Bürgerin

Gerade sitze ich etwas hilflos vor einem weißen Bildschirm und soll 500 Wörter für ein Statement zu einer politischen Rede pro oder contra Staatsbürgerschafts- bzw. Einbürgerungstest schreiben. Hilflos deshalb, weil ich mich bisher mit Integrationsfragen eher weniger bis gar nicht beschäftigt habe und weil jemand, den ich kenne, der den Test vor kurzem machen musste, befand: Test als solcher gut. Umsetzung mies. Begründung für zweites: Gesinnungsfragen, Singlechoice. Begründung für erstes: keine.

Hilflos auch, weil ich zur weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft gehöre und für gewöhnlich Menschen mit Migrationshintergrund anders wahrnehme als Mitglieder meiner Gruppe. Nun muss ich mich also mit einer hegemonialen Praxis kritisch auseinandersetzen, die für mich seit meiner Geburt und mit deutschen, weißen Eltern als obsolet definiert wird: Integration. Ich verwende hegemoniale Praxis und Integration deshalb in einem Kontext, weil ich nach dem Lesen einiger Texte das Gefühl habe, dass deutsche Staatsbürgerschaft, deutsche Integrationspolitik und Integration im öffentlichen Diskurs so verhandelt wird – Integration als verpflichtende Leistung der anderen, die ihre Menschenrechte um Staatsbürgerrechte erweitern wollen. Integrationsleistung der Mehrheitsgesellschaft: keine.

Nach ein bisschen Netzrecherche springen einem sofort die beiden Vorreiterbundesländer Hessen und Baden-Württemberg in die Augen. Richtig: Kinder-statt-Inder-(dit war doch der Rüttgers) Migrantenkriminalität-Koch und Nazi-Leugner Oettinger. Sie taten sich in der Debatte um Einbürgerungstests und ihre Umsetzung besonders positiv hervor: http://de.wikipedia.org/wiki/Einbürgerungstest (Punkt 2 und 3)

Ein weiterer Link führte mich auf die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg [sic] und diesem tollen Bild:

Das linke Heft wird als Integrationsfibel bezeichnet. Die Abbildungen heben das noch einmal besonders anschaulich hervor ;-) Auf dem rechten Heft … ja … zwei schwarze Frauenhände und schwarz auf weiß den Adler. Kreisen eure Assoziationen auch so wie meine?

Insofern dürfte Kien Nghi Ha Recht behalten, wenn er schreibt:

Einwanderungswillige werden als infantile Schüler behandelt, die der westlichen Aufklärung sowie der deutschen Kultur- und Spracherziehung bedürfen. […] Indem die rassistischen Einschreibungen dieser Gesellschaft unsichtbar gemacht werden, entfallen wichtige Ausgangspunkte für ein machtkritisches Verständnis von Migration, Rassismus und Integration.

Das Zitat stammt aus dem Magazin Hinterland. Den gesamten Artikel von Kien Nghi Ha, der deutsche Integrationspolitik als koloniale Praxis definiert, kann dort auch kostenfrei als PDF heruntergeladen werden. (Danke an Pas für den Hinweis!)

Eine andere Herangehensweise an die Thematik Einbürgerung hat der ehemalige Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt: Er sieht in einer diskriminierungsfreien, transparenten, rechenschaftspflichtigen und menschenrechtlich-verbindlichen Einbürgerungs- und Integrationspolitik eine Chance zur Gewährleistung kultureller Freiheitsrechte für jedes Subjekt. Im Falle einer solchen Politik, wie Bielefeldt sie ganz sachlich aus einer juristischen, nationalstaatlichen Sichtweise heraus argumentiert, gäbe es keinen Widerspruch zwischen Multikulti, Pluralismus und Leitkultur. Er hält die Forderung einer kulturellen Integrationsleistung des Einbürgerungswilligen für berechtigt, auch wenn er konstatiert, dass Integration in Deutschland als aufoktroyierte Homogenisierung und Entscheidung für Assimilation oder Marginalisierung funktioniert. Eine für Bielefeldt angemesse Integrationsleistung wäre das Bekenntnis zur Verfassung, die allgemein gültige Menschenrechte beinhaltet, das Erlernen der Landessprache und eine Bereitschaft zur Mitverantwortung an der Gesellschaft.

Dennoch erwartet Bielefeldt diese Leistung nicht nur von Einbürgerungswilligen, sondern auch von staatlicher Seite: Die so oft geforderte Loyalität zum deutschen Staat sollte nicht in einem Test überprüft werden. Im Sinne einer freiheitlichen Integrationspolitik sollte sie bei allen Einbürgerungswilligen als gegeben vorausgesetzt werden. Gesinnungsfragen sind ebenso tabu, da sie entwürdigend sind, verfassungswidrige Eingriffe des Staates in das Persönlichkeitsrecht darstellen und damit eine Verletzung des rechtsstaatlichen Prinzips sind – also ein Widerspruch zu den Werten und Normen, zu denen sich Einbürgerungswillige bekennen sollen. Zudem zwingen stigmatisierende Fragen zu Familienbild, Rollenstereotypen und Homosexualität Einbürgerungswille zur Erklärung und Bekräftigung von Werten, die sie für sich selbst bereits als selbstverständlich empfinden (könnten). Außerdem werde damit das Recht auf kulturelle Freheit nicht geachtet. Ein Pauschalverdacht tradiere zudem weiterhin die Diskriminierung bestimmter Personengruppen.

Bielefeldts Ausführungen stehen  beim Deutschen Institut für Menschenrechte ebenfalls zum kostenlosen Download bereit.

Hmm. Jetzt ist der Bildschirm doch nicht mehr so weiß…


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Kommentare

5 Antworten zu „Bürgerin“

  1. anja

    Toll geschrieben, Nadine. Ich würde den Text einfach mit der Rede zusammen abgeben.

  2. Pas

    „Kreisen eure Assoziationen auch so wie meine?“
    Keine Ahnung wie Deine kreisen…für mich sieht es so aus, als würden die Hände den Adler gleich würgen…

    Anyway, sehr sehr cooler Text.

  3. @pas: coole assoziation :) im zusammenhang mit einbürgerung, othering, assimilierung und marginalisierung sowie rassismus in der mitte der mehrheitsgesellschaft, erscheint mir diese schwarz-weiß-bildgestaltung eher sehr pauschal. um es mal milde zu formulieren

  4. „Kinder statt Inder“ war aber Wahlkampfslogan von NRW-Rüttgers, oder?

  5. oha. böser fauxpas. du hast natürlich völlig recht ;) ich korrigiere das gleich

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