Vielleicht steht nicht alles in unserer Macht.
Aber wir sollten wenigstens so tun als ob.
Für uns selbst und für andere.
Ich denke, das ist das, was wir tun können.
—
Die oberen Zeilen sind in einem anderen Zusammenhang vor anderthalb Jahren entstanden. Ich hatte die Gelegenheit sie vor kurzem wieder zu lesen.
Ich habe mich als Feministin oft sehr ohnmächtig gefühlt, weil der Widerstand gegen und Interventionen in Machtverhältnisse nicht nur sehr kräftezehrend sind, sondern häufig auch die eigene Biografie berühren. Welche Diskriminierungs_Erfahrungen habe ich in meinem Leben gemacht und welche Umgangs-, Bewältigungs- und Über_Lebensstrategien habe ich mir diesbezüglich erarbeitet? Wie gehe ich (darüber hinaus) mit Konflikten, Komplexitäten und unauflösbaren Widersprüchen um? Was erhoffe ich mir vom selbst_verantwortlichen Umgang mit eigenen Privilegierungen? Welche Wege haben sich mir in dieser Zeit, da ich mich dagegen entschieden habe Machtverhältnisse nicht wahrzunehmen, mehr noch, etwas dagegen zu tun, verschlossen? Welche eröffnet? Welche bin ich gegangen? Welche Menschen sind aus meinem sozialen Umfeld verschwunden, welche sind dazu gekommen? Was haben diese unterschiedlichen Menschen mit mir und aus mir gemacht? Kann ich das überhaupt annäherungsweise überblicken und welche Schlüsse ziehe ich aus all dem?
Was eigene Diskriminierungs_Erfahrungen und Privilegierungen angeht: Es ist nach wie vor nicht leicht, einen Umgang damit zu finden, der mich nicht dazu verleitet, zu denken, dass ich sowieso nichts an den bestehenden Verhältnissen ändern kann. Ich bin traurig, verletzt, hilflos, kraftlos und ob der mir zur Verfügung stehenden Analyseinstrumente nicht selten verzweifelt über die Gesamtsituation(tm). Mein politischer Anspruch an mich selbst ist es, Umgänge und Strategien zu finden, die mich handlungsfähig, produktiv und kreativ sein lassen, Wut zulassen können und – ganz wichtig – nach Solidarität und Verbundenheit suchen.
Wenn ich mich ohnmächtig fühle, neige ich dazu, meiner Wut über diese Ohnmacht freien Lauf zu lassen. Das führt nicht selten dazu, dass ich weniger differenziert vorgehe und meine Worte gewaltvoll werden und damit Menschen verletzen können, die ähnliche oder andere Diskriminierungs_Erfahrungen machen. Mein Wunsch nach Solidarität und Verbundenheit kann so nicht erfüllt werden. Ich muss mir also Orte suchen, an denen ich meine Wut herauslassen kann und zu einem späteren Zeitpunkt über sie reflektieren, sie einordnen und in politisch verantwortungsvolle Handlungen übersetzen kann (wenn ich das möchte). Ohne dass eine feministische und aktivistische Öffentlichkeit, die ich selten persönlich kenne, sie ungefiltert mitbekommt und damit umgehen muss. Ob sie will oder nicht. Ich gebe dann Verantwortung ab an Menschen, deren Verantwortung es nicht ist, mir meinen Umgang mit meinen Erfahrungen zu erleichtern. Mich lediglich dabei unterstützen können.
Auch dieser Gedanke macht mich ab und zu ohnmächtig, weil ich mich mit meinen Erfahrungen und Gefühlen dazu allein fühle und mir denke: Warum muss ich noch einen möglichst sensiblen Umgang finden, meine Verletzung und Zurichtungen selbst transformieren, selbst heilen und bewältigen? Ich fühle mich unverstanden. Meiner Möglichkeiten beraubt und kann nicht einfach rausschreien, was mir weh tut und muss schon wieder einem fremdbestimmten Befehl Folge leisten. Die Umgänge von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu beschränken ist doch nichts weiter als selbst diskriminierend?!
