In diesen ganzen Debatten um Emanzipation und Herrschaftskritik kommt immer wieder die Frage auf: wie wird mensch das? Wie geht das? Anhand einer kleinen biografischen Erzählung ein Vorschlag. Ich mach die Kommentare wieder auf, weil ich einen Austausch mit euch ermöglichen will, was eure Anknüpfungspunkte für Feminismus, Antirassismus, Antisexismus, Kapitalismuskritik usw. waren. Was euch politisiert hat, wie ihr euch weiter entwickelt habt, usw. Please feel free to share…
Als ich vor etwa zwei Jahren schon etwas länger in feministischen Auseinandersetzungen um Intersektionalität eingelesen war, wurde mir klar: Rassismus ist genauso wichtig sich anzuschauen, das hängt alles irgendwie zusammen mit Klassismus, Sexismus, Bodism, Ableism und dem ganzen Quark, der uns immer wieder das Leben schwer macht. Rassismus ist scheiße und muss bekämpft werden, ich wühlte mich durch Texte und erarbeitete mir genau diesen Stand. Heute weiß ich, das ist der zweite Schritt vor dem ersten.
In dieser Phase meiner Aneignung herrschaftskritischen Wissens postete eine Freundin von mir, nennen wir sie im Folgenden P., ein Interview mit Noah Sow auf Facebook. Beim Lesen dachte ich so: „Meine Fresse, arroganter Mist, der arme Interviewer“ – Typisches Abwehrverhalten gegen die Weigerung immer allen alles erklären zu müssen. Gegen diese konsumistische Erwartungshaltung. Unbedarft und naiv (und ignorant) rotzte ich P. gleich als erste Kommentatorin genau diesen Satz unter den verlinkten Beitrag. Es dauerte keine zwei Minuten und der nächste Kommentator reagierte mit: „White Supremacy!!“ P. versuchte zu schlichten, doch es half nix, im Minutentakt prasselten die Kommentare ein, was ich mir denn anmaße und überhaupt und sowieso, andere versuchten zu erklären, was jetzt gerade vor sich ging, ich stellte keine Fragen, sondern wertete und mutmaßte fröhlich vor mich hin, geschockt ob der sehr direkten Reaktionen auf meinen „harmlosen“ Kommentar. Was die anderen versuchten mir deutlich zu machen (oder mit Rants mein herrschaftliches Denken zu sanktionieren), las ich zwar, verstand ich auch, aber…
Am nächsten Tag unterhielt ich mich mit P. über das, was passiert war und wollte wieder intervenieren, das Wort behalten, mich rechtfertigen „Ich hab doch nur…“. Sie beendete das Gespräch mit: „Es geht darum, dass ihr weißen einfach mal zuhört“. Dann sprach sie, über ihre Arbeit, über ihre Erfahrungen und ich hörte zu. Dieses Mal wirklich. Meine Sichtweisen spielten keine Rolle. Das war eine ziemlich einschneidende Erfahrung für mich, denn sonst war das mit dem Zuhören immer gekoppelt an Menschen, denen ich zuzuhören hatte, weil sie sich Definitionsmacht über meine Erfahrungen als lesbische Frau erlaubten.
Oft wird angenommen, der Unterschied zwischen Unterdrücker_in und Unterdrückter_m verlaufe entlang einer Wissensachse. Part A weiß es einfach noch nicht besser und ihm_ihr müsse das nötige Wissen eingeflößt werden und dann klappt das schon mit dem Antirassismus. So einfach ist das jedoch nicht.
Herrschaftskritik ist in erster Linie keine Sache von Wissensvorsprung, sondern von Bewusstsein. Und dieses kommt mit Interesse, Interesse am Anderen, am Unbekannten, am Nichtselbstverständlichen, an anderen Wertvorstellungen und Welterklärungen. Das Bewusstsein besteht darin, dieses Interesse gekoppelt zu wissen an sich selbst. Was macht das alles mit mir? Wie hängt das mit mir zusammen? Warum interessiere ich mich für das, aber nicht für jenes? Was passiert mit meinem Selbstverständlichen, wenn ich anfange, dem Interesse nachzugehen?
Ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was es heißt, unterdrückt, marginalisiert und ausgeschlossen zu sein, ist der Schlüssel zu herrschaftskritischem Denken. Ich muss dafür nicht selbst unterdrückt sein oder kann in anderer Form unterdrückt sein (bspw. durch Sexismus). Für dieses Bewusstsein muss ich nicht studieren. Ich muss keine Gesellschaftstheorien lesen. Ich muss zuhören können, ich muss mich selbst zurücknehmen und das Andere neben mir akzeptieren und wertschätzen können. Dem Interesse nachzugehen, heißt auf andere Marginalisierte zuzugehen, doch sie nicht zu überfallen mit meinen Auffassungen.
