Was mich an Nice Guy, Friendzone und Pick-Up extrem nervt (neben der patriarchalen Anspruchshaltung, eine Frau* habe irgendwie die Bedürfnisse eines Typen zu befriedigen – wie auch immer sich diese Bedürfnisse artikulieren), ist der heterosexistische und androzentrische Gehalt an der Sache.
Offenbar kommt es vielen Typen nicht in den Sinn, dass es Menschen gibt, die einfach wenig mit Typen anfangen können, sie nicht begehren, sexuell attraktiv finden oder sonst wie mit ihnen sozial interagieren wollen. Das mag verschiedene Gründe haben (Gewalterfahrungen, Formulierung eigener autonomer Sexualität – Bisexualität, Asexualität, Homosexualität, Unlust, lieber Masturbation statt Körperlichkeit mit einem Typen) und diese werden einfach negiert. Stattdessen liegt der Fokus auf dem armen Mann, der keine Frau abbekommt.
Die meisten Menschen kennen das Gefühl, einen anderen Menschen zu begehren (muss ja nicht immer sexuell sein) und dieses Begehren nicht erwidert zu bekommen. Ich habe in meiner Jugendzeit ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich habe mich schlecht und ungeliebt gefühlt, ich wurde depressiv (mag sicherlich auch mit anderen Faktoren zusammengehangen haben), zog mich zurück, ich entwickelte Hass und Wut (manchmal sogar Aggressionen) gegen die Person, die mich nicht wollte und stattdessen lieber mit diesem Vollpfosten durch die Gegend zog, der sie zudem schlecht behandelte. Ich wurde sogar von diesen Vollpfosten verspottet. Ich kenne also die Gedanken- und Gefühlswelt eines „Nice Guys“, obwohl ich eine Frau bin. Für viele der Macker, Sexisten und Machos unter den sogenannten Nice Guys mag das vielleicht nicht vorstellbar sein. Dass es außer ihrer egozentrischen und selbstverliebten Perspektive noch andere Erfahrungswelten gibt.
Ich denke, dass wir durch diese Erfahrungen lernen (können), wie sich partnerschaftliche, romantische Beziehungen, Liebe und Sex, Freund_innenschaften artikulieren können und dass zu einer erfüllten Beziehung zu einem oder mehreren Menschen (egal wie diese aussiehen) noch mehr gehört als Befriedigung eigener Bedürfnisse. Diese Erfahrungen sind kostbar, denn sie machen uns zu sozialen Wesen (selbst, wenn wir uns selbst als „beziehungsunfähig“, „asozial“ oder „inkompetent“ labeln).
Ich habe gelernt, dass ich keinen Anspruch auf andere Menschen habe. Niemand gehört (zu) mir. Ich kann nur nett sein, mich selbst lieben. Solange ich das für andere tue, für potenzielle Interaktionen, solange funktioniert das nicht. Ich muss nicht mal mich selbst besonders mögen oder mit meiner Person zufrieden sein, um für andere als liebens- und begehrenswert zu gelten. Ich muss einfach ich sein. Und wer nicht damit klarkommt, ja c’est la vie. Es ist traurig, dass sowas überhaupt nicht zur Debatte steht, wenn Typen ihre Anspruchshaltung so völlig ungeniert formulieren wie beim Nice-Guy-Phänomen. Als ob eine Freundschaft zu einer Frau irgendetwas minderwertiges darstellt als Liebe oder Beziehung oder Sex. Als ob Freundschaft nicht auch Zärtlichkeiten beinhalten könnte, nicht auch eine Form der Liebe oder der Beziehung ist.
