Mittlerweile scheint die Altmaier-Geschichte für einige Diskussionen zu sorgen. Mich nerven daran ziemlich viele Punkte, die ich mal kurz darlegen will.
Jan Feddersen outet Peter Altmaier nach dem erneuten Scheitern der Homo-Ehe im Bundestag als schwul. Die taz zieht seinen Artikel zurück, entschuldigt sich öffentlich und Stephan Niggemeier sowie queer.de finden das nicht okay und plädieren für einen offenen Umgang mit Homosexualität. Out of the closet heißt die Devise und wenn die ollen Schrankhomos das schon nicht alleine hinbekommen, dann bitte mit Nachhilfe per Zwangsouting. Ich finde das ekelhaft. Nicht, weil ich einen konservativen Politiker schützen möchte, sondern weil Feddersen, Niggemeier & Co. sowie die Argumentationen derjenigen, die sich gegen das Zwangsouting stellen und Sexualität und Begehren einzelner Personen lieber nicht öffentlich thematisiert sehen wollen, einer heterosexistischen und homophoben Gesellschaft auf den Leim gehen.
Feddersen, Niggemeier und Redakteure von queer.de stören sich implizit daran, dass ein vermeintlich schwuler Politiker im Bundestag gegen die Homo-Ehe votet. Konservative Köpfe rollen bekanntlich leichter und schneller im medialen Diskurs, weshalb auch Kristina Schröder jede_r doof finden kann, ohne im Kern ihre konservative Geschlechter- und Familienpolitik abzulehnen. Das Altmaier-Zwangsouting sehe ich als Rache-Akt von Menschen, die es sich offensichtlich leisten können als Homos in der Öffentlichkeit aufzutreten und ihre Wischi-Waschi-Identitätspolitik anderen aufzudrängen. Gegner_innen des Zwangsoutings plädieren dafür, nicht darüber zu spekulieren, welche Begehrensform Menschen haben. Ich halte beide Perspektiven für nicht zielführend.
Ungeachtet bleibt auch die Tatsache, dass sehr viele liberale und linke Politiker_innen gegen die Homo-Ehe gevotet haben, was ich – auch wenn ich die Unterstützung einer patriarchal angelegten und christlich geprägte Lebensgemeinschaft ablehne – sehr dürftig finde.[ref]Weil es schlicht nicht nur um rechtliche Anerkennung, sondern auch um materielle Gleichstellung geht, wenn über die Ehe gesprochen wird und wer sie in Anspruch nehmen darf. Ehe-Privilegien sollten abgeschafft werden, statt diese für einige wenige zu öffnen.[/ref] Lese ich dahingehend Kritik? Nein. Macht sich wer Gedanken um die Begehrensformen dieser Politiker_innen? Nein.
Niggemeier, Feddersen und ähnlich Denkende gehen davon aus, dass Homosexualität per se identitätsstiftend sei, Auswirkungen auf das eigene politische Handeln haben muss und individualisieren Strukturen, um Personen, die nicht so handeln, wie es in ihre Identitätspolitik passt, eins drüber zu ziehen. Und weil sie ihrem Ziel der Homo-Ehe noch kein Stück näher gekommen sind, müssen nun Einzelpersonen in den sauren Apfel beißen und öffentlich über ihre Identität befinden lassen. Buäh. Das ist der gleiche Schotter, den diese hetero-Gesellschaft jeden Tag re_produziert: Du bist dies und das? Dann verhalte dich auch so. Benimm dich. Ordne dich ein, ordne dich unter. Assimiliere dich in die immer unsichtbare Norm. Wer redet eigentlich öffentlich so über Heten, weil sie Heten sind? Wer verlangt von denen irgendwas?
