solidarität auf 2.000 km luftlinie.

Di Hia und ich haben uns 2012 über eine geschlossene facebook-gruppe kennengelernt, deren mitglieder sich aus weißer und of Color perspektive mit verschiedenen aspekten von rassismus beschäftigten.

wir tauschen uns seit kurzem über unsere lebensrealitäten und politiken aus und entdecken dabei immer wieder neu und immer wieder anders gemeinsamkeiten, parallelen, ähnliche/differente bezugspunkte, wechselnde perspektiven, die eng mit unserem alltag in algier und berlin, aber auch mit unserem erleben von queer_feministischem aktivismus verbunden sind. idee von Di Hia war es, unsere gespräche in textform zu packen und zu veröffentlichen. ich dachte mir so: warum eigentlich nicht?

wir führen unsere gespräche hauptsächlich über skype und facebook, weil uns laut luftlinie.org knapp 2.000 kilometer trennen. was uns verbindet, ist der wunsch nach solidarität in (queer_)feministischen zusammenhängen, kritik an rassismus_kolonialismus, heteronormativität, zwangszweigeschlechtlichkeit, liebe_partner_freund_innenschaft_beziehungen aus weißer_lesbischer und muslimischer_of Color_diaspora_queerer perspektive. Di Hia und ich sind 1985 geboren, to whom it may concern.

im heutigen text dreht sich einiges um die frage nach verbündetsein und solidarität in bezug auf rassismus. viel spaß beim lesen!

