Zur Dialektik in der Sache „Frau“

Neulich las ich diesen Artikel von Yasemin Shooman über das Bild der muslimischen Frau in Westeuropa. Sie wird einerseits als hilfsbedürftiges, vom „islamischen Patriarchat“ unterdrücktes Wesen dargestellt, andererseits als gefährlich, sich ausbreitend (die vielen Kinder!!111!!1), undurchsichtig, düster.

Ich erinnerte mich wieder an eine Studienarbeit von Frau X., in der sie das dialektische Frauenbild in Europa zur Zeit der Renaissance untersuchte. Heilige-Hure-Prinzip. Marienverehrung einerseits, Hexenverbrennung andererseits. (ich breche das jetzt mal ganz unwissenschaftlich runter). Und welche popkulturellen Referenzen auf diese Zeit sich noch heute finden lassen. Als eines ihrer Beispiele nannte sie „Like a prayer“ von Madonna (pun intended!), das Video und das Cover des gleichnamigen Albums. [ref]Like a virgin ließe sich sicher auch noch anführen, aber Like a prayer spielt ja dezidiert mit christlicher Symbolik – auf den Schwarzen Jesus will ich indes an dieser Stelle nicht näher eingehen, das würde einen eigenen Blogpost benötigen[/ref]

Dann las ich heute das auf Soup.io. Wer mehr zu Friendzone lesen will, bitte hier entlang.

Als ich mich vergangenen Sommer für den Berliner Slutwalk engagierte, hatten wir ähnliche Diskussionen zum Slut-Begriff (nicht nur in der Orgagruppe). Während es beim Slutwalk u.a. um die Aneignung einer sexistischen Beleidigung ging (v.a. in den USA), hatten wir uns intern darauf geeinigt, dass uns dieser Aneignungsaspekt nicht sooo wichtig ist. Weil es einerseits Menschen gibt, für die dieser Begriff auch nicht mit Aneignung an Verletzungs- und Triggerpotential verliert, andererseits wir nicht vorgeben wollten, wie mit diesem Begriff umzugehen sei. Wir nahmen das Label als Art Corporate Identity und stellten andere Aspekte/Inhalte des Slutwalks in den Vordergrund. Auch um ein bisschen die Diskussionen zu umschiffen, die zwangsweise auf uns zukamen. Als ich im Nachhinein einige Vorträge zum Thema hielt und Diskussionen beiwohnte, wurde ich immer wieder darauf angesprochen, warum wir uns denn nun mit diesem Begriff „schmückten“ und ob wir denn damit nicht die patriarchale Zuschreibung bestätigten…
Sookee bringt es in „Bitches, Butches, Dykes & Divas“ ganz gut auf den Punkt (ab 0:56).

Ohne jetzt inhaltlich noch einmal die „Schlampen-Diskussion“ aufzuwärmen, hatte ich in den Eindruck, dass die Mehrzahl der Fragesteller_innen nicht einverstanden war mit dem Begriff. Obwohl dem Schlampen/Huren-Bild eine Dialektik innewohnt und diese Dialektik auch immer als Ganzes verstanden werden muss, nämlich zusammen mit ihrem Gegenstück „Heilige“, wollen sich viele Frauen* für eine Seite entscheiden. Nämlich die „Gute“. Werden die Dialektik und ihre Widersprüche als solche dargestellt, führt das zu Verwirrung, verstört, subvertiert sogar.

Europäische Denkkultur basiert auf Dialektik. Zwei Seiten einer Medaille. Das Selbst definiert sich in Abgrenzung zum Anderen, das als Gegensatz zum Selbst konstruiert wird. „Ich bin keine von diesen Schlampen“, „Ich will Sex, aber ich will keine Schlampe sein“. Küchenpsychologisch erklärt ist das Andere unser Spiegelbild, von dem wir uns distanzieren müssen, weil wir es als gefährlich/schädlich empfinden. Mit Widersprüchen in sich selbst können die meisten nicht leben, obwohl sie es täglich tun.

Das Problem ist nicht die Schlampe/Hure, sondern, dass sie als patriarchales Zurichtungsinstrument funktioniert. Der Dialektik von der guten und der schlechten Frau wohnt ordentlich Selbstdisziplinierungspotenzial inne. Deswegen kann ich es nicht verstehen, warum sich Frauen* so sehr vom Schlampenbegriff (oder Mädchen oder andere abwertende Begriffe für Frauen*) distanzieren. Sie übernehmen nicht nur die Dialektik, die geschaffen wurde, Solidarität unter Frauen* zu verhindern, Frauen* und ihre Sexualität zu disziplinieren, sie bestätigen und bestärken sie.

Natürlich lässt sich darüber streiten, ob eine Aneignung von frauenfeindlichen Wörtern in einem patriarchalen System wirklich Erfolg hat im Sinne einer Rückeroberung. Ich bezweifle das auch. Doch geht es wirklich darum? Um die Rückeroberung von Wörtern, die eh nicht „uns“ gehören? Ist das Ziel feministischen Widerstandes, das Frauen* sich ihrer „guten“ Persönlichkeit versichern? Von allen gemocht zu werden? Wer sind alle? Mit wem wird sich da eigentlich solidarisiert? Muss es nicht eher Ziel sein, diese gewaltvollen Dialektiken zu unterwandern und aufzubrechen, um sie ihrer machtvollen Wirkung zu berauben?

Braucht mensch im Kontext von Feminismus, der (nicht nur) Frauen* als handelnde Subjekte begreift, überhaupt noch den Rückgriff auf patriarchale Ordnungsmuster à la „Ich bin nicht eine von ‚diesen‘ Frauen“ und systembestätigende Abgrenzungen? Ist nicht ein Ziel von Feminismus eben genau diese Ordnungsmuster zurückzuweisen?

Ich sage: ja.

Frauen*, die ihren Hijab (auch) aus Protest tragen, Frauen*, die sich Schlampe nennen, Frauen*, die das Label Lesbe, Emanze, Feministin nicht ablehnen, sondern annehmen und mit Leben füllen. Es geht nicht darum, ob die Zuschreibungen von außen zutreffen oder nicht. Das kann eine_r sowieso nicht autonom entscheiden.[ref] Lesetipp dazu auch von den Fuckermothers bezogen auf Sexualität und Mutterschaft[/ref]


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Eine Antwort zu „Zur Dialektik in der Sache „Frau““

  1. […] Zur Dialektik in der Sache “Frau” (Nadine Lantzsch / 26.01.2012) […]