Die Outing-Gegner_innen möchten kein Zwangsouting, weil sowas ja Privatsache sei und niemanden etwas angehe oder mit der Politik, die sie machen, nichts zu tun habe. Nun ja, das ist doch eher eine Wunschvorstellung. Alles, was nicht ins Heteroschema passt – da wird doch ständig spekuliert, ob die Person nun „noch ganz normal“ sei. Zu fordern, dass Begehren und Sexualität ins Private zurückmüssen, bricht ja gerade nicht damit, dass viele Menschen sich niemals trauen, offen hinsichtlich ihrer Begehrensform sein zu können. Während die ganze Zeit das hier passiert: Heterosexuell Lebende inszenieren sich in der Öffentlichkeit, sie müssen sich nie Gedanken darüber machen, Gewalt und Abwertungen aufgrund ihrer Heterosexualität zu erfahren, sie müssen sich auch nicht damit konfrontieren, dass irgendwer auf die Idee kommen könnte, ihre politischen Entscheidungen und Denkmuster mit ihrer Heterosexualität in Verbindung zu bringen. Sie sind es, die auch zur Normalisierung von Heterosexualität beitragen, keine essentialisierenden Zuschreibungen hinsichtlich dessen erleben und nicht mit ihren eigenen Selbstverständlichkeiten konfrontiert werden, geschweige denn, dass nur die wenigsten begreifen, dass all das mit Vorteilen und Privilegien verknüpft ist, von denen sie täglich Gebrauch machen, ohne auch nur ansatzweise verantwortungsvoll damit umzugehen.
Ständig wird mir unter die Nase gerieben, dass diese Welt einfach nicht meine ist und dass ich es schwer haben werde, unter den aktuellen Bedingungen ein Leben zu führen, das meinen Bedürfnissen und Wünschen gerecht wird. Darüber sollte diskutiert werden, über die herrschende Heternormativität, die homophobe Gewalt. Und darüber, dass nur, weil ich mich soundso bezeichne, irgendwelche Erwartungen an mich gestellt werden, wie ich zu denken und zu handeln habe und dass ich mich doch gefälligst nach den Bedürfnissen von Menschen zu richten habe, für die das hier alles wunderbar her- und eingerichtet wurde.
Ein Outing, das nicht von einer_m selbst kommt, ist ein unzulässiger Eingriff in die Integrität, denn es macht in einer heterosexistischen Gesellschaft verletzbar. Es ist ein Pranger: Guck sie_ihn dir an, den_die Scheiß-Homo, der_die wieder nicht das tut, was mir in meiner Normalität Platz hat. Während Heten niemals in die Verlegenheit kommen, nicht offen und selbstverständlich über Schatzi reden zu können, etwaige Familienpläne oder das Kleinfamilienidyll im Sommerurlaub in Andalusien.
Was ich sagen will: Mehr Ursachenforschung, Kritik an der Wurzel, Unsichtbares sichtbar machen, Selbstverständlichkeiten aufheben, einer verkürzten Identitätspolitik, die nicht an heteronormativen Strukturen rüttelt, eine Absage erteilen. Politisches als politisch begreifen und weg von dieser Öffentlichkeit-Privatsache-Dichotomie. Solange Heten sich genüsslich durch’s Leben bewegen, während andere ihr Dasein im Schrank fristen und_oder ständig Angst vor Gewalt haben müssen, an Strukturen scheitern, die für Heten nicht mal offensichtlich sind, sollten wir darüber diskutieren, warum das so ist und wie eine Befreiung möglich werden kann. Und nicht Diskussionen über herbeikonstruierte Identitäten einzelner Personen führen und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben (sollten) oder nicht.
Niemand braucht diesen Gleichstellungs-Foo, wenn nicht auch nur annähernd das System in Frage gestellt wird, was diese Gleichstellung erforderlich macht.
Kommentare
2 Antworten zu „Die Sache mit dem Zwangsouting“
[…] Genauso wie Postgender nicht gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung hilft, schafft man es nicht durch Ignoranz, Heterosexismus zu überwinden. Die Ausschlüsse, die die Norm mit sich bringt, schafft man nicht durch Subjektivierung auf die Ausgeschlossenen aus der Welt. (Dass die ganze Gleichstellerei nichts nützt, wenn man dabei nicht die Norm in Frage stellt, hatte @lantzschi erst kürzlich erklärt: Die Sache mit dem Zwangsouting). […]
[…] Genauso wie Postgender nicht gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung hilft, schafft man es nicht durch Ignoranz, Heterosexismus zu überwinden. Die Ausschlüsse, die die Norm mit sich bringt, schafft man nicht durch Subjektivierung auf die Ausgeschlossenen aus der Welt. (Dass die ganze Gleichstellerei nichts nützt, wenn man dabei nicht die Norm in Frage stellt, hatte @lantzschi erst kürzlich erklärt: Die Sache mit dem Zwangsouting). […]