Noch ein paar Gedanken zur Integration

In der Debatte um meinen Kommentar, die auch gestern bei Twitter weiterging, sind mir ein paar Dinge aufgefallen: Strukturelle Diskriminierungsmuster und Ungleichheiten werden nicht erkannt, Postkoloniale Erklärungsmuster als polemisch abgetan und der Einbürgerungstest für „nicht schlimm“ befunden.

Für die ersten beiden Dinge gibt es vielfach Literatur und vielleicht würde es helfen, eigene Privilegien anzuerkennen und wie sehr sie in die eigene Argumentation einfließen. Ich habe keine Lust, hier theoretische Exkurse zu verschriftlichen, weil a) ich niemanden belehren will und b) schon öfter erkannt habe, dass sich Hartnäckigkeit oder Borniertheit, je nach dem, nicht durch qualitative oder quantitative Studien und Erklärungen beiseite schieben lassen.

Ich möchte deshalb auf den Einbürgerungstest bzw. eine angemessene Integrationsleistung und wie diese aussehen kann, eingehen.

Es ist unbestritten, dass Deutschland zu den Nationen gehört, die Pluralismus und kulturelle Vielfalt per definitionem akzeptieren. Mit einem Wohnort in Berlin gehöre ich aber zu den Verwöhnten, die sich auch mit einem Schlafanzug auf die Straße trauen können, ohne dass irgendwer dumm schaut. Zumindest,  was den Schlafanzug angeht. Gehe ich mit meiner Freundin durch die Straßen, werden wir meistens angeschaut, bei einem Kuss in der Öffentlichkeit immer und nicht selten kommt ein sexistischer und/oder homophober Spruch dazu. Nach Sex wurden wir auch schon gefragt. Ich bin dennoch froh, nicht mehr in der Provinz zu leben.

Nun könnte man meinen, dieses Verhalten käme von Menschen mit türkischem, kurdischen, arabischen Hintergrund oder Muslimen. Dem ist nicht so. So ein Verhalten kommt hauptsächlich von Deutschen ohne phenotypisch ersichtlichem Migrationshintergrund. Die Altersspanne reicht von minderjährig bis etwa Anfang 50. Die werberelevante Zielgruppe des Fernsehens. Nicht alle sind unterbelichtete Vollspacken und nicht alle sind Männer. Der normative Zwang zur heterosexuellen Lebensweise geht also durch alle Schichten und alle Altersstufen und: Durch alle kulturellen oder ethnischen Hintergründe.

Ich habe soweit ausgeholt, um deutlich zu machen, dass viele Dinge, die hauptsächlich Menschen mit Migrationshintergrund unterstellt und ihnen damit eine „Integrationsschwierigkeit“ angekreidet wird, einfach nicht zutreffen oder auf die gesamte deutsche Bevölkerung zutreffen. Sexuelle Gewalt, Häusliche Gewalt, Gewalt in Partnerschaften, Homophobie, Islamophobie, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Sexismus, usw. sind keine oder nur in seltenen Fällen Probleme einer bestimmten Gruppe und schon gar nicht ausschließliches Problem aller Nicht-Deutscher.

Trotzdem müssen sich Nicht-Deutsche immer wieder erklären und rechtfertigen, Skepsis aus dem Weg räumen und ihren Integrationswillen beweisen. Diese, wie ich sie nenne, Schikane, die nichts weiter darstellt als verdeckten oder an vielen Stellen offenen Rassismus, dient allein dem Zweck, Nicht-Deutschen einen Zwang aufzuerlegen, sich anzupassen, nicht aufzufallen, deutsch zu werden. Homogenitätszwang führt zur Assimilation. Das heißt, dass viele Nicht-Deutsche ihren kulturellen Background soweit aus ihrem Leben ausklammern, bis er kaum oder gar nicht mehr sichtbar ist, um diesen Schikanen, die übrigens auch von staatlicher Seite geführt werden, aus dem Weg zu gehen. Diese Menschen begreift die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft als „gute Ausländer“ oder „Integrationsgewinner“.

