Bei vielen Menschen, die ich so im Netz lese, die ich mithöre, von denen ich Mimik und Gestik wahrnehme, frage ich mich manchmal, wovor sie eigentlich Angst haben? Und warum sie sich offenbar gern selbst kompromittieren, ohne dass ihnen das im Nachhinein peinlich oder unangenehm wäre. Ohne, dass sich in den Hirnwindungen etwas weiter dreht. Ein kleines Blitzen in den Augen, irgendeine Form von Stutzen, Innehalten, ein Anflug von Mitgefühl, eine Geste des Respekts für die Welt, in der sie leben.
Die Postmoderne ist ein lustiges Zeitalter. Alles scheint überwunden und die entscheidenden Fragen, die wir uns stellen, sind beispielsweise die, in welchen Club wir am Wochenende gehen, warum ich diese affengeilen Sneaker nicht auf Ebay finde und welches halbwegs intellektuelle Printprodukt ich mir auf dem Weg zur Arbeit oder Uni unter den Arm klemme, damit ich halbwegs intellektuell daherkomme. Wir spielen uns. Ein Theater der Dekadenz. Geschlechterrollen werden liebevoll karikiertausformuliert, das als fremd verortete wird verhipstert und ist in einigen Fällen sogar dem Prestige zuträglich, Individualismus ist die Leitkultur derer, die es sich leisten können, die Kids des sogenannten Bildungsbürgertum verkommen zum weißen Adel, für den Selfmade nicht nur ein Weg in die Zukunft darstellt, sondern auch prima als Attitüde fungiert.
Ein bisschen soziokultureller Pessimismus ist schon angebracht, wenn mich auf Twitter rassistische Tweets anspringen, die weder eine bestimmte Botschaft, eine politische Forderung, ein Stammtischeinwurf transportieren, denn völlig abhanden gekommenes politisches wie gesellschaftliches Bewusstsein, Stumpfsinn und das Hofieren der eigenen vermeintlichen intellektuellen Attitüde, mensch sei ja so post, dass er/sie/es sich ohne Rücksicht auf die eigene Reputation leisten könne, die vielen Bildschirme der Internetuser mit Scheiße zu beschmieren.
Ich könnte fortfahren mit einer Abhandlung, dass das Internet für mehr Kommunikation wegen Sender, Produzent, Empfänger gleich Produzent, blablablabla, interessiert keine Sau und trifft auch nicht den Kern des Problems. Das Problem ist nicht die „Einfach zu Haben“-Kommunikation dieses ach so tollen Internets, sondern diese perverse Denke, irgendjemand findet diese Scheiße irgendwie ein bisschen lustig/cool/progressiv und wenn nicht, dann bin ich es wenigstens noch, der wichsen oder masturbieren oder sich vor Freude Bleistifte in den Anus (ggf. auch die Nasenhöhlen) stecken kann, weil da etwas steht, dass von mir stammt. Ich habe etwas geschaffen. Sei es auch nur ein Haufen Scheiße. Es ist meins. Niemand kann es mir streitig machen. Nennt sich dann wohl Netzneutralität.
Ein anderes Beispiel für diese Kackfreude an der geglaubten Befreiung von … äääh … Strukturen oder sowas sind die Heuchlerkinder, an deren Schuhsohlen die Hegemonie klebt, die sich mit Hegemonie ihre drei Haare von der Brust zupfen, den Intimbereich rasieren, die Haare hochstecken und in Clubs wohlfeil Brüste kreisen lassen. Die American-Apparel-Fanchicks (und Fancocks), die sich ängstlich in ihre Kinderstube verkriechen, weil ihnen der Antisexismus ihren selbstgebastelten Umschnalldildo wegnehmen will. Wenn Medienkompetenz heute darin besteht, dass ich Wikipedia-Definitionen googlen kann, anderslautende Meinungen mit Füßen trete, Menschen beleidige, meine Titten in ein Blog presse oder vom Katie-Perry-Verschnitt neben mir ablutschen lasse (und dann in ein Blog presse), wenn ich mich als Schwanzträger berechtigt sehe, wild durch die Gegend zu objektivieren, weil das irgendwie cool ist und Frauen das ja so wollen, wenn geifernde Titten die Daseinsberechtigung von Sexismus mit dem Kampf gegen das dumme Emanzen/Feminist_innen/Spießer_innen-Pack begründen… ja, dann doch lieber Bushido als dieses spärlich verpackte „Ich bin kein Sexist, aber“-Geschwafel und dem Hochjubeln von Fotzen vor den Augen mit Sticker im Höschen.
Ich will auch nicht mehr davon lesen, dass küssende Frauen nur dazu da sind, Männer geil zu machen und weil Frauen ja so sind mit diesem Mittelpunkt (Ich dachte immer, alles drehe sich um den G-Punkt) Die anmaßende Scheiße kannst du in die Bravo schreiben, Mädel, da ist sie bestens aufgehoben, aber als neuen sexy Trend brauchst du das nicht verkaufen.
Ich bin froh, dass es noch Menschen gibt, die daraufhin für sich selbst entscheiden, ob sie das weiterhin lesen/konsumieren/mitbekommen wollen oder ob sie den Stinkefinger hinhalten und zum Abschied ein kurzes Statement da lassen. Allerdings hilft auch das knackigste Statement nicht, wenn das dumpfe Bumsgeschrei verstummt ist und wir uns in Sphären begeben, die sich mehr privat denn prätentiös artikulieren.
Letztlich denke ich mittlerweile, dass Argumente in menschlichen Fragen noch nie viel gebracht haben, egal ob reaktionär oder wahrheitsgemäß. Keine Diskussion, keine demokratische Zusammenkunft, kein Kuscheln. Die Mär der Mehrheit scheint für viele jedenfalls noch spannend genug, um sich in den faulen und stinkenden Kajüten der MS Arschloch wohlig zu fühlen.
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