  • Nadine: wie ist das für dich mit feministischen räumen und kontexten? was erlebst du da?
  • Di Hia: In Deutschland dachte ich oft, ich bewege mich in feministischen Freundinnenkreisen. Seitdem ich mich aber intensiver mit dem Thema auseinander setze, merke ich, dass das nicht der Fall ist. Ich hab aber auch schon ne Weile nicht mehr in Deutschland gelebt…zuletzt in Österreich, davor in Frankreich. In Deutschland habe ich das eher im Kontakt mit Freundinnen, weißen Freundinnen und weißem Feminismus. Das tat mir nicht gut, da war viel Schmerz dabei
  • In Algerien habe ich in den letzten Wochen ganz wunderbare, kraftvolle feministische Räume kennen gelernt. Ich habe Unterhaltungen, die ich aus dem deutschen Kontext nur aus meinem Onlineaktivismus nicht aber dem real life freundinnenkreis kenne. Das ist ganz spannend und gibt mir so viel!
  • Nadine: kannst du kurz erklären, was du genau mit weißem feminismus meinst in diesem zusammenhang?
  • Di Hia: also viel die Konstruktion von Hilfebedürftigkeit, weißen Retterinnen. Meine weißen Freundinnen, die sich mit Feminismus beschäftigen (wobei ich sagen muss, dass eigentlich keine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema stattfand) blenden oft aus, dass es da noch viele andere wichtige Stimmen gibt. Dass feminismus anti-rassistischen input braucht. Dass mein Kampf einer ander ist als ihrer, ja das glaube ich, ist er nämlich wirklich. Meine weißen Freundinnen waren oft eine schmerzhafte Gefahr für mich. Weil sie in meiner Gegenwart viel rassistische Muster reproduzieren. Das festzustellen, hat meinen Freundinnenkreis minimiert. Das tat weh und gut.
  • Wenn ich weißen Feminismus benutze heißt das für mich, eine beschränkte feministische unkritische Denkweise. Wie ein Satz, der seine Bedeutung verliert, weil ihm das richtige Satzzeichen verwehrt bleibt.
  • ich hab oft den Eindruck, dass der weiße Feminismus den Anspruch hat, Kämpfe kämpfen zu können, die ihn nicht betreffen. Dass er sich Dinge aneignet und instrumentalisiert. Dass er mit rassistischen Strukturen kooperiert. Dass weißer Feminismus ein Solidaritätsproblem hat.
  • Aber ich will mich Feministin nennen können, aber das fällt mir oft schwer weil in der deutschen Mehrheitsgesellschaft der Feminismus mit bestimmten Personen wie Alice Schwarzer in Verbindung steht. und Alice Schwarzer ungefähr zu den Personen gehört, die mich am meisten durch ihre Worte und ihre Machtposition verletzen, wenn es um Personen im öffentlichen Leben geht. Als Alice Schwarzer „die große Verschleierung“ rausgebracht hat, habe ich geweint. Das hat mich so gepackt, was sie über Algerien und Algerier*innen in Frankreich schreibt.
  • Meine Mutter hat ihr auch oft blind zugehört. Jetzt nicht mehr. Jetzt achtet meine weiße Mutter darauf, dass die andere Quellen konsumiert. (K)Erben des Kolonialismus ist ihre Bettlektüre. Aber nur weil, wir einen riesen Streit über Rassismus hatten und ich Wochen nicht mit ihr gesprochen habe. Ich habe ihr irgentwann gesagt, ich rede mir dir nicht mehr darüber, wenn du nicht Noah Sow’s Deutschland Schwarz Weiß liest. Sie rief mich nach Wochen an hat sich bei mir für den Lesetipp bedankt. Seit dem haben wir eine sehr wertvolle Basis. hm. ich schreibe das zum ersten mal auf.
  • Nadine: du sprachst davon, dich in algerien ohne deinen partner auf der straße unsicher zu fühlen. andererseits sollten weiße feminist_innen aus deutschland hierzu die klappe halten bzw. eher auf die jeweils vor ort agierenden aktivist_innen und gruppen aufmerksam machen. wie siehst du feministische standpunkte, die schwarzer kritisieren für ihren rassismus, andererseits auch keine vorschläge parat haben, außer eben zu dekonstruieren, was daran rassistisch ist. ich gehöre auch zu dieser gruppe. „uns“ wird oft negierung der problemlagen vorgeworfen oder „kulturrelativismus“. ich denke immer, ja mensch, fuck, das ist aber nicht meine baustelle. andererseits will ich auch die augen nicht verschließen. ich sehe dennoch, dass probleme in anderen regionen der welt von deutschland aus so schwer zu kritisieren sind, weil ihnen immer ein „othernder“, kolonialisierender blick zugrunde liegt und sprechakte aus einem rassistischen system heraus erfolgen. die einzige möglichkeit, die ich derzeit in betracht ziehe, nicht allzu oft über „woanders“ zu schreiben, bei mir zu bleiben und zu gucken, dass ich mit dem, was ich sage, keine rassismen reproduziere. und stimmen vor ort stärke, darauf hinweise. oft komme ich mir trotzdem vor, als ob ich in der eigenen suppe koche. wie ist deine einschätzung dazu?
  • Di Hia: Ich glaube, dass die Gründe weshalb ich mich ohne meinen Partner unsicher auf der Strasse fühle, so komplex sind, dass jemensch im weißen deutschen Kontext das nur schwer nachvollziehen kann. Ich glaube, es hat tiefere Gründe, weshalb sexualisierte Gewalt für mich hier so präsent ist. Und um das zu verstehen, müssen wir glaube ich verstehen, wie Gewalt entsteht. Und was das Land für Gewalterfahrungen auf dem Buckel hat. Marieke hat das hier mal treffend auf den palästinensischen Kontext beschrieben. Ich glaub der Satz trifft es aber auch auf einen breiteren Umfang ganz gut: „Violence does not only leave visible traces but also affects the inner lives of people, their interpersonal relationships, the social structure they live in and the collective’s sense of self. Trauma through violence is a humanitarian issue in the sense that it creates psychological diseases just as physical ones, but it also carries implications for any future attempt of conflict transformation or state-building. „
  • Vielleicht können „wir“ Feminist_innen uns darauf einigen, dass wir uns Solidariät signalisieren und gemeinsam nach Lösungen suchen, wenn weißen Feminist_innen kommuniziert wird: wir brauchen Unterstützung oder Input. Ich weiß nicht, was mir onebillion rising oder terres des femmes etc. hier bringen soll. Meine Schwestern hier wissen vielmehr, was wir brauchen. Es gibt hier Aktivismus! Es gibt hier einiges, was Feminist_innen machen. Nur bekommt das der weiße Feminismus nicht mit. Ich vermute, dies liegt an mehreren Dingen: Sprachbarriere, priviligierte Positionen den eigenen Aktivismus relativ öffentlich leben zu können, Ignoranz, eigene Baustellen. Hinzukommt auch, das weiß ich von meinen feministischen Schwestern hier, dass sie sehr vorsichtig sind, sich weiße Unterstützung zu holen. Die Angst vor Paternalismus ist groß.
  • Ich wünsche mir, wenn ich von sexuellen Übergriffen berichte, einfach: Dihia, das tut mir leid. So eine Scheiße. Kann ich was tun, damit es dir besser geht? Das hilft mir immer sehr. Solidaritätsbekundung.
  • Nadine: danke. irgendwie passt das zum konzept des verbündetseins. eher zu fragen: wie kann ich dich/euch unterstützen? wie kann ich kraft schenken? als: LASS MICH DEINE PROBLEME LÖSEN EINSELF!
  • Di Hia: JAAAAAAAAAAAAAAA. genau genau genau.