Die Menschen, die sich nicht diesem Homogenitätszwang unterwerfen können oder wollen, werden marginalisiert, ausgegrenzt. Hinzu kommen häufiger als bei den Assimilierten Stigmatisierungen, Diskriminierung usw. Diesen Menschen wird zudem unterstellt, sie würden sich eigene Milieus aufbauen und sich nicht integrieren wollen. Diese Milieus gibt es durchaus, in Berlin sind sie offensichtlich, die Milieus entstanden aber im Zuge einer Zuwanderungswelle in den 60er und 70er Jahren, wo Deutschland Gastarbeiter benötigte, um das Wirtschaftswunder aufrecht zu erhalten. Integrationsbemühungen gab es damals nicht, die Gastarbeiter wurden in Gruppen in bestimmte Stadtteile gesteckt und der Staat wartete darauf, dass sie wieder gehen, sobald ihre Arbeit getan ist. Den Rest der Geschichte kennt man.

Dass es durchaus auch Menschen gibt, die gelinde gesagt darauf scheißen, deutsch zu werden bzw. sich zu integrieren, will ich nicht bestreiten und ich halte diese Reaktion mittlerweile sogar für angemessen. Denn kein Deutscher kann mir erklären, was der Unterschied zwischen Integration und Assimilation ist geschweige denn, wie eine deutsche Leitkultur aussieht oder warum sich jeder dieser anpassen müsste.

Um volle Rechte in Deutschland zu erlangen, braucht man allerdings die Staatsbürgerschaft. Ich hole noch einmal kurz aus und nehme ein Beispiel, dass Pas und ich für diese Thematik vor kurzem besprochen hatten. Sie nannte es WG-Casting.

Ich wohne mit mehreren Leuten in einer WG und wir suchen einen neuen Mitbewohner oder Mitbewohnerin. In unserer WG herrschen bestimmte Regeln, die ein geordnetes und friedliches Zusammenleben ermöglichen und wir möchten, dass der Bewerber oder die Bewerberin diese Regeln akzeptiert. Das ist völlig in Ordnung. Wir teilen sie ihm oder ihr vorher mit. Doch wie können wir sichergehen, dass der oder die diese Regeln nicht nur akzeptiert sondern auch einhält? Ein Test? Schwachsinn. Ob er/sie den Test besteht, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, dass er/sie sich immer an die Regeln hält. Wir müssen ihm oder ihr also vertrauen. Er oder sie kennt die Regeln und wir müssen davon ausgehen, dass sie befolgt werden.

Nicht zu vergessen, dass mit jedem neuen Menschen, der in eine WG einzieht, sich das WG-Klima ändert, neue Ideen aufgesogen und bearbeitet werden, dass sich Menschen wechselseitig beeinflussen und verändern. Keine WG ist wie die andere.

So ist es auch mit einem Zuwanderungsland wie Deutschland. Wer sich einbürgern lassen will, muss die Regeln kennen und akzeptieren, die hier vorherrschen. Insofern halte ich Einbürgerungstests für völlig überflüssig. Sie können auswendig gelernt werden und sagen nichts darüber aus, ob der Neuling sich auch in Zukunft daran halten wird. Weil der Staat niemals eine Gesinnung überprüfen kann. Er muss den Menschen die Freiheit des eigenen Verstandes als letzte Instanz der sittlichen Orientierung lassen.

Ein Integrationskurs zum Kennenlernen der Regeln, zum Herantasten an Normen und Werte, zum Erlernen der Sprache ist ein sinnvolles Mittel, sollte aber keine verpflichtende Bevormundungsmaßnahme sein, wo Einbürgerungswillige infantilisiert werden. Wir sind alle erwachsene und vernunftgeleitete Menschen, die  in den häufigsten Willen wissen, was sie tun und was sie wollen. Die „Ausreißer“ sind keine Rechtfertigung für Stigmatisierung und Diskriminierung aller Integrationswilligen. Integration bedeutet nicht Assimilation.  Es ist  keine Leistung, hier geboren und sozialisiert zu sein. Wieso erwarten wir dann aber Leistung von anderen, die sich aus freien Stücken entscheiden, in ein anderes Land zu gehen oder gezwungen werden, ihr Heimatland zu verlassen? Allein, dass diese Menschen hier leben wollen, stellt eine Leistung dar, die mehr als ausreichend ist. Integration ist keine Pflichtleistung, die eine Seite erbringen muss, um die merkwürdige Machtstellung einer Mehrheitsgesellschaft zu erhalten.

Integration heißt für mich wechselseitiger kultureller Austausch. Das Kennenlernen von Gemeinsamkeiten und das Wertschätzen von Unterschieden.


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2 Antworten zu „Noch ein paar Gedanken zur Integration“

  1. L.W.K

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