Das Merkwürdige an der Causa Kachelmann und den Vergewaltigungsvorwürfen ist ja – wieder einmal – das Paradoxon.
Es gibt Berichterstattung über den Fall selbst mit jeder noch so kleinen unwichtigen Detailfrage.
Es gibt Berichterstattung über die Berichterstattung, ob die gerechtfertigt ist, ob man über Kachelmann, der noch nicht rechtskräftig verurteilt ist bzw. für schuldig befunden worden ist, berichten darf. Oder ob man es muss, weil er eine Person von öffentlichem Interesse ist. Oder ob man ihn am Ende, sollte sich seine Unschuldigkeit herausstellen, nicht doch durch entsprechende Berichterstattung bereits demontiert hat wie im Fall Andreas Türck.
Es gibt Berichterstattung über die Berichterstattung über die Berichterstattung. Diese Metaebene. Ob man nicht generell derartige Berichterstattung per Gesetz verbieten sollte, bevor ein rechtskräftiger Beschluss vorliegt.
Zum Teil werden alle diese Ebenen der Berichterstattung in ein und demselben Medium publiziert. Was nicht selten als Heuchelei abgetan wird, finde ich eine dringend notwendige Gradwanderung zur Glaubwürdigkeit eines Mediums. Es ist nämlich nicht DAS Medium, dass da Texte raushaut, sondern ein Medium, für das verschiedene Menschen Texte raushauen. Und jede/r dort angestellte Kraft darf und soll bitte verschiedene Meinungen und Ansichten vertreten dürfen.
Dieses Paradoxon lässt sich für jeden anderen Promi und irgendeine Straftat oder Selbstmord oder sonstige Gewaltakte erneut beispielhaft aufziehen. Warum also noch darüber reden?
Viel interessanter finde ich gerade bei Kachelmann, dass es eben immer nur Kachelmann ist, der im Vordergrund der Berichterstattung steht. Gewiss, das Opfer genießt vollumfänglichen Schutz vor dem Zugriff der Öffentlichkeit, doch warum lese ich ausschließlich Texte über den mutmaßlichen Täter? Fairerweise ist die Berichterstattung bisher nicht besonders tendenziös gegen Kachelmann, leider an einigen Stellen tendenziös für ihn.
Weil er ein Promi ist, wird über ihn berichtet. Aber nur weil er ein Promi ist, widmet ihm die gesamte Medienmaschinerie volle zum Teil wohlmeinende Aufmerksamkeit? Das verstehe ich nicht. Obwohl hier die Unschuldsvermutung ein unveräußerliches Menschenrecht darstellt, ist die Beweislage nahezu erdrückend, um immer wieder darauf herumzureiten. Kachelmann und seine Anwälte konnten die Vorwürfe gegen ihn nicht entkräften, stattdessen wird die Öffentlichkeit abgespeist mit dem typischen Abwehrargument: Rache! Natürlich. Rache einer biestigen Frau, die ihren Ex-Lover zerstört sehen will vor den Augen der Öffentlichkeit. Kachelmann war kein Lover, sondern langjähriger Lebensgefährte, eine Vertrauensperson.
Anhand von Statistiken zu sexualisierter Gewalt lässt sich ablesen, dass die meisten Vergewaltigungen im persönlichen Umfeld und in Beziehungen stattfinden. Eine überwältigende Mehrheit gar gegenüber der Mär vom Vergewaltiger, der Frauen nachts in gruseligen Gegenden auflauert. Vergewaltigungen sind außerdem keine Seltenheit. Sie passieren öfter, als Medien und stereotypes Denken es uns glaubhaft machen wollen. Nicht immer mit der Intention Macht über den Körper mit Gewalt auszuüben, sondern oft sogar „aus Versehen“, im Affekt, mit Alkohol oder Drogen im Spiel. Oft sind sich Menschen erst nach dem ungewollten Sex im klaren, dass das so gar nicht gewollt war. Alles nebensächlich. Es bleibt in nahezu jedem Fall eine Ausnutzung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Öffentlichkeit täte gut daran, diese Tatsache öfter zu benennen, statt Frauen vor sich selbst schützen zu wollen. Vergewaltigung ist ein solches Tabuthema, dass die Mehrheit der Vergewaltigungen, von denen ich gerade sprach, unsichtbar gemacht und toleriert werden.
Betrachtet man nun die Causa Kachelmann in diesem Kontext, wird schnell klar, welcher Fall wahrscheinlicher ist: Ob seine Ex-Freundin aus Rachegelüsten handelt oder ob Kachelmann sie doch vergewaltigt hat. Dieser Mann sitzt nebenbei erwähnt auch nicht grundlos in Untersuchungshaft, dazu ist ein richterlicher Beschluss nötig, dem wiederum Beweise, Indizien und damit ein erschwerter Verdachtsmoment vorausgeht. Im Fall Kachelmann kommt hinzu, dass er keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat.
Natürlich hat Kachelmann bis zum Richterspruch (oder Geständnis) in der medialen Öffentlichkeit als unschuldig zu gelten, Medien kommt hier eine zentrale Verantwortung bei der Wahrung des Menschenrechts der Unschuldsvermutung zu. Aber ihn deshalb gleich wie einen zu Unrecht Inhaftierten behandeln? Das geht dann wohl doch zu weit.
Stattdessen hätte man sich mit der nacken Nachricht und einer kommentierenden Einordnung in den entsprechenden Kontexten begnügen können, um dann wieder eine Zeit lang zu schweigen, bis das Urteil gefallen ist. Nein, der Fingerzeig auf andere Medien, die das anders machen und die eigene Auflage ist keine Ausrede.
Die aktuelle Berichterstattung des Kachelmann hinter Gittern führt jedenfalls im schlimmsten Falle zu einer Viktimisierung von Vergewaltigungstätern, einer Stigmatisierung der Opfer und ein ums andere Mal verpasster Diskurs um Vergewaltigung.
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