Nach diesem Text und der anschließenden Diskussion darunter, habe ich noch einmal Revue passieren lassen, was mir an Texten zu dem Thema in der letzten Zeit untergekommen ist. Wichtiger waren dabei die Kommentare.
Was auffällig ist, dass einige Männer, aber vor allem Männer und kaum Frauen auf diese Themen sehr ablehnend oder zurückweisend, relativierend reagieren. Prominentes Beispiel: Roman Polanski. Im Alter von 43 Jahren lud er ein 13-Jähriges Mädchen zwei Mal in sein Domizil ein, um es zu fotografieren. Die Sache endete damit, dass er sich oral, anal und vaginal an ihr verging, sie vorher mit Tabletten und Alkohol ruhig gestellt hatte und trotz mehrmaligem „Nein“ und der Bitte, das Mädchen nach Hause zu fahren, nicht von ihr abließ. 30 Jahre lang entzog sich Polanski der Verantwortung für diesen Fall und nach neuesten Erkenntnissen wird er damit weiter gut fahren. Ich habe das Polanski-Thema jetzt sehr sehr kurz zusammengefasst. Bitte hier weiterlesen.
Auch bitte dort bei Gelegenheit die Kommentare verfolgen, die meisten Kommentatoren, die darauf beharren, dass die Unschuldsvermutung gelte, solange er nicht rechtmäßig verurteilt sei, kommen von Männern. Die Kommentare, die darauf beharren, dass politisches Kalkül bei all dem mit im Spiel sei, kommen von Männern. Die Kommentare, die darauf beharren, dass es im höchsten Fall Missbrauch und keine Vergewaltigung war, kommen von Männern. Die Kommentare, die das Rechtswesen hoch und runter durch deklinieren, kommen von Männern. Die Kommentare, die dem Mädchen und seiner Mutter die Schuld geben, kommen von Männern. Gegenkommentare kommen von Männern und Frauen. [Ich kann das mit gutem Gewissen behaupten, da ich für dieses Medium arbeite und auch mit dem Community-Management einen regen Austausch pflege und mittlerweile einige Pappenheimer kenne, die dort kommentieren.]
Wenn unbestritten ist, dass es bei dem Prozess und weiteren Verfahren bisher zu einigen Unstimmigkeiten kam, das Mädchen mittlerweile eine Frau ist und von einem weiteren Verfahren absieht, Polanski vergeben hat und die Mutter des Opfers damals auf Biegen und Brechen wollte, dass ihre Tochter berühmt wird und sie deshalb zu Polanski schickte, diese Dinge aus dem Vernehmungsprotokoll sind ebenso unbestritten.
Was also bringt vor allem Männer dazu, diesen Fall und andere Fälle zu relativieren? Sich auf die Seite derer zu stellen, die eindeutig Täter waren oder zumindest der Frau nicht beipflichten?
Warum ist in erster Linie die Frau in der Pflicht sich zu rechtfertigen und zu beweisen, dass sie tatsächlich Opfer sexueller Gewalt wurde und damit noch einmal durchleben muss, was man ihr antat? Warum ist nicht der Mann in erster Linie in der Pflicht zu beweisen, dass er keine sexuelle Gewalt angewendet hat? Dass er die Frau zum Zeitpunkt der Tat nicht zum Objekt für seine Triebe gemacht? Dass er nicht ihre Situation, ihr Vertrauen und ihre Zugehörigkeit zum Geschlecht Frau ausgenutzt und sich an ihr bedient hat? Warum wird er bei seinem Tun von männlicher Seite unterstützt aber nicht von Frauen? Warum gelten Frauen öfter als Schlampen, wenn sie promisk leben oder gar Opfer sexueller Übergriffe waren? Warum fühlt sich das Opfer sexueller Gewalt oft selbst schuldig? Warum ziehen sich Männer auf Definitionen zurück, die eine hierarchische Unterscheidung von Vergewaltigung, Missbrauch, Sexuelle Nötigung, Sexuelle Belästigung, Unfälle, Zufälle anstrebt? Ist das nötig? Ist eine Argumentation über vorherrschende Rechtssysteme in Fällen sexueller Gewaltanwendung überhaupt eine Argumentation, weil sie doch im Endeffekt nur verwässert und verschleiert, was wirklich passiert ist? Warum ist ein Nein der Frau kein Argument, diese Dinge eben nicht an ihr durchzuführen? Warum muss frau sich erklären, wenn sie der festen Überzeugung ist, dass sie als Frau zu einer gefährdeten Gruppe gehört und ihr Leben lang fürchten muss, Opfer sexueller Gewalt zu werden?
