorausahnen, darauf eingehen, erfüllen sollen, wenn ich offen meine Bedürfnisse kommuniziere. Weil verdammt nochmal ich ein Recht auf meine Bedürfnisse und Wünsche habe, weil sie ja irgendwie mit mir und meinem Leben zu tun haben. Ich will endlich auch mal Ansprüche stellen dürfen.
Wirklich? Warum?
Wie kann ich meine Bedürfnisse unabhängiger von anderen leben, ohne mich einsam und alleingelassen damit zu fühlen? Wie kann ich Gefühle aussprechen, ohne damit andere unter Druck zu setzen? Wie kann ich Wünsche benennen, ohne Angst vor ihnen zu haben, weil sie eventuell Beziehungen verändern könnten?
Ich merke, dass es leichter wird sich mit eigenen Erfahrungen in Beziehungen zu bewegen, wenn ich mich öfter aus dem Fokus nehme bzw. andere mehr in den Fokus rücke. Auch gegen meinen inneren Trotz, dass ich darauf doch ein Recht habe, weil soundso und Sozialisation und bla. Auch gegen meine Ängste (und Gewissheiten), dass ich von anderen nicht immer oder nie bekomme, was ich möchte. Auch gegen meine Persönlichkeit, die mir nach solchen Entscheidungen jedes Mal mit hämischem Grinsen die wärmende Decke des Selbstmitleids hinhält, die ich dann dankbar um mich werfe.
Doch lieber so, als anderen Entscheidungen zuzumuten oder von ihnen einzufordern, die für sie eine klare Grenzüberschreitung bedeuten. Denn ich weiß, wie sich so etwas anfühlen kann.
Verlaufen Beziehungen eigentlich nicht immer asymmetrisch? Kommt es nicht immer wieder zu Situationen, in denen Wünsche nicht erfüllt werden können, in denen Gefühle unterschiedlich sind, Wahrnehmungen nicht zueinander passen? Verlaufen Beziehungen immer asymmetrisch, weil Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen und unterschiedliche Nicht_Umgänge damit wählen, weil Menschen unterschiedlich er_leben?
Wie gehen wir damit um, ohne uns und andere zu verletzen? An welchen Punkten begegnen wir uns? An welchen Punkten ist es nicht möglich?
Dieser Text hat keinen roten Faden und mir schwirren noch so viel mehr Gedanken durch den Kopf, doch scheiß auf klare Linien.