Rückzug ins Private

Disclaimer: Der folgende Post ist unglaublich selbstreferenziell mit ein paar Querverweisen auf Beobachtungen außerhalb der Selbstreferenzialität. Wer nicht auf sowas steht, möge hier bitte aufhören zu lesen.

Oder auch: Warum mir die antifeministische Gesellschaft das öffentliche Twittern abgewöhnt.

Ich habe genug von Post-Privacy. Ich habe nun zwei Twitter-Accounts. Meinen ursprünglichen Account @lantzschi habe ich nun „offizieller“ gemacht, alle alten Tweets (immerhin so um die 18.000 in drei Jahren) gelöscht. Zum Glück muss mensch sowas heutzutage nicht mehr händisch erledigen. Über diesen neuen, alten Account @nlantzsch werden nun feministische Infos geshared und Diskussionen geführt, Fragen gestellt und ggf. beantwortet, die lohnen, auf Twitter öffentlich geshared, geführt, gestellt und beantwortet zu werden.

Für den ganzen Privatkram, Rants, Wutfeminismus, NSFW, Kuschelfeminismus, Hasenfußtweets und kontextlose Kontextbenötigentweets gibt es den protected account @lantzschi.

Ich hätte es natürlich auch einfach haben können und meine Tweets auf meinem alten Account protecten können. Warum also dieser Aufwand und der Verlust von 18.000 Tweets? Auf das Letzteres lässt sich schneller antworten: Die Twittersuche ist der pure Hass. Kein Mensch findet dort, wonach er_sie sucht. Google hilft meistens auch nicht. Ich habe auch noch nie in meinen alten Tweets rumgekramt. Ich hänge nicht an meinen Tweets. Ich hänge lediglich an meinen Followern und allen, die sich für Feminismus interessieren.

Und deshalb sehe ich es überhaupt nicht ein, einen Account zu bespielen, der nicht für alle einsehbar ist. Weil mir das wichtig ist, habe ich alte Tweets gelöscht und ne Privatparty nebenan eröffnet.

Es ist ganz schön, Dinge ins Netz zu schreiben und viel gelesen zu werden. Es ist schön Lob, Kritik und Feedback auf die eigene Arbeit zu bekommen. Der zunehmende Bekanntheitsgrad von diversen Feminist_innen im Netz hat allerdings nicht nur schöne Seiten. Es wird unsafe. Ich habe jetzt mindestens 4 Shitstorms, die sich an meiner Person abarbeiteten, miterlebt. Ich bekomme beschissene EMails von Trollen, Mackern und Sexisten, die der Meinung sind, dass mich das interessiert, was sie schreiben. Ich bekomme beschissene Tweets von Trollen, Mackern und Sexisten, die der Meinung sind, dass mich das interessiert, was sie schreiben. Ich werde öffentlich auf „Meinungen über meine Person“ hingewiesen, auch von Leuten, die ich schätze und gerne mag und die mir wahrscheinlich nur Hinweise geben wollen. Ich möchte das nicht mehr. Es laugt aus, es verletzt, es lenkt mich von schönen Dingen des Lebens ab.

Ich konnte kaum mehr twittern, ohne lähmende, triggernde oder kackscheiße Diskussionen an der Backe zu haben von Trollen, Mackern, Sexisten (anderen *Ismus bitte hier dazudenken) und Kackscheiße-Kommentierer_innen. Ohne, dass sich Menschen in Diskussionen einschalteten, zu denen sie nicht gefragt wurden, nur um Derailing zu betreiben. Manchmal diskutiert mensch ja Sachen aus auf Twitter. Das geht mit 140 Zeichen mal mehr, mal weniger gut. Sowas passiert dann mehr oder weniger öffentlich, womit ich auch die meiste Zeit gut leben konnte, denn Kommentare unter Blogs sind ja auch z.T. öffentlich. Ich meine hier auch nicht Diskussionen unter Gleichgesinnten, wenn da mehrere Leute zum gleichen Thema Gedanken und Kritik äußern, halte ich das meistens für sehr sinnvoll. Bin immer inspiriert und lerne dazu. Ich rede von Dreck und Angriffen, von: „Ich hake mich jetzt nur ein, um dir meine Uninformiertheit auf’s Auge zu drücken. Ich habe meine Meinung eh schon fertig, finde deine scheiße und das sollst du hiermit wissen. Ich tarne das manchmal mit Erklärbär_inwantedfragen oder Rechtfertigungsforderungen“.

Den „Mein_e zukünftige_r Chef_in googlet mich, OMG!“-Grund kann ich für mich ausschließen, ich habe mich vor Jahren von dieser idealistischen Vorstellung verabschiedet, mensch könne sein Leben im Netz irgendwie privat führen. Alles ist googlebar und was es nicht ist, wird von ominösen Einrichtungen gespeichert und wenn nötig, weitergegeben. Ich finde diesen Fakt scheiße, er sorgt u.a. dafür, dass das Netz nach wie vor eine relativ homogene Suppe ist und Menschen von Repressionen betroffen. Ich kann es mir leisten, relativ öffentlich im Netz aufzutreten, ich werde und muss nie in solchen Branchen tätig sein, wo es heikel werden könnte, wenn Chef_innen und Kolleg_innen (oder andere komische Leute) meine Gedanken lesen oder mal ein Foto finden. Und interessant für den Verfassungsschutz bin ich momentan auch noch nicht.

Wovor ich mich allerdings halbwegs schützen kann, ist die Übergriffigkeit und Grenzüberschreitung von Privatpersonen. Deshalb mein Zweitaccount, wo sich Gleichgesinnte und Freund_innen einfinden. Mein Eindruck ist: der Ton wird rauer im Netz. Nicht, dass er das nicht schon immer gewesen wäre, doch mit der zunehmenden Einflussnahme von Feminist_innen, die sich auch im Netz rumtreiben, steigt die Gegenwehr. Wenn mensch die vielen Feminist_innen, die halbwegs präsent im Netz rumschwirren, als irgendwie geartete Bewegung, Gemeinde (trotz der vielen inhaltlichen Differenzen) begreift, dann beobachte ich, dass von außen versucht wird, diese zu vereinnahmen. Gemäß dem Motto: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, müssen die „harmloseren“ als Erklärbär_innen herhalten (ob sie wollen oder nicht), die radikaleren werden offen angefeindet. Dann kommt das Teile-und-Herrsche-Prinzip hinzu und schwupps richtet sich das dann auch gegen die eigene Peergroup. Das hat immerhin den Vorteil, dass mensch dann weiß, wie es um die Machbarkeit von einigen Allianzen und feministische Solidarität bestellt ist.

Die self defined Maskulisten machen mir keine Angst. Das sind arme Würstchen, deren liebstes Hobby es ist, einen Google Alert auf „Feminismus“ zu legen und alles zu dokumentieren und zu kommentieren, was irgendwie damit zusammenhängt. Außerdem keine sonderlich einflussreiche politische Gruppierung, weil sie sehr nah am rechten Rand fischt. Viel gefährlicher (und nerviger) sind all jene, die noch nicht gecheckt haben, dass es sowas wie soziale Ungleichheit gibt und beißreflexartig auf alles raufspringen, was mit Gesellschaftskritik zu tun hat. Oder jene, deren Antifeminismus auch dann noch aus allen Poren trieft, wenn sie sich schon als kritisch begreifen.

Da ich meine Twittertätigkeit nicht als Feminism101 oder für alles und jede_n nachvollziehbar handhaben will und keine Lust mehr habe auf Mansplaining oder das Wissen, dass ich von Leuten gestalked werde, die Feminismus im Netz als Horde/Diskurspolizei/Bedrohung/Interessant, lass uns da mal drüber reden-Grundsatzdebatte begreifen, gibt es ab jetzt Privataudienz für ausgewähltes Publikum. Ich kann nicht verhindern, dass im Netz Kackscheiße durch die Gegend fliegt oder Shitstorms aufziehen von Zeit und Zeit. Ich kann mir aber ein lauschiges Plätzchen einrichten und diese Menschen von Informationen fernhalten, mit denen sie offensichtlich sowieso nichts anfangen können.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Rückzug ins Private“

  1. […] ist auffällig und ich schrieb das ja schon mal, dass feministische Gedanken zumindest im Netz eine höhere Reichweite besitzen (können) als noch […]