IIch habe seit längerem schon diesen Text im Kopf. Diesen allumfassenden Rundumschlag gegen alles mich Ankotzende. Ich belasse es bei einem Manifest, das keines ist.
Seitdem ich durch mein Studium gewissermaßen gezwungen bin, mich mit Menschen- und menschlichen Fragen auseinander zu setzen, bin ich immer wieder auf Widersprüche gestoßen. Auf meine eigenen, auf die meiner Umwelt, auf die in der Theorie, auf die in der Praxis, auf die im System, ja vielleicht auch auf die in der Metaphysis. Langsam beginne ich, mich im aktiven Prozess diesen Widersprüchen anzunäheren, sie zu greifen, zu betrachten, ein wenig auf ihnen mit den Fingern herumzudrücken, versucht ein paar ihrer Felder zu drehen, zu quetschen, hineinzupressen in mein Schema von Welt und Gedanken. Wie bei einem Zauberwürfel. Den ich übrigens nie gelöst habe.
Ich habe gemerkt, dass Menschen- und menschliche Fragen niemals vollständig lösbar sind. Die Antworten liegen eher in der Beantwortung. Ich habe auch gemerkt, dass es niemals nötig oder möglich ist, mit Menschen zu diskutieren, die sich weder der Beantwortung noch der Fragestellung widmen wollen. Sie wollen nicht für die Fragestellung sensibilisiert werden oder Fakten herangetragen bekommen. Sie wollen ganz einfach dumm sein. Für ihre Dummheit fallen ihnen jede Menge Argumente ein.
Respektlosigkeit, Stigmatisierung, Deutungshoheit, Macht, Wortergreifung, Diskriminierung, Intoleranz, Arroganz, Objektivierung und Zuschreibung sind nur einige davon.
Oft finden sie für ihre Argumente tolle Umschreibungen. Meinungsfreiheit, Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit sind nur einige davon.
Ein großer Teil des westlichen Selbstverständnisses, der Kunst, der Philosophie, der Kultur, der Nationen, der Naturwissenschaft, der Dinge besteht aus Dichotomien: Natur – Kultur, Gefühl – Vernunft, Mann – Frau, Hetero – Homo, Gut – Böse, Hell – dunkel, Schwarz – Weiß. Ganz abgesehen davon, dass dieses bipolare Verständnis von Dingen keine weiteren Komponenten, Achsen, Grenzen oder Erweiterungen zulässt, wäre es nicht weiter tragisch, würde das westliche Selbstverständnis auch beinhalten, dass diese Dichotomien einander gleichwertig sind. Ähnlich einer Waage. Leider gehört es zum westlichen Selbstverständnis, diesen Dichotomien Wertigkeiten zuzuschreiben, meistens in Form einer Hierarchie. Zynisch, dass selbst dieser Hierarchie die Dichotomie Wert – Unwert innewohnt. Wer diese Hierarchien und Zuschreibungen irgendwann einmal eingeführt hat, wer sie fortlaufend kultiviert hat, ist dabei erst einmal völlig irrelevant. Sie sind Konsens seit unzähligen Jahrhunderten.
Dieser langwährende Konsens hat jedenfalls dazu geführt, dass wir weder die Wertigkeiten, noch die Dichotomien, noch die Marginalisierungs- und Assimilierungsprozesse in Frage stellen, die damit zwangsläufig einhergingen und bis heute einhergehen. Dieses selbstverständliche Selbstverständnis erscheint dabei als Paradox, haben doch all diese Vorgänge direkt Auswirkungen auf Menschen. Sie betreffen also letztendlich uns alle.
Dumme Menschen behaupten jedoch, dass es sie nicht betreffe, sondern die anderen. Wer die anderen sind, bestimmt der/die Dumme je nach Fall und Gusto selbst. Die anderen sind jedoch grundsätzlich diejenigen, auf die/der Dumme projiziert, wovon er/sie ausgeht, es stelle den gegensätzlichen Pol zu ihrem/seinem eigenen dar. Ich brauche nicht zu betonen, dass es sich hier erneut um eine Dichtomie handelt, dass der/die Dumme das Gegensätzliche abwertet und auch seinen/ihren eigenen Standpunkt selbstverständlich als Pol definiert, der absolut keiner Hinterfragung bedarf.
Dumme Menschen machen also den bereits erwähnten Konsens zu ihrem eigenen. Dieser Absolutismus bringt dumme Menschen in eine Allmachtsposition. Eine Allmacht, die für “die anderen” zur Ohnmacht wird, solange sich die Dummen im Umfeld “der anderen” in der Überzahl befinden.
Dumme Menschen sind also durch ihre Nichtakzeptanz des Menschlichen gekennzeichnet. Werden sie dadurch auch zu Un-Menschen? Eine Frage, auf die ich beispielsweise noch keine Antwort weiß, würde der Weg der Beantwortung zweifelsfrei in ein dichotomes Muster verfallen. Zumindest weiß ich, dass ich niemanden neben mir akzeptieren muss, der das Menschliche nicht bereit ist, gleichwertig zu behandeln. Dafür habe ich lange gebraucht. Nicht bei allen Dummen kann ich das umsetzen. Immerhin: in diesem Punkt kann ich nicht davon sprechen, in dichotome Muster zu verfallen. Vielleicht liegt darin sogar die Antwort.
Vielleicht liegt eine endgültige Antwort darin, dummen Menschen ihren Absolutismus zu entziehen und ihn wieder auf das Menschliche zu übertragen. Wie das geht? Ohne Antwort. Der Weg der Beantwortung geht einher mit Verantwortung. Verantwortung für das Menschliche.
Ich habe mir überlegt, in den kommenden Wochen, Monaten ein paar exemplarische Beispiele aus meinem Alltag zu zitieren. Vielleicht in Form eines fiktiven Gesprächs zwischen mir und dummen Menschen. Das Gespräch soll keine Moral artikulieren oder belehren. Das Gespräch soll auch nicht aufklären und erklären, aber beschreiben und zeigen. Um sich ein Bild machen zu können. Vielleicht erlangt die Menschlichkeit ihren Absolutheitsanspruch zurück, wenn wir dumme Menschen besser erkennen.
Und wenn wir sie endlich erkannt haben in ihrer Gesamtheit, diese Dummheit, werden wir auch erkennen, dass sie zwar nicht den gleichen Wert haben kann, weil sie Gleichwertigkeit nicht anerkennt, diese Dummheit. Dass sie gar ungelöst bleiben wird, werden wir erkennen. Aber mit diesem Erkenntnisprozess über die Dummheit werden wir den Blick wieder auf den Würfel richten können, der unlösbar erscheint. Auf seine vielen bunten Felder, die für sich ein großes Ganzes ergeben, ohne dass es einer Antwort bedarf. Das wäre die Lösung.
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Foto: huangjiahui (CC)
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