Meine erste Nachschau schrieb ich zu Reproduktionsarbeit. Dieser Teil wird sich mit den Strukturen einer politisch-emanzipatorischen Veranstaltung beschäftigen. Da die Strukturen einer solchen Veranstaltung mit der (Un)Möglichkeit von Reproduktionsarbeit zusammenhängen, sollten die beiden Texte im Zusammenhang verstanden werden.
Das Gendercamp ist eine 3-4 tägige politische Veranstaltung mit Barcamp-Charakter. Barcamp heißt, dass es keine vorher festgelegten Sessions/Workshops/Vorträge/Panels gibt, sondern dass alle Teilnehmenden aufgerufen sind, sich spontan einzubringen. Erst vor Ort schlagen Teilnehmer_innen Ideen für Sessions vor, das können Ideen zu eigenen „Spezialgebieten“ sein oder eine_r möchte über ein bestimmtes Thema sprechen und wirft diesen Wunsch in die Runde. Das Interesse der Teilnehmer_innen an den Vorschlägen entscheidet über Raumgröße (und ob die Session überhaupt stattfindet – auf dem Gendercamp fanden sich jedenfalls zu jeder Idee Interessierte).
Im Selbstverständnis des Gendercamps findet sich Feminismus wieder, angesprochen werden alle, die sich viel im Netz aufhalten und denen feministische Perspektiven wichtig sind. Dementsprechend fanden sich auf dem Gendercamp viele Menschen zusammen, die sich (zunächst nur) aus dem Internet kennen, wiederum andere kannten sich vorher gar nicht.
Der dezidierte Netzfokus des Gendercamps unterscheidet sich von denen anderer ähnlicher Veranstaltungen. Das macht es einerseits interessant für all jene, die sich nicht in linken, autonomen Strukturen bewegen, andererseits finden so auch weniger Menschen aus eben jenen Strukturen ihren Weg zum Gendercamp. Es gibt wenige Überschneidungen, was ich schade finde, denn überall dort, wo es auch um emanzipatorische Politiken geht, sollten linksradikale Perspektiven ihren Platz haben. Das sehe ich aber nicht als ausschließliches Problem des Gendercamps, sondern würde ich eher in allen Netzräumen verorten. Politische Betätigung im Internet erfordert ein hohes Maß an Zeit, Geld (bspw für Hardware und Internet), Wissen und Medienkompetenz, das nicht allen selbstverständlich zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass das Internet kein sicherer Ort ist für all jene, die von staatlichen Repressionen und Überwachungsmaßnahmen betroffen sind. Hinzu kommt, dass linksradikale, herrschaftskritische Perspektiven auch unter hauptsächlich im Netz Aktiven keine grundsätzliche Perspektive ist, sondern ein Feld, dass unter permanentem Beschuss steht. Einen weiteren Grund sehe ich darin, dass Menschen, die vordergründig den Meatspace als Raum für Politik begreifen, eine gewisse Skepsis an den Tag legen, wenn es um (queer-)feministischen Aktivismus im Netz geht. Das kann mit einem eng gefassten Politikbegriff zu tun haben, der einfach nicht alle Räume als politisch umkämpfte betrachtet, aber auch mit Vorstellungen um politische Strategien und politisches Handeln. Oft habe ich bei Vorträgen Einwürfe gehört, dass ein Streik oder Straßenkampf eben mehr bringe, als Clicktivism, Shitstorms, Blogs und Offene Briefe. Das hat bisweilen alles seine berechtigten Gründe und Ursachen, was auszuführen und wiederum in Teilen zu kritisieren wäre, würde jetzt aber den Rahmen sprengen. Ich würde die eben angeführten Dinge nicht als getrennt voneinander betrachten wollen, sondern als sich gegenseitig aufeinander beziehend.
Das Gendercamp ist nicht barrierefrei. Bezogen auf (sichtbare) Behinderungen ist das Gendercamp ein ausschließender Ort. Das hängt zwar in erster Linie mit den räumlichen Gegebenheiten vor Ort zusammen, meint hier aber auch die Awareness bezüglich (sichtbarer) Behinderungen unter den Organisierenden und Teilnehmer_innen. Es scheint nahezu selbstverständlich, dass die Sessions für ein sehendes und hörendes Publikum gedacht sind, überhaupt dominieren Erfahrungen von Menschen das Camp, die die Welt ohne oder nur mit wenig Barrieren wahrnehmen. Barrierefreiheit war auf dem Camp lediglich in informellen Pausengesprächen Thema unter wenigen.