Ich weiß nicht, ob wir uns darauf einigen können, dass bei sexueller Gewalt gegen Frauen der Mann seine Rolle als „starkes Geschlecht“ ausnutzt, um Sexismus in Körperhaftigkeit auszuleben. Egal, welche Form von sexueller Gewalt nun passiert ist. Egal, wie man es für sich selbst oder das Rechtssystem definiert/hierarchisiert.
All diese Rechtfertigung- und/oder Solidarisierungsversuche mit einer solch dezidierten Form von Sexismus schaffen ein Umfeld, in dem sich Frauen als potenzielles Opfer fühlen müssen. Zu beachten ist dabei, dass Frauen hier nicht den Opfermodi ausspielen, sondern Menschen sind, die Rechte haben und auf diese Rechte bestehen können, genauso wie Männer auch. Nämlich in diesem Fall über ihren Körper selbst verfügen zu können. Staat und Gesellschaft sind in der Pflicht die Menschenrechte eines Einzelnen zu garantierten, zu wahren und Menschen in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen.
Ich weiß, dass gern zum Argument genommen wird, dass Gesellschaften unterschiedlich sind. Nationen, Staaten, Länder, Regionen andere Sozialisationserfahrungen haben als andere. Das ist unbestritten. Unbestritten ist allerdings auch, dass der CEDAW-Ausschuss der UN (zuständig für Frauenrechte) nach jedem Staatenbericht leider feststellen muss, dass in nahezu jedem Land in eklatant hohem Maße (sexuelle) Gewalt, häusliche Gewalt, Sexismus gegen Frauen vorkommt. Auch Deutschland bildet keine Ausnahme. Weder Staat noch Gesellschaft schützt Frauen in ausreichendem Maße vor Gewalt und Sexismus. Das und die Erzählungen von Frauen sind die Fakten. Dass das nicht ernst genommen wird, lässt schlussfolgern, dass wir ein Umfeld ermöglichen, in dem Sexismus gedeihen kann und oftmals auch Formen von Gewalt annimmt.
Ich verstehe nicht, warum Männer das relativieren müssen.
Im Yes means Yes Blog, das die US-Studie wiedergibt (Stichwort „Vergewaltigungsgesellschaft“), war eine der ersten Kommentatoren ein Mann. Er versuchte, die Ergebnisse in einen Kontext zu stellen, der die Sachlage verharmlost. Er äußerte sich eloquent und höflich. Nachdem sich der/die Blogbetreiber/in auf eine erfolglose Diskussion mit ihm einließ, haben sie ihn gekickt. Auf ihrer Seite sei kein Platz für Sexismus und Verharmlosung dessen [Die Diskussion als solche wurde natürlich nicht gelöscht]. Es ist nämlich auch interessant zu verfolgen, wer wann zu welchem Thema etwas sagt und wer die Deutungshoheit über solche Themen hat – oder glaubt, zu haben. Ich denke nicht, dass es Männern zusteht, die Gefühle einer Frau nach einem wie auch immer gearteten sexuellen Übergriff, nach einer Objektivierung ihrer Person zu deuten. Nämlich da liegt das eigentliche Problem. Dass Männer vergessen, dabei sich selbst zu fragen, nach ihren Motiven, Gefühlen, Verhaltensmustern, Denkstrukturen. Vielleicht würde dann ein Umdenken von Verharmlosung hin zu Stellungnahme und Positionierung passieren. Eine Stellungnahme, die in etwa so aussehen könnte: Das Eintreten für Menschenrechte und gegen die Stereotypisierung von Frauen und Männern. Und anders lautende Stellungnahmen zu verurteilen.
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