Aber das finde ich nur heraus, kann ich nur mit (der) anderen Person/en erfahren, wenn ich mich auf sie einlasse und ihre Bedürfnisse und Grenzen zu jeder Zeit zu schätzen weiß. Komischerweise – anders als viele meinen – macht das nicht Flirten oder Anzüglichkeiten, kleine liebevoll gemeinte Chauvisprüche überflüssig. Ich kann dennoch daneben liegen oder Grenzen übertreten, aber dann kann ich das akzeptieren, mich entschuldigen und fertig. Während für Typen immer die Rechtfertigung eines „triebgesteuerten“ Wesens gilt, besitzen Frauen* dieses Rechtfertigungsmuster nicht. Sie besitzen im Kontext von Nice Guy oder Friendzoning überhaupt keine eigenständige Sexualität, kein autonomes Begehrensreservoir, keine Entscheidungsfreiheit. Entweder sie nehmen den Typen, oder sie sind gefühlslose Bitches, die sich von irgendwelchen dahergelaufenen Machos durchficken lassen, statt den Nice Guy mit offenen Armen (oder Beinen?) zu empfangen. Kurz gesagt: Ihnen wird der Subjektstatus abgesprochen.
Viele meiner Freundinnen klagten schon ihr Leid, dass sie mal wieder einen netten Mann getroffen haben, mit dem sie sich hätten tatsächlich eine tolle Freundschaft vorstellen können, nur „leider“ wollte der was anderes als Freundschaft. „Kann man als Frau nicht mal mit nem Mann befreundet sein? Ist das so schwer?“. Ich antwortete immer mit: „Ja.“ Das paradoxe an der Sache ist ja, dass auch Männer Menschen sind und daher accountable für ihr Handeln. Diese Gesellschaft macht, dass wir nicht mehr unterscheiden können, ob wir jetzt als Typ diese Frau sexuell begehren müssen, weil wir das so gelernt haben oder ob wir sie einfach als Menschen toll und attraktiv finden. Freier Wille? I don’t know.
Viel trauriger daran ist, dass auch Frauen in dieser Gesellschaft daher eingeschränkt werden: Nämlich immer darauf zu achten haben, dass sie niemandes Gefühle verletzen und stattdessen lieber seine Avancen nett umschiffen oder lächeln (Don’t forget to smile!!), sich unwohl fühlen müssen, weil er ja sonst verletzt sein könnte. Vielleicht zu einem Mann wirklich schwerer Beziehungen aufbauen können, weil „er sonst denken könnte, dass“. Schon mal drüber nachgedacht, lieber Nice Guy? Dass es hier nicht nur um deine, sondern auch um die Gefühle und Einschränkungen deiner Gegenüber geht?
Ich lebe mittlerweile in meiner vierten längeren Beziehung, bin seit sieben Jahren out und hatte trotzdem in all den Jahren Probleme damit, meine Gefühle für andere Personen offen zu artikulieren. Entweder, weil ich zu schüchtern war oder nicht wollte, das meine Gegenüber denkt, ich würde sie irgendwie sexuell begehren. Ich wollte keine Freundinnenschaft zerbrochen wissen. Körperliche Nähe, Zuneigung und Zärtlichkeiten zeigen und gezeigt bekommen von anderen Frauen bereitet mir noch immer Unbehagen. Wahrscheinlich, weil ich in einer Gesellschaft sozialisiert bin, wo sowas gleich mit Anspruchshaltung und Pflichterfüllung verknüpft wird.
Erst langsam lerne ich, dass eine romantische (Zweier-)Beziehung nicht an Sex geknüpft sein muss, dass Freund_innenschaften mehr sein können als nur „sich zu mögen“ oder „gut zu verstehen“ und dass Zuneigung in erster Linie eine Form von Wertschätzung der Person ist und nicht ihres Aussehens/ihrer Ausstrahlung. Die Grenzen sind fließend und jeder Mensch bestimmt sie anders. Natürlich ist das komplizierter als das sexistische wie funktionalistische Pick-Up. Natürlich ist das komplizierter als „Friendzoning“. Natürlich gibt es in dem Sinne keine „Nice Guy vs. Arschloch“-Bipolarität. Deal with it!
Kommentare
2 Antworten zu „Nice Guy. Oder wie das Patriarchat unsere Beziehungs- und Begehrensformen einschränkt“
[…] Dann las ich heute das auf Soup.io. Wer mehr zu Friendzone lesen will, bitte hier entlang. […]
[…] “Nice Guy”, so hat Elliot Rodger sich selbst gesehen. In dem letzten Video beschreibt er sich selbst, als den […]