Das Gendercamp ist ein weißer Raum. Eigentlich ist das keine Überraschung angesichts einer rassistisch strukturierten und weiß dominierten Gesellschaft, heißt aber nicht automatisch, dass für eine kritische Auseinandersetzung damit kein Platz wäre. Obwohl einige Teilnehmer_innen mit rassismuskritischem Wissen ausgestattet oder selbst von Rassismus betroffen sind, bot das Camp keine Möglichkeit solche Perspektiven zu diskutieren. Nicht, dass diese aktiv verhindert worden wären (zumindest ist mir nichts bekannt), von einer sensiblen Kultur diesbezüglich kann aber keine Rede sein. Dass in einer Session zu dominantem Redeverhalten nach dem Vorlesen des Terminus „weiße Strategie“ erstmal die Redner_innenliste gesprengt wurde, um die einzige Woman of Color im Raum zu fragen, was denn damit gemeint sei und ob sie Beispiele bringen könnte, zeigt deutlich das Problem auf. Warum wird angenommen, dass sie das geschrieben hat? Warum ist sie in der Position sich zu rechtfertigen? Warum gelten die vereinbarten Kommunikationsregeln nicht mehr, nur weil Menschen der Meinung sind, ein Anrecht auf eine Antwort genau in diesem Moment zu haben? Ich bin mir sicher, dass keine Fragen gestellt worden wären, hätte da „männliche Strategie“ am Flipchart gestanden. Zynischerweise zeigte diese Situation sehr genau auf, was „weiße Strategie“ im Zusammenhang mit dominantem Redeverhalten bedeutet.
Sobald in einem Raum marginalisierte Positionen und Perspektiven explizit markiert und verortet werden, kann eine_r fast die Uhr danach stellen, dass die dadurch ausgelöste Irritation von Selbstverständlichkeiten zu Unruhe, Abwehr und Dominanzverhalten führt. Dominante Positionen und Perspektiven (prominentes Beispiel: weiß, hetero, cis, männlich) bleiben allerdings fast immer unmarkiert und werden im Machtverhältnisgeflecht von Rassismus, Sexismus, Trans- und Homophobie (und anderen) als Norm gesetzt, von der aus gesprochen und an der sich orientiert wird. Diese Norm ist zugleich ideologische Unterfütterung für die Reproduktion von zum Beispiel Rassismen. Wird diese Norm als Norm benannt und kritisiert, werden die Erfahrungswelten weißer Menschen (ich bleibe jetzt bei weiß) als situiert (und damit nicht als universell gültig) hervorgehoben, greifen in den meisten Fällen weiße Strukturen, die diese Situiertheit sofort zurückweisen und die weiße Norm gewaltvoll zurück ins Zentrum rücken, während nicht-weiße Positionen wieder an die Peripherie gedrängt werden. Das kann implizit und subtil geschehen, wie am oben benannten Beispiel. Ergebnis dieses Abwehrprozesses: Festigung von rassistischen Strukturen.
Zu diesen Abwehrprozessen wollte ich eigentlich eine Session für weiße anbieten, die sich damit auseinandersetzt und in der wir weißen im Gespräch an konstruktiven Strategien hätten arbeiten können. Für diese Session habe ich mir im Vorfeld länger Gedanken gemacht und mich entsprechend vorbereitet. Außerdem wollte ich für alle, die sich schon länger und intensiver mit Critical Whiteness beschäftigen (müssen), einen Workshop anbieten, in dem weiße und Menschen mit Rassismuserfahrungen zusammen kommen und Ideen für ein Netzprojekt, dass sich mit Critical Whiteness auseinandersetzt, sammeln. Ich habe beide Sessions nicht angeboten. In mehreren Gesprächen mit einer Woman of Color wurde mir signalisiert, dass das Gendercamp keine Möglichkeiten hätte bieten können, um die Thematisierung von Weißsein und Rassismus und den damit zusammenhängenden Dynamiken entsprechend abzufedern. Ergo hätten PoC und Migratisierte auf dem Camp mit den Folgen dieser Sessions dealen müssen. Allein die Diskussionen, die durch die Session zu dominantem Redeverhalten ausgelöst wurden, zeigten, dass herrschaftskritische Perspektiven, Selbstverantwortung und -reflexion keine Selbstverständlichkeit waren. Dies hätte das Gendercamp aber gewährleisten müssen, damit möglichst viele lernen können und sich (trotzdem) wohlfühlen.