Vor einer ganzen Weile habe ich gelernt, dass ich dabei den Blick nicht nur auf mich richten darf. Um mich herum strugglen viele Feminist_innen und Aktivist_innen, Freund_innen und Verbündete mit ähnlichen Problemen. Indem ich ihnen einen Umgang mit meinem (undifferenzierten und ungefilterten) Umgängen zumute (ohne sie zu fragen, ob das gerade okay ist), nehme ich ihnen den Raum für ihre eigenen Umgänge und Strategien, mehr noch kann sie sogar mit meinen Umgängen triggern, an eigene Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen erinnern oder selbst wieder Diskriminierungen reproduzieren. Dieses Wissen hat mir sehr geholfen, weil ich bemerkt habe, dass ich nicht allein bin. Nicht allein als Person, die sich ab und zu ohnmächtig und allein fühlt. Auch, weil es den Blick auf eigene Privilegierungen versperrt.
Ich bin zwar nicht verantwortlich für die Verletzungen, die ich erfahre, aber ich bin verantwortlich dafür, nicht selbst zu verletzen und will doch gewiss nicht auf Dauer allein kämpfen! Mehr noch: Die Verantwortung für den Umgang mit meinen Erfahrungen an andere abzugeben, hat mich oft noch ohnmächtiger fühlen lassen. Weil es viele Menschen gibt, die ihr Mithandeln an Machtverhältnissen nicht reflektieren und verändern wollen und viele Menschen gibt, die diese Verantwortung gar nicht tragen _können_. Ich stecke dann zwischen Ohnmacht und Ohnmacht und fühle mich erst recht handlungsunfähig.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der mir in der letzten Zeit bewusst geworden ist, dass Empowerment und Unterstützung notwendige und sehr erfüllende Komponenten im täglichen Über_Leben in Machtverhältnissen sind. Und wie soll ich andere empowern und unterstützen können, wenn ich nicht zuerst mit und bei mir selbst damit anfange? Nicht das Spiel von Machtverhältnissen und ihren Akteur_innen mitspiele, mich handlungsunfähig zu machen?
Das war_ist kein leichter Weg, ein holpriger mit vielen Fallen, Löchern und Steinen, die um_ge_gangen und weggeräumt werden müssen, aber es ist ein Bewegen. Ein Bewegen in Widersprüchen, die mich bewegungsunfähig machen können. Es fühlt sich gut an, mir selbst Strategien und Umgänge zu erarbeiten, mich mit anderen darüber und ihre Umgänge und Strategien auszutauschen, Gemeinsamkeiten zu finden und Unterschiede als kreativ, herausfordernd und produktiv zu erleben. Auch wenn diese Unterschiede für mich selbst bedeuten, anzuerkennen, dass ich von vielen Dingen profitiere und dass dieses Profitieren auf dem Rücken derer stattfindet, mit denen ich zusammen kämpfen möchte. Und da weder heute noch irgendwann irgendwer kommen wird und alle Machtverhältnisse (samt meiner Privilegierungen und Diskriminierungen) einfach so wegzaubern wird, muss ich eben selbst etwas tun, wenn mir meine politischen Überzeugungen wirklich etwas bedeuten und die Menschen um mich herum.
Klar habe ich nicht die Macht, alles (und auf einmal) zu verändern, aber ich kann so tun als ob. Für mich. Und anderen das Gefühl geben, dass ich Verantwortung übernehme und da bin, anwesend, stärkend, unterstützend, nach Verbindungen und Verbundenheit suchend. Eine andere Definition von Macht.
Kommentare
Eine Antwort zu „Macht und Selbst-Ermächtigung.“
[…] Nadine schreibt auf Medienelite über Macht, Selbst-Ermächtigung und die Suche nach Verbundenheit. […]