  • Nadine: ich denke eben auch, dass kraft schenken/solidarität zeigen ist: die eigene weiße truppe zu sensibilisieren. leute wie schwarzer zu kritisieren. gerade ist ja großes critical whiteness gebashe unter weißen, weil die eine seite behauptet: hey, wir müssen mal probleme (woanders) angehen und nicht im eigenen saft schmoren, die andere so: ääh none of your business, krieg‘ erstmal deinen rassismus klar.
  • Di Hia: ja, spannend! auch bei verlinkungen oder texte schreiben eben nicht-weiße quellen nehmen etc. und das ist es auch: es ist so eine bequeme Art, sich vielleicht doch nicht mit dem eigenen Rassismus auseinander zu setzen, aber dafür mit den armen Frauen in Indien. Oder Mali. oder wo auch sonst. Aber hey, warum trauen uns weiße Frauen weniger zu als sich selbst? Was ich mir wünsche, ist dass weiße Feministinnen ihre Position fair und solidarisch nutzen. Und dann sprechen, wenn ich oder andere nicht können. Aber nicht für mich sprechen. Und genau das sollte ich auch tun.
  • Nadine: bestimmte prozesse müssen alle für sich tun, finde ich. diese denke von globalsisterhood und wir frauen und alle sind gleich verhindert solidarität und bündnisse. viele weiße können es kaum ertragen, sich irgendwie partikular zu fühlen. obwohl sie die ganze zeit eigentlich nur um sich selbst kreisen. und ihren mist dann universalisieren. ich denk mir neben dem solidaritäts- und unterstützungsgedanken kann auch im vordergrund stehen zu schauen: wo kämpfen wir an ähnlichen baustellen, welche politiken benutzen wir gemeinsam? strategische bündnisse, die nicht von dauer sein müssen. ich finde das soviel empowernder als die ganze zeit nur im wirfrauensprech zu politisieren.
  • Di Hia: ja, nadine, das finde ich hast du gut formuliert. Ich will mir z.b auch nicht den Kampf von dir und deiner Partnerin aneignen und cookies dafür einsacken, dass ich sage: heteronormativer scheiß. also eben…einfach meine verbundenheit signalisieren und dort unterstützen wo es eingefordert wird
  • Nadine: eben. es ist ja nicht so, als ob die leute nicht sprechen könnten. sie werden eben nicht gehört.
  • Di Hia: Ja. Einfach auch n Bewusstsein in den eigenen Kreisen schaffen, wer hört wen wann und wie
  • Nadine: wie mich das nervt in weißen mainstream feminismus kontexten, wenn ständig von: „wir sind anschlussfähig und ihr rassismuskritischen weißen hockt in der akademie“ die rede ist. in diesen räumen kann sich aber keine_r über rassismus beschweren, weil auch keine betroffenen anwesend sind. auch dort, wo bündnisse versucht werden, passieren ausschlüsse, passiert diskriminierung, entstehen schmerzhafte erfahrungen, wie du sie auch gemacht hast. da muss noch viel passieren, auch bei mir. aber wenn ich es nicht probiere, mal anders zu machen… dann wird das nichts werden. ich muss mir eingestehen, dass bündnisse scheitern, weil ich es einfach nicht auf die reihe kriege. ich glaube, dass viele weiße an dem punkt dann aufgeben und sich wieder ihren eigenen themen zuwenden, was ja auch viel einfacher ist. bloß keine fehler machen. bloß nicht kritik abkriegen (auch von weißen, die antirassismus/rassismuskritik kacke finden). zum verbündetsein gehört mehr als zuhören, mehr als stimmen sicht-/hörbar machen, auch die eigene realität, die eigene politik radikal in frage stellen zu können. themen anders setzen, den fokus verschieben, der bruch mit freund_innen oder kolleg_innen.
  • Di Hia: Ja. Ich würde noch mal gerne hierdrauf zurück kommen: „die einzige möglichkeit, die ich derzeit in betracht ziehe, nicht allzu oft über „woanders“ zu schreiben, bei mir zu bleiben und zu gucken, dass ich mit dem, was ich sage keine rassismen stärke. und stimmen vor ort stärken, darauf hinweisen. oft komme ich mir trotzdem vor, als ob ich in der eigenen suppe koche. wie ist deine einschätzung dazu?“
  • Ich finde das einen wichtigen Schritt, dass du bewusst versuchst keine Rassimen zu stärken. Und ja, bitte schreib nicht über „woanders“ , das woanders betrifft mich oft und schmerzt. Aber: Ist es nicht schon ganz wunderbar sich auf einen kleinen Bereich zu beschränken? Wenn wir das alle machen trägt das glaub ich tolle Früchte. Ja, es ist eine eigene Suppe irgendwie…irgendwie aber auch nicht. Weil wenn wir es schaffen, parallel dazu unsere Solidarität zu kommunizieren…sind wir auf einem guten Weg, oder?
  • Ja, zu dem Bruch. Also ich habe einige Freundinnenschaften in den letzten Jahren als Konsequenz und …hmm ich nenne es mal eigene gelebte Solidarität, aufgegeben. Solidarität mit mir und meinen Schwestern aber auch von anderen-ismen betroffenen Leuten. Ich habe gerade das Gefühl erst am Anfang von einer langen „Konsequenzen ziehen“ Episode zu sein.
  • Nadine: ich finde das auch den schwierigsten punkt: gelebte solidarität, die nicht bei lippenbekenntnissen und kritik an rassismen im theoretischen endet, sondern ganz bei mir ist und meinen sozialen nahfeld, meiner täglichen politischen praxis.
  • Di Hia: Was du zum verbündet sein schreibst ist glaub ich eher möglich, wenn wir ein gutes Umfeld haben und positives Feedback bekommen. Wenn es dann aber so Umrisse annimmt, wie z.b in der unlearning Gruppe, hilft das nicht viel. Und dann kommt dein Bild von der eigenen Suppe noch mehr zur Geltung, oder? Wir müssen glaub ich was unsere Privilegien angeht aus der Comfort Zone ausbrechen, und das braucht eben eine Crew die dich stützt und stärkt und manchmal auch einfach deine Tränen trocknet
  • Nadine: tränen? du meinst, wo ich mein white whining auslassen kann ohne zu verletzen?
  • Di Hia: nein! ich meine, dass wenn ich mich von einer freundin verabschiede, weil die freundinnenschaft kein sicherer ort für mich ist, oder weil sie rassistische oder andere kackscheiße labert, dann tut das ja weh. und da auch solidarität zu spüren. leute die sagen: ja, schmerzt, aber ist besser so.
  • Nadine: ja das ist wichtig, dass mensch da eine gruppe im rücken hat, die immer wieder bestärkt, dass radikale solidarität wichtig ist. nur: die gruppen haben nicht alle. gerade in diesem punkt bin ich froh, dass es das internet gibt.
  • Di Hia: genau! und da wäre es doch schön zu überlegen, wie können wir die finden und überhaupt schaffen? wie kann ich teil so einer gruppe werden?
  • Nadine: da kommt oft der vorwurf, dass diese gruppen elitär wären, ausschluss von leuten, die einfach noch nicht so viel erfahrung haben oder hier und da lücken. ich kann das nicht nachvollziehen, um ehrlich zu sein. das ist ja an sich auch keine eingeschworene gemeinschaft. sondern es sind eben auch solidarische, temporäre bündnisse/bündnispartner_innen. wir wissen voneinander, dass wir ähnliche politiken haben und dass wir genauso lücken haben, die es zu schließen gilt. wenn du bereit bist, dich und deinen alltag zu hinterfragen, dann kann es eigentlich nur gut werden.
  • Di Hia: Daumen nach oben. ohne diese internetcrew wäre ich ganz schön traurig.

Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

5 Antworten zu „solidarität auf 2.000 km luftlinie.“

  1. […] Die medienelite hat in ihrem Blog einen spannenden und nachdenkenswerten Beitrag über weißen Feminismus und wie er anderswo wahrgenommen veröffentlicht. Ein Interview über Skype: “ich hab oft den Eindruck, dass der weiße Feminismus den Anspruch hat, Kämpfe kämpfen zu können, die ihn nicht betreffen. Dass er sich Dinge aneignet und instrumentalisiert. Dass er mit rassistischen Strukturen kooperiert. Dass weißer Feminismus ein Solidaritätsproblem hat.” meine Leseempfehlung des Tages […]

  2. […] Produktion von Ausschlüssen, die — oh Wunder — auch bei der feministischen Arbeit nur allzu schnell passieren […]

  3. […] habe Yasmine von Nadines und meinem Dialog erzählt und ihr diesen auch übersetzt. Yasmine hatte direkt einige Punkte, die sich besprechen […]

  4. […] algerische Feministinnen im Dialog über Solidarität, Bündnismöglichkeiten, weiße Dominanzen und Aneignungen: Global sisterhood – work in […]

  5. […] würd ich mir da doch schon mal n Gespräch mit der Feministinnenfraktion wünschen. Anyone? Mein Gespräch mit Nadine damals war klasse. Das fand ich gut. Aber sonst? Kommt da noch was? Also ich meine, mit […]