Ähnlich ließe sich diese Kritik an den Strukturen auch auf andere Kategorien erweitern, denn auch ein queerer Raum war das Gendercamp nicht. Zwar gab es in diesem Jahr erstmals ein Awarenessteam, das sich im Vorfeld des Camps sehr viele Gedanken gemacht hatte, wie die vier Tage für möglichst viele möglichst kackscheißefrei ablaufen kann und auch Ansprechpartner_innen vor Ort waren sowie ein extra Raum mit Einstiegsliteratur vorbereitet wurde, aber es wurde nicht erreicht, dass diese Vorschläge eine Struktur bildeten. Ich hatte den Eindruck, dass das Awarenessteam von anderen eher als Institution betrachtet wurde und Ängste bezüglich einer Gedankenpolizei hervorrief. Hier hätte ich mir klarere Worte des Orgateams und einzelner Teilnehmer_innen gewünscht, die diese Ängste abbauen, Awareness zur Gemeinschaftsaufgabe machen.
Anders als im vergangenen Jahr war das Gendercamp von viel Lernbereitschaft und Sensibilität geprägt, allerdings bot das Camp wie im vergangenen Jahr keinen Raum für Kritik und die Thematisierung unterschiedlicher von Machtverhältnissen geprägter Erfahrungswelten. Basisdemokratie und ein nicht weiter ausgeführtes feministisches Selbstverständnis (also die Herstellung formal vermeintlich gleicher Ausgangsbedingungen) reichen nicht aus, um einen Raum zu schaffen, wo diese Perspektiven Platz finden, gehört und beachtet werden. Ich habe lediglich drei Aspekte herausgegriffen, die das Gendercamp in meinen Augen zu einem ausschließenden Raum machen, mir fallen noch mehr ein und sicherlich haben andere andere Ausschlusserfahrungen auf dem Camp gemacht bzw haben aus Gründen gerade deshalb nicht teilgenommen.
Es hilft nicht, dass sich alle wohlgesonnen und bereit für Kritik sind (oder meinen zu sein), auch die Einstellung „wir können über alles reden“ hilft da nicht unbedingt weiter. (Sonst wären wir mit dieser Gesellschaft ja längst an einem anderen Punkt). Eine Veranstaltung mit emanzipatorischem Anspruch muss marginalisierte Positionen explizit benennen und ihnen aktiv Raum geben, wenn sie diese dort vertreten sehen will, auch im Vorfeld, muss sich fragen, ob das Orga- und Awarenessteam in dieser Zusammensetzung das überhaupt leisten kann, muss sensible Strukturen zur Verfügung zu stellen, wenn sie wirklich offen sein will für „alle“. Dazu müsste aber meines Erachtens nach auch irgendwann geklärt werden, wo das Gendercamp hin will, was es sein will, wen es adressieren will (wer also dieses „alle“ eigentlich ist) und warum eine politische Veranstaltung so gestaltet ist, wie sie gestaltet ist und was an dieser Veranstaltung feministisch ist bzw. welches feministische Verständnis dem Gendercamp zu Grunde liegt.
Damit muss gar nicht mal die Forderung einhergehen, dass das Gendercamp zum Diversityhimmel avanciert, weil das schlicht nicht möglich ist, einen herrschafts- und ausschlussfreien Raum zu kreieren. Aber wenn Ausschlüsse schon im Vorfeld produziert werden und mit alle doch nicht alle gemeint sind oder sein sollen, kann das auch transparent gemacht werden. Alles andere wäre nachlässig bis unverantwortlich.
Kommentare
Eine Antwort zu „Gendercamp 2012 – Review zu Strukturen“
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