Was noch viel wichtiger ist: Ich muss lernen, loszulassen. Von Altbekanntem, von meinen Stützpfeilern, mich auf Unsicherheiten, die diese Prozesse mit sich bringen, einzulassen. Ansonsten bleibt da nur Abwehr, Verweigerung, Schuldgefühl, Narzissmus, Borniertheit. Und das selbstverständliche Annehmen von: Erklär’s mir, aber, ob du Recht hast, bestimme ich. Ich muss einsehen, dass ich für all das selbst verantwortlich bin, niemand sonst. Keine_r hat das Recht, von anderen zu verlangen, der_die Lehrer_in zu spielen. Weil, wie eingangs gesagt, es nicht nur darum geht, Wissenslücken zu füllen.
Fehler passieren, gerade am Anfang und immer wieder mittendrin. Sie hören nie auf. Ich muss damit umgehen können und nur ich. Niemand sonst.
P. war immer kritisch mit mir, verzog das Gesicht, wenn ich Mist erzählte, sagte mir ins Gesicht, wenn aus einem Dialog mein Monolog wurde. Was maßte ich mir schon an, ihr zu erzählen, was Rassismus sei? Das weiß sie doch wohl am besten. Ich wollte mich doch nur austauschen… Oder nicht?
Ich begriff irgendwann, dass sie nicht meine Lehrerin ist, sondern die Hand an meinem Kopf mit der Nasenspitze in der Suppe. Den Teller musste ich allein auslöffeln. Ich las mich durch Blogs, klickte auf Links und bestellte irgendwann ein paar Bücher zum Thema. Darunter auch das von Noah Sow. Schon auf den ersten Seiten entlarvte sie mich als Rassistin. Ich lachte hysterisch, später auch Tränen, manchmal war ich ganz entsetzt, ich verschlang das Buch in Stunden.
So ein Bewusstsein entwickelt sich langsam und ist auch dann noch am Entwickeln, wenn mensch sich bereits Wissen angeeignet hat. Ich verfolgte Diskussionen unter Antira-Blogs, scannte Argumentationsführungen. Das Gute ist, das ist alles für lau. Das Netz ist voll von diesen Bewusstseins- und Wissenskatalysatoren, dass es schon fast zur Obszession wird, sich mit Texten vollzustopfen. Nur selten quillt es zu den Ohren raus.
Diese Unsicherheit hört nie auf, ich hab gelernt, mich damit wohl zu fühlen. Erst ziemlich spät traute ich mich, mit Rassismuskritik zu argumentieren, mensch will ja auf Augenhöhe diskutieren und das Argument nach vielen Seiten abgeklopft wissen. Bis heute passiert es mir, dass ich Menschen auf der Straße vor meinem geistigen Auge fremdmarkiere, mit Stereotypen belege, mich unwohl fühle, wenn die Mehrzahl der Menschen um mich herum nicht weiß sind. Entweder aus Angst vor konstruierter Gefahr oder aus Angst, etwas falsch zu machen. Das ist mein Problem. Diesem Gefühl versuche ich nicht nachzugeben, sondern gleich ’nen Schalter umzulegen, das sichtbar zu machen und wenn möglich, erstmal im Innern zu dekonstruieren. Ohne Schuldgefühle, denn die sind da überhaupt nicht förderlich. Meistens klappt das.
Herrschaftskritik bedeutet ungewohntes Terrain zu betreten, auf waberndem Boden zu laufen, keinen Halt zu finden. Herrschaftskritik bedeutet, sich von sicher geglaubten Wahrheiten zu emanzipieren, ganz selbstständig, ohne Beifall dafür zu erwarten. Herrschaftskritik bedeutet herrschaftskritisch zu sein. Auch mit sich selbst. Jederzeit.
Dass ich P. hatte, die den Impuls setzte, war gut für mich. Für Herrschaftskritik braucht es aber keine P., irgendwann wird sich dein bornierter Arsch schon in eine Diskussion oder in einen Raum setzen, der er nicht gewachsen ist, in dem er keinen Stuhl findet und dann liegt es an dir, daraus was zu machen. Oder eben nicht. Aus Zweitem wird auch kein Nachteil erwachsen. Einfach, weil das Unbewusstsein ja überall und jederzeit sein kann.
Schreibe